Interview : Die Industrie als El Dorado für „solide junge Menschen“

Herr Heinzlmaier, Sie erheben regelmäßig die Einstellungen von jungen Leuten. Sind für sie Jobs in der Industrie überhaupt noch erstrebenswert?

Bernhard Heinzlmaier Die Industrie funktioniert vielfach in einer traditionellen Art und Weise. Sie ist eine relativ entschleunigte Zone im Vergleich zur hyperdynamischen Start-up-Kultur. In der Industrie herrschen noch Normalarbeitsverhältnisse vor, sie ist ein Eldorado für sogenannte adaptiv-pragmatische HTL- und FH-Absolventen. Das sind keine Abenteurer, sondern solide junge Menschen, die nicht durch die Welt flanieren, sondern mit der Familie in einem Eigenheim leben wollen, das nicht weiter als eine Fahrtstunde vom Arbeitsplatz entfernt ist.

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Wird es diese Jobs in der Industrie künftig noch ausreichend geben?

Heinzlmaier Auch im Industriebetrieb 4.0 wird es Jobs geben, wenn auch weniger, und diese werden vor allem in der Planung, Kontrolle und der Wartung von Produktionstechnologien sein. Diese Jobs werden wohl eine höhere Qualifikation brauchen, als der alte Facharbeiter hatte.

Geht es dabei um digitale Qualifikationen oder bringen diese die sogenannten „Digital Natives“ ohnehin mit?

Heinzlmaier Digitale Fähigkeiten haben heute alle. Am Arbeitsmarkt ergeben sie kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Digitale Fähigkeiten sind zur allgemeinen Eingangsevaluierung des Arbeitsmarktes geworden, sieht man von Spitzenleistungen einmal ab.

Welche Skills sind es dann, auf die es künftig ankommen wird?

Heinzlmaier Das Wesen der Digitalisierung und vor allem der digitalen Medien ist die Beschleunigung. Reflexionszeiten werden verkürzt, Informationsoverload entsteht. Die wichtigste Fähigkeit in einer solchen Zeit ist Resilienz, also die Fähigkeit, das ständige Scheitern der eigenen Vorhaben zu verkraften. Man kann die vielen Aufgaben, die sich täglich stellen, nicht alle vernunftgesteuert erledigen. Man muss sich damit abfinden, vielfach impulsgesteuert zu reagieren. Das heißt, wir müssen mehr Spontanität lernen. Und wir brauchen das Vermögen der Symboldeutung. Wir beschäftigen uns nicht mehr mit Realitäten, sondern mit auf die Realität verweisenden Zeichen und Symbole. Diese müssen wir ordnen und ihnen Prioritäten zuweisen.

"Nur zupackende männliche Vorbilder können junge Menschen für den Industrieberuf begeistern"

Aus Sicht des Jugendforschers, wieweit bringen junge Leute diese Fähigkeiten mit?

Heinzlmaier Die jungen Menschen werden zu Symboldeutern erzogen, in den Schulen und durch die Medienrealität der Gesellschaft. Sie vertiefen sich in keine Angelegenheit zu stark und sind begnadete Selbstdarsteller. Aber: Psychische Erkrankungen, Erschöpfungserkrankungen etc. nehmen zu. Es müssen resilienzverstärkende Techniken vermittelt werden. Denn vieles gleichzeitig zu machen und den Verlockungen der Tiefe widerstehen zu können, darum geht es heute.

Ist das Bildungssystem darauf vorbereitet?

Heinzlmaier Natürlich muss sich das Bildungssystem ändern. Vor allem müssen wir aufpassen, dass nicht lauter postmaterialistische grünorientierte Lehrerinnen das Schulsystem dominieren. Die Schule braucht mehr Lehrer, die dem hyperaufmerksamen Charakter positiv gegenüberstehen, das heißt es geht um mehr Praxis und weniger Dalai-Lama-Romantik. Und wir müssen auch der Feminisierung des Lehrerberufes entgegenwirken! Nur zupackende männliche Vorbilder können junge Menschen für den Industrieberuf begeistern.

Viele Industriebetriebe beklagen, dass trotz hoher Arbeitslosigkeit gute Mitarbeiter schwer zu finden sind. Woran krankt es?

Heinzlmaier Es geht auch darum, die richtige Zielgruppe anzusprechen, also Kinder aus der adaptiv-pragmatischen Mitte der Gesellschaft. Und um das Hervorkehren von Sicherheit und Kontinuität sowie das Angebot von Identifikationsmöglichkeiten mit einer starken, erfolgreichen Marke.

Und worauf muss man sich generell am Arbeitsmarkt der Zukunft einstellen?

Heinzlmaier Auf das Ende des Normalarbeitsverhältnisses mit Kollektivvertrag, gesetzlicher Arbeitszeitregelung, Kündigungsschutz, Sozial- und Rentenversicherung. Mit der Arbeit als stabile Grundlage einer planbaren Biografie sollte keiner der jungen Arbeitsmarkteinsteiger mehr rechnen.

Ändert daran auch gute Qualifikation nichts?

Heinzlmaier Die Vermehrung von Qualifikationen führt gleichzeitig zu deren Entwertung. Selbst höchste Qualifikationen versprechen keine sichere Anstellung mehr. In Deutschland, dem Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit in der EU, spricht man bereits von der „prekären Vollbeschäftigungsgesellschaft“. Das ist wohl die wahrscheinlichste Zukunftsvision. Alle werden einen Job haben, die meisten dieser Jobs werden aber Teilzeitjobs, Jobs mit begrenzter Laufzeit oder gar Angebote aus dem Crowdworking-Segment sein.

Das Interview führte Daniela Friedinger.