Rauchgasreinigung : Andritz: Mit Verspätung zur CO2-Abscheidung
Seppl (für Separation Plant) heißt die Testanlage etwas salopp – auch Techniker geben ihren Kreationen gern verspielte Spitznamen: Die Verkleinerungsform passt auch – der CO2-Abscheider im Kohle-/Gaskraftwerk Dürnrohr der EVN wäscht aus gerade mal 60 (von rund einer Million) Kubikmetern Rauchgas pro Stunde 13 Kilo CO2 heraus. Pro Jahr können etwa 100 Tonnen separiertes Kohlendioxid in Flaschen abgefüllt werden. Projektpartner EVN will das recycelte Kohlendioxid für Forschungsprojekte zur CO2-Verwertung verwenden und als Rohstoff an Getränkeabfüller, Düngemittel- oder Feuerlöscherhersteller verkaufen. Für den Anlagenbauer Andritz Energy & Environment ist die 18 Meter hohe Anlage der erste Schritt in Richtung großindustrielle CO2-Rauchgaswäsche. Der im September voll angelaufene Testbetrieb soll bis 2015 dauern. Die Grazer wollen mit der rund eine Million Euro teuren Anlage erste Erfahrungen für das potenziell lukrative Geschäft mit dem Klimakiller-Gas sammeln. „Es geht darum, verschiedene Waschflüssigkeiten als Alternative zu den gängigen Amin-Mischungen auszutesten und den Wirkungsgradverlust der Abscheidung von rund neun auf etwa sechs Prozent zu drücken. Wir untersuchen auch, wie rein das abgeschiedene CO2 ist, und wollen Modelle für eine Skalierung auf Großanlagen-Maßstab erstellen und validieren“, beschreibt Günter Gronald, F&E-Chef bei Andritz Energy & Environment und Projektleiter in Dürnrohr, die Ziele des Feldversuchs. Der zweite, deutlich größere, wird gerade ausverhandelt – mit chinesischen Partnern: Hier wollen die Grazer Anlagentechniker 10.000 Kubikmeter Rauchgas pro Stunde vom CO2 befreien. „Das ist dann schon eine Demonstrationsanlage“, sagt Klaus Bärnthaler, bei Andritz Energy & Environment für das Rauchgasreinigungsgeschäft verantwortlicher Senior Vice President. „2015 wollen wir so weit sein, dass wir Großanlagen bauen können.“ China ist einer der Märkte, den Bärnthaler dabei im Auge hat: Hier wird ein großer Teil des Stroms aus Kohle erzeugt – jedes Kraftwerk wäre ein potenzieller Abnehmer. „Wenn man den Kampf gegen den Klimawandel ernst nimmt, darf man die CO2-Abscheidung aus Rauchgas nicht vernachlässigen – das ist ein Markt mit sicher erheblichem Potenzial.“ Bei Rauchgasentschwefelungen ist Andritz Energy & Environment im Reich der Mitte schon Marktführer. Spät dran. Allerdings sind die Grazer mit ihren CO2-Abscheidern ziemlich spät dran. Wo sie noch kleckern, klotzen andere schon. Konkurrent Linde hat gerade vom US-Department of Energy 15 Millionen Dollar für einen Großpilot in Wilsonville im Bundesstaat Alabama abgeholt. In der Anlage will der Industriegasproduzent mindestens 90 Prozent des CO2 aus den Kraftwerksrauchgasen entfernen. Die Energiekosten sollen dabei nur um 35 Prozent steigen (bei gängigen Verfahren steigen sie um bis zu 80 Prozent). Eine erste Großanlage hatte der Konzern 2009 in Niederaußem bei Köln in einem Kraftwerk der RWE installiert. Auch Siemens bäckt bei der Kohlendioxid- Abscheidung schon größere Brötchen. Ebenfalls mit Subventionen des US-Energieministeriums wird 2012 dem Kohlekraftwerk Big Bend des Energieversorgers Tampa Electric in Florida eine CO2-Wäsche aufgesetzt. Den Test dafür hatten die Siemensianer seit 2009 in der Pilotanlage am E.ON-Kohlekraftwerk Staudinger absolviert. Der dortige Abscheider hat bereits mehr als 3000 Betriebsstunden auf dem Buckel und filtert nach Siemens-Angabe schon mehr als 90 Prozent des CO2 aus dem Rauchgas. Auch in Österreich sind andere mit industriellen Anlagen zur Kohlendioxid- Abscheidung schon weiter: Air Liquide errichtet gerade im Bioethanolwerk der Agrana in Pischelsdorf eine CO2-Verflüssigungsanlage, die im kommenden Frühjahr in Betrieb gehen und pro Jahr 100.000 Tonnen produzieren soll. Als Pferdefuß für das CO2-Geschäft könnten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa entpuppen. So müsste abgeschiedenes CO2 in Österreich unbedingt wiederverwertet werden – es einfach komprimiert in geologische Lagerstätten zu verfrachten, ist verboten, beschloss der Ministerrat im August. Begründung: Noch sei die „Carbon-Capture-and- Storage“-Technologie zur unterirdischen Endlagerung nicht ausgereift. Auch in Deutschland steht CCS vor dem Aus, nachdem der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur unterirdischen CO2-Speicherung abgelehnt hatte. Die EU stellt den Mitgliedstaaten frei, CCS zu verbieten oder zu erlauben. Maike Seidenberger