Insolvenzen : Alpine Bau laut Gutachten bereits Oktober 2010 materiell insolvent

Laut einem BDO-Gutachten zur Insolvenz der Alpine, das heute am Handelsgericht erörtert wurde, war der Baukonzern schon mehr als zweieinhalb Jahre vor dem Konkurs pleite. Demnach war die Alpine Bau im Oktober 2010 "materiell insolvent", teilte der Masseverwalter mit.

Die Wirtschaftsprüfer-Testate für 2010 und 2011 hätten versagt werden müssen bzw. für 2009 nur eingeschränkt vergeben werden dürfen.

"Laut dem BDO-Gutachten ist bei der Alpine Bau mit Oktober 2010 von einer materiellen Insolvenz auszugehen", sagte der Masseverwalter der Alpine Holding, Karl Engelhart, der als Zeuge am Handelsgericht Wien befragt wurde. Das BDO-Gutachten, das die beiden Masseverwalter (für Alpine Holding und Alpine Bau, Anm.) in Auftrag gegeben hatten, liege erst seit vergangenen Freitag vor.

Demnach hätte die Alpine-Bilanz für 2009 nur einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk (Testat) der Wirtschaftsprüfer erhalten dürfen, den Bilanzen für 2010 und 2011 wären die Bestätigungsvermerke zu versagen gewesen. Als Grund nannte Engelhart - unter Berufung auf das Gutachten - unrichtige Jahresabschlüsse des Baukonzerns.

Tatsächlich hatten die Alpine Bau und die Alpine Holding im Juni 2013 Insolvenzanträge gestellt. In der Öffentlichkeit wurde erstmals im Herbst 2012 über Zahlungsschwierigkeiten beim Baukonzern berichtet. Die Pleite war eine der größten der Zweiten Republik, die Gläubiger schauen großteils durch die Finger: Die Konkursquote werde vermutlich bei rund fünf Prozent liegen, sagte der Masseverwalter der Alpine Bau, Stephan Riel, der heute ebenfalls als Zeuge am Handelsgericht befragt wurde.

In dem Verfahren vor dem Handelsgericht geht es um eine Klage von sieben Banken gegen die Republik Österreich. Die Republik hat für Bankkredite an die Alpine 2009 Haftungen übernommen, die sie jedoch wegen der Alpine-Pleite nicht auszahlen will. Grundlage für die Absicherung der Bankkredite war das Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetzes (ULSG), das zum Höhepunkt der Finanzkrise den Betrieben Liquidität verschaffen sollte. Es sollte aber nur "wirtschaftlich gesunden Unternehmen" über die Krise helfen.

Die Finanzprokuratur als Vertreterin der Republik argumentiert nun, die Alpine sei damals schon nicht gesund gewesen. Die klagenden Banken BAWAG P.S.K., Erste Group, ÖVAG, Raiffeisen Bank International, RLB OÖ, UniCredit Bank Austria und die spanische Bankia fordern über 70 Mio. Euro von der Republik. (APA)

Um ihre Bilanzen zu verschönern und die wahre Lage nicht kundzutun wurden bei der Alpine offenbar jahrelang sogenannte "Window Dressing"-Maßnahmen durchgeführt. Dies erläuterten die beiden Masseverwalter heute am Handelsgericht unter Berufung auf das neue BDO-Gutachten. Demnach wurden rund um die Bilanzstichtage regelmäßig Maßnahmen gesetzt, um etwa den Verschuldungsstand niedriger darzustellen.

Laut BDO-Gutachten habe es Window-Dressing-Maßnahmen bei der Alpine Bau bereits 2008 gegeben, erläuterte der Masseverwalter der Alpine Holding, Karl Engelhart. Darunter seien auch zulässige Maßnahmen gewesen, so seien Zahlungen über den Stichtag hinausgeschoben worden, um zum Stichtag eine niedrigere Nettoverschuldung auszuweisen.

"Das war das System"

Auch wurden etwa Forderungen vor dem Bilanzstichtag an eine spanische Tochter der Alpine-Muttergesellschaft FCC verkauft und sofort nach dem Bilanzstichtag wieder zurückgekauft. Derartige Bilanzverschönerungsmaßnahmen seien keine Ausnahmen gewesen, sondern "das war System", betonte Engelhart.

"Nach heutigem Wissensstand gab es seit 2008 zu hoch angesetzte Aktiva in Form von nicht vorgenommenen Wertberichtigungen für Forderungen bei Bauvorhaben", erklärte Engelhart, der als Masseverwalter für die Alpine Holding fungiert. Der Masseverwalter der Alpine Bau, Stephan Riel, erläuterte, dass die Alpine einen gesunden Kern gehabt habe, nämlich das Baugeschäft in Österreich und angrenzenden Nachbarländern. Mitte der 2000er-Jahre habe die internationale Expansion begonnen mit Großprojekten etwa in Norwegen und Singapur. Dadurch habe der Konzern Schwierigkeiten bekommen.

Masseverwalter Engelhart zitierte aus Aufsichtsratsprotokollen: Demnach wurde in der Alpine schon 2009 die Begebung von Unternehmensanleihen überlegt. Diese Diskussion sei aber gestoppt worden, weil dann die Banken und die Börse einen Bericht über das erste Halbjahr 2009 verlangt hätten und diese Bericht wohl negativ ausgefallen wäre.

Das sei offenbar der Grund gewesen, warum der Baukonzern die Finanzierung aus dem ULSG, nämlich Bankkredite mit Staatshaftung, in Anspruch genommen habe. Die geplanten Unternehmensanleihen wurden erst danach aufgelegt. Dazu habe die Alpine Holding, die Muttergesellschaft der Alpine Bau (bzw. Großmuttergesellschaft, die Hochtief war noch zwischengeschaltet, Anm.) 2010, 2011 und 2012 in drei Tranchen Unternehmensanleihen in Höhe von insgesamt 290 Mio. Euro begeben, die von den Banken übernommen und vertrieben wurden. "Das Nettoergebnis ist faktisch taggleich als Darlehen an die Alpine Bau gegeben worden", sagte Engelhart.

Buchhaltungsunterlagen passten in zwei Ordner

Die Holding sei aber praktisch der Baukonzern gewesen, erläuterte Masseverwalter Engelhart heute: Die ganzen Buchhaltungsunterlagen der Holding für 2012 passten in zwei Bene-Ordner. Außer der Alpine Bau hatte die Holding praktisch keine Aktiva gehabt, auch Haftungszusagen aus Spanien habe es keine gegeben.

Der Masseverwalter im Zeugenstand geriet mit dem Anwalt der klagenden Banken in ein Wortgefecht. Der Anwalt befragte ihn, warum er eine spanische Eigenmittelspritze für die Alpine Holding in der Bilanz 2011 angefochten habe. Das sei nur eine Zusage des Mutterkonzerns gewesen, die am 28. Dezember 2011 von der spanischen FCC gegeben worden sei. Das Geld, rund 12 Mio. Euro, sei erst im Spätherbst 2012 geflossen. "Mich verwundert, dass eine bloße Zusage als Aktivum bilanziert wird", sagte Engelhart.

Als der Anwalt darauf pochte, dass doch immerhin ein Zettel mit Unterschriften vorgelegen sei, ließ sich der Masseverwalter nicht beirren: "So ein formloses Papierl genügt nicht." Außerdem sei das Geld, als es im Herbst 2012 dann von den Spaniern floss, sofort von der Erste und der UniCredit zur Absicherung eines Aval-Kredits für die Alpine herangezogen worden.

Ein Zeuge von der Erste Group Bank aus der Abteilung Exportfinanzierung sagte heute aus, er sei nur der "Briefkasten" für die Übermittlung der Papiere von der Alpine an die Oesterreichische Kontrollbank gewesen. Die inhaltliche Prüfung der Papiere sei nicht bei ihm, sondern in der Bilanzanalyse-Abteilung und dem Risk Management der Bank erfolgt. Dort sei der Alpine die gesunde wirtschaftliche Basis attestiert worden.

Richter Johannes Wanke will nun einen Gutachter damit beauftragen, wie die wirtschaftliche Lage der Alpine zur Zeit der ULSG-Kredite 2009 und 2010 gewesen sei. Die Verhandlung vor dem Handelsgericht wurde auf nächstes Jahr vertagt.

In der Causa ermittelt auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu den Vorwürfen Bilanzfälschung, Gläubigerbeeinträchtigung, betrügerische Krida und gewerbsmäßiger Betrug sowie zu möglichen Verstößen nach dem Kapitalmarktgesetz. Für alle Betroffenen gilt die Unschuldsvermutung. (APA)