Gigaliner : Der Streit geht weiter

Wie hältst Du’s mit der Semantik? Die Gretchenfrage im Streit um die Gigaliner beantwortet sich in einem Wort: Von „Ökoliner“ über „Lang-Lkw“ bis „Monster-Truck“ reicht die aktuelle Namenspalette für die 25,25 Meter langen und bis zu 60 Tonnen schweren Fahrzeuge. Ein Begriff definiert den Standpunkt, und der wird von allen Seiten eisern gehalten.
Für neuen Schwung im seit Jahren schwelenden Konflikt sorgte nun EU- Verkehrskommissar Siim Kallas mit seinem Vorschlag, die in mehreren Staaten längst zugelassenen Gigaliner künftig auch grenzüberschreitend fahren zu lassen – vorausgesetzt, es handle sich um nur eine Grenze und beide Staaten seien einverstanden. Damit beuge sich die Kommission dem Druck der Lobbyisten, kommentiert Jörg Leichtfried, EU-Abgeordneter der SPÖ. Der Vorschlag sei ein Versuch, die Gigaliner durch die Hintertüre – also den steigenden wirtschaftlichen Druck auf Österreich – einzuführen. Verkehrsministerin Doris Bures bekräftigte umgehend das Nein Österreichs zum „Größenwahn auf Rädern“. Besonderen Zorn zieht derzeit ÖVP-Mann Johannes Hahn auf sich: Der EU-Kommissar für Regionalpolitik durchbrach die bis dahin geschlossene Anti-Gigaliner-Phalanx der Österreicher, als er vor kurzem erklärte, jedem Mitgliedsstaat der EU müsse „freistehen, über die Zulassung von Gigalinern in seinem Staatsgebiet zu entscheiden“.
Killers on the Road?
Angesichts der jüngsten Entwicklungen werfen beide Seiten verstärkt Argumente, Studienergebnisse – und Polemiken – in die Diskussion. Das bmvit veröffentlichte ein „Faktenblatt Gigaliner“ und lehnt sich darin in einem Punkt besonders weit aus dem Fenster: Höhere Masse, längerer Bremsweg, schwierigere Handhabung und größere brennbare Masse ergäben ein vierfach erhöhtes Risiko für Pkw-Lenker, bei einem Unfall mit Gigalinern getötet zu werden, als bei Unfällen mit normalen Lkw („Tötungsrisiko: +400 %“).
Oliver Wagner, der Geschäftsführer des Zentralverbandes für Spedition & Logistik, muss angesichts solcher Argumente schlucken. „Alles, was wir einfordern, ist Objektivität. Das Thema Ökoliner ist derzeit stark emotional aufgeladen. Und natürlich sind Vorwahlzeiten und Zeiten der Regierungsbildung nicht geeignet, an dieser Aufladung etwas zu ändern.“ Die „erhöhte Tötungsgefahr“ widerspreche nicht nur sämtlichen Erfahrungen aus jenen Ländern, in welchen die Gigaliner längst unterwegs sind – auch der seit eineinhalb Jahren laufende Feldversuch in Deutschland spreche eine ganz andere Sprache: „Dieser Feldversuch verläuft sehr positiv. Der Ökoliner hat sich wesentlich besser in den Straßenverkehr integriert, als Kritiker erwartet hatten. Die Fahrten verlaufen nicht nur unfallfrei, sondern geradezu unauffällig.“
Was bringt der Feldversuch?
Der deutsche Feldversuch – auf fünf Jahre angelegt – sollte eigentlich mehr Klarheit in die Diskussion bringen. Besonders die österreichischen Beteiligten verfolgen ihn mit Argusaugen. Doch obwohl noch keine konkreten Ergebnisse vorliegen, dient der Versuch bereits beiden Seiten als Argumentarium. Vor allem die relativ geringe Teilnehmerzahl rief einige Häme hervor. Nur wenige dutzend Gigaliner kurven derzeit durch Deutschland – für ihre Gegner ein klarer Hinweis darauf, dass das Interesse der Transportwirtschaft so groß wohl nicht sein könne. Die deutschen Transporteure hingegen sehen die Befürchtung bestätigt, die sie bereits vor Beginn des Feldversuchs geäußert hatten: Da nicht alle Bundesländer dem Versuch ihre Zustimmung erteilten, fahren die Gigaliner auf einem Flickenteppich, der wesentliche Verkehrsknotenpunkte auslässt – geringe Teilnehmerzahl und damit fragwürdige Aussagekraft lägen also schon in der Versuchsanordnung begründet.
Oliver Wagner bleibt angesichts der nicht gerade überragenden Teilnehmerzahl davon überzeugt, dass „der deutsche Feldversuch ein weiterer Schritt ist, der Sinn macht. Man braucht diesen Versuch, um zu sehen, wie sich die Ökoliner in der Praxis bewähren.“
Die BASt bleibt zugeknöpft
Die für die Durchführung des Versuchs verantwortliche deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bemüht sich unterdessen um maximale Äquidistanz. Erste Ergebnisse würden voraussichtlich Anfang 2014 in einem ersten Zwischenbericht veröffentlicht, heißt es seitens der BASt auf Anfrage des INDUSTRIEMAGAZIN. „Mit Ausnahme von statistischen Angaben werden zuvor keine Ergebnisse veröffentlicht.“ Damit solle vermieden werden, dass sich „durch einzelne Teilergebnisse bereits ein Meinungsbild verfestigt, das dem Gesamtergebnis dann aber nicht mehr gerecht wird.“
In der geringen Teilnehmerzahl sieht man bei der BASt jedenfalls kein Problem: „Da eine Vielzahl von unterschiedlichen Aspekten untersucht wird, ist der notwendige Umfang sehr heterogen.“ So reichten in einzelnen Projekten einige Beobachtungsfahrten aus, in anderen werde eine Vielzahl von Fahrten benötigt, um eine Einordnung vornehmen zu können. „Die BASt wird mit der aktuellen Anzahl der teilnehmenden Fahrzeuge beziehungsweise Unternehmen jedoch in allen Themengebieten aus der Untersuchung Erkenntnisse ableiten können. Der Erhebungsumfang bestimmt jedoch, welche Art und welcher Detaillierungsgrad der Aussage möglich ist.“
Auf Kosten der Bahn?
Zumindest in einem Punkt herrscht Einigkeit: Das erklärte Ziel der österreichischen Verkehrspolitik, Güterverkehr so weit wie möglich auf die Schiene zu verlagern, steht wohl außer Frage. Doch was würden die Gigaliner an diesem Gefüge verändern? Jörg Leichtfried beruft sich auf das Beispiel Schweden. Schon seit 1970 sind dort längere und schwerere Lkw zugelassen – seit den 90er-Jahren mit Obergrenzen von 60 Tonnen und 25,25 Metern. In der Folge habe die Bahn mehr als zehn Prozent ihrer Transportleistung verloren – zugunsten der Straße.
Eine Rechnung, die man so nicht aufmachen könne, entgegnen die Gigaliner-Befürworter: Die generell steigenden Frachtmengen – manche Prognosen gehen von einem Plus von bis zu 70 Prozent bis 2025 aus – könne die Bahn nur zum Teil auffangen. Der ohnehin zunehmende Straßentransport sei ja eben ein zentrales Argument für die Gigaliner, da zwei von ihnen das gleiche Volumen transportieren können wie drei „normale“ Lkw. Und Oliver Wagner dreht den Spieß um: Die langen Lkw dienten aufgrund der höheren potenziellen Transportvolumina eben der Umwelt – „und ich bin davon überzeugt, dass es falsch ist, Themen, die der Ökologisierung dienen, einfach wegzuschieben. Aber man soll die Hoffnung auf Vernunft nie aufgeben.“
„Wir brauchen Platz“
Im Herbst startete der Zentralverband einen Vorstoß, der den Gigaliner-Gegnern ein wesentliches Argument aus der Hand schlagen sollte: „Wir brauchen Platz“, sagte Verbandspräsident Wolfram Senger-Weiss, „wir haben kein Gewichts-, sondern ein Volumsproblem.“ Soll heißen: Die notorischen 60 Tonnen seien gar nicht nötig – die bisher erlaubten 40 Tonnen reichten völlig aus. Das Argument zielt nicht zuletzt in Richtung der Infrastrukturkosten: Rund 5,4 Milliarden Euro, so rechnete die Asfinag jüngst vor, seien notwendig, um die heimische Straßeninfrastruktur an die Bedürfnisse von Gigalinern anzupassen. Zwar seien bei 60-Tonnern die Achslasten geringer als bei herkömmlichen Lkw, doch erhöhe sich die Meterlast um rund 13 Prozent. Die Folge: Vor allem Brücken müssten umgebaut werden, um die Belastung auszuhalten. Das Zurückschrauben der Tonnageforderung von 60 auf 40 Tonnen, so hofft der Zentralverband, sollte der Diskussion einen entscheidenden Spin geben. „Immerhin“, sagt Oliver Wagner, „geht es hier um zentrale Fragen des Logistikstandorts, und da darf man Chancen nicht einfach vorbeiziehen lassen.
Bernhard Fragner