Gigaliner : Ausgebremst
Wie es roch? Nach Sieg roch es. Über ein „sehr gutes Ergebnis für Österreich“ freute sich Jörg Leichtfried, SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament. Hubert Pirker von der ÖVP begrüßte die „parteiübergreifende Allianz“ und die Grüne Eva Lichtenberger die erfolgte „Vollbremsung“. vida-Gewerkschafter Roman Hebenstreit gönnte sich sogar ein wenig Weltanschauung: „Die europäische Gigaliner-Lobby und die liberalisierungswütige EU-Kommission wurden in die Schranken verwiesen.“
„Schwere Niederlage für Kallas“
In der vergangenen Woche lehnte der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments einen Vorschlag der EU-Kommission ab, der unter anderem die Zulassung der Gigaliner für den grenzüberschreitenden Verkehr beinhaltet hatte. Laut Jörg Leichtfried war das Votum ziemlich deutlich: 35 Mandatare stimmten für die Ablehnung, nur vier dagegen (bei zwei Enthaltungen). Die „schwere Niederlage“ für Verkehrskommissar Siim Kallas (Leichtfried) bedeutet de facto nicht mehr als eine Vertagung des Themas: Die Kommission muss nun neue Vorschläge unterbreiten und ist vor allem aufgefordert, umfassender als bisher zu dokumentieren, welche Folgen eine Ausweitung des Gigaliner-Verkehrs in Europa hätte.
Mitte April wird im Plenum abgestimmt. Angesichts der nahenden EU-Wahl erwarten viele Beobachter, dass das Thema Gigaliner in die nächste Legislaturperiode weitergereicht wird.
Geschlossen dagegen
Es ist dennoch unbestreitbar ein Erfolg für die Gegner der Gigaliner: Sozialdemokraten, Christlich-Soziale, Grüne und Liberale stimmten im Verkehrsausschuss in seltener Einigkeit geschlossen gegen den Vorschlag der Kommission. Die Hoffnung der Gegenseite, ein „anders zusammengesetztes“ kommendes Parlament werde grundsätzlich anders entscheiden, erscheint somit unrealistisch. Ob die Entscheidung ein Gewinn für die europäische Verkehrspolitik ist, darf bezweifelt werden. Bedeutet sie doch nichts anderes, als dass Gigaliner weiterhin ein nationalstaatliches Thema bleiben. Wie schon bisher wird jedes Land für sich entscheiden, ob es die überlangen Lkw einsetzen will. Und der Vorschlag der Kommission hätte ihnen keineswegs freie Fahrt verschafft: Geplant war, pro Fahrt nur einen Grenzübertritt zuzulassen.
„Der Lkw hat auf internationaler Ebene generell einen schweren Stand, und die Österreicher sind hier leider führend“, meint Wolfgang Thoma, Geschäftsführer der deutschen Spedition Ansorge. Sein Unternehmen ist Teilnehmer am seit 2012 laufenden Feldversuch in mehreren deutschen Bundesländern. Ein Versuch, der unter strenger wissenschaftlicher Begleitung die Auswirkungen des Gigaliner-Einsatzes in der Praxis erweisen soll. Und der angesichts des jahrelangen Einsatzes der Großen in Finnland, Schweden und den Niederlanden ein bislang wenig überraschendes Ergebnis brachte: Die Gigaliner verursachen keinerlei Probleme. „Dieser Feldversuch wird jedoch einfach nicht zur Kenntnis genommen“, bedauert Wolfgang Thoma.
Und wenngleich die Brüsseler Entscheidung der Vorwoche keinen Einfluss auf den nationalen Versuch hat: „Ich will einfach nicht akzeptieren, dass die ewigen Opponenten unseres Gewerbes uns die Fähigkeit und das Recht absprechen, innovative Ansätze zu zeigen.“ Völlig ignoriert werde etwa das Potenzial der Gigaliner im intermodalen Verkehr – „und gerade hier könnte es eine harmonische Ehe geben, die überhaupt nicht zulasten der Bahn ginge“, ist Thoma überzeugt.
Volumen vor Gewicht
Dass die Bahn Transportanteile verlieren könnte, ist so ziemlich das einzige Argument, das im Zusammenhang mit den Gigalinern nicht entkräftet werden kann. Doch abgesehen von der Frage, inwieweit die legistische Schwächung einer Modalität ein taugliches Mittel sein kann, eine andere Modalität zu stärken: Dass die Bahn etwa in Schweden seit Einführung der Gigaliner in den 1970er-Jahren rund ein Zehntel des Cargo-Anteils verloren hat, führen viele Experten auf die generell gestiegene Frachtmenge zurück, welche die Schiene eben nicht auffangen konnte. In den Jubelmeldungen der Vorwoche war auch immer wieder von „Riesen-Lkw mit bis zu 60 Tonnen“ die Rede – deren Einsatz laut Berechnung der Asfinag Umbaukosten von bis zu 5,4 Milliarden Euro notwendig machte.
Doch die 60 Tonnen sind weder in Deutschland noch bei den heimischen Transporteuren ein Thema. Schon vor einem Jahr stellte Wolfram Senger-Weiss, Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik, klar, dass Gigaliner nur mehr Platz bieten sollten: „Wir haben kein Gewichts-, sondern ein Volumsproblem.“ Mit anderen Worten: Das schon bei „normalen“ Lkw gültige Limit von 40 Tonnen – respektive 44 Tonnen im Vor- und Nachlauf des Kombiverkehrs – würde sich bei Gigalinern auf mehr Achsen verteilen und somit bei gleich bleibender Gesamtmasse die Achslast sogar verringern.
Grauschleier
Mit der Ablehnung des Kommissionsvorschlags bleibt die bisherige Regelung bestehen: Länder, die grenzüberschreitenden Gigaliner-Verkehr schon bisher zuließen, können das auch weiterhin. Wer es nicht will, muss auch nicht. Eine rechtliche Grauzone sieht Jörg Leichtfried darin nicht – nur einen „leichten Grauschleier, nicht wirklich dunkelgrau“. So richtig nach Sieg will es nicht riechen.
Siegfried Serrahn, Chef der gleichnamigen Spedition im deutschen Osnabrück, weist darauf hin, dass die noch deutlich schwereren Gigaliner, die etwa in den Niederlanden unterwegs sein dürfen, dort ebenfalls nicht zu statischen Problemen führten, „und ich glaube nicht, dass die Niederländer bessere Brücken bauen als wir“.
Fehlende Visionen
Wie Wolfgang Thoma redet auch Siegfried Serrahn die konkreten Folgen der letztwöchigen Entscheidung eher klein und rechnet mit einer „Fortsetzung des Tauziehens“. Doch sowohl das Ergebnis als auch die Reaktionen darauf sind für ihn ein Zeichen für die „oft dogmatischen und nicht zukunftsgerichteten Diskussionen zum Thema“. Es gehe wieder einmal um Pro oder Contra Gigaliner beziehungsweise Schiene statt um die Zukunft aller Verkehrsträger. „Was wir wirklich brauchen, sind Visionen, um die Probleme des Güterverkehrs zu lösen – aber in ganz Europa, bitte schön! Der Gigaliner ist ja nur ein möglicher Teil dieser Lösung, wie auch der verlängerte Sattelzug, der Ausbau des Kombiverkehrs und natürlich auch der Schienenverkehr.“
So ist die Entscheidung der Vorwoche in seinen Augen auch weniger eine Niederlage für die Gigaliner als eine für die europäische Verkehrspolitik. „Ich würde Herrn Leichtfried schon ganz gerne fragen, wie er etwa einen Bahntransport von Estland nach Spanien durchführen will. Ich vermute, dass er diese Frage nicht beantworten könnte. Was wir brauchen, sind Lösungen – genau dafür sitzen Menschen wie er im Parlament.“
Grauschleier
Mit der Ablehnung des Kommissionsvorschlags bleibt die bisherige Regelung bestehen: Länder, die grenzüberschreitenden Gigaliner-Verkehr schon bisher zuließen, können das auch weiterhin. Wer es nicht will, muss auch nicht. Eine rechtliche Grauzone sieht Jörg Leichtfried darin nicht – nur einen „leichten Grauschleier, nicht wirklich dunkelgrau“. So richtig nach Sieg will es nicht riechen.