Automatisierung : B+R: ABB's risikofreies Startup, das Siemens dereinst schmerzen könnte

Startups zu kaufen oder sich an ihnen zu beteiligen ist im Moment der große Trend in der Industrie – viele neue Technologien warten nur darauf entdeckt und adaptiert zu werden, meinen die Pilger gen Silicon Valley, Barcelona oder Berlin. Keiner will zu spät kommen. Manchmal verpassen Konzerne auch den richtigen Zeitpunkt zum Kauf. Siemens hätte beispielsweise vor vielen Jahren in Voice-over-IP investieren können – die Deutschen zögerten, Cisco entstand. Die meisten jungen Unternehmen aber werfen erstmal keine Gewinne ab. Sie brauchen Geld – das ist ein Risiko.

Ulrich Spiesshofer, CEO von ABB, investiert laut Branchengeflüster auch bis zu zwei Milliarden in ein Startup, das in einem Keller in einer Bank im Salzburger Land gegründet wurde. Allerdings ist das Invest weitgehend risikofrei, denn die Gründung war schon 1979 und das Unternehmen B&R macht heute Gewinne, wächst zweistellig jedes Jahr und ist einer der wichtigsten Automatisierer im Maschinenbau mit über 4.000 Kunden – ein für ABB wichtiger Zielmarkt, den man schon vor einigen Monaten identifiziert hatte und sich medial „als Partner des Maschinenbaus“ präsentierte. Jetzt suchte man sich selber einen Partner.

Siemens fehlt die Robotik

Die Österreicher haben Technologien nach denen sich Spiesshofer und die „ABB-Familie“ sehnt. Der B&R-Kauf ist Spiesshofers wichtigstes Projekt, denn er erweitert ABBs Produkt- und Lösungsportfolio um die SPS-, die Industrie PC- und Servomotoren-Kompetenz von B&R. Viele Industrie- und Maschinenbauanwender assoziierten in der Vergangenheit mit ABB nicht unbedingt die SPS. Die Stärke lag eher in den Antrieben, in der Prozessautomatisierung und Elektrifizierung.

Mit dem Kauf schwingt sich ABB, der „Marktführer in der Prozessautomatisierung“, zum einzigen Komplettanbieter am Maschinen- und Fabrikautomatisierungsmarkt auf und sticht seinen Wettbewerber Siemens aus. Den Deutschen fehlt im Angebotsportfolio die Robotik. Gleiches gilt auch für die Konkurrenz aus Frankreich von Schneider Electric. Vom Schluss einer „historischen Angebotslücke“ spricht Spiesshofer deshalb. Ob man diese auch mit anderen Unternehme hätte schließen können? „Man habe sich auch andere angesehen“, erklärt Spiesshofer. B&R ist es geworden und alle Parteien sind jetzt glücklich.

Für den Standort in Oberösterreich ändert sich mit der „neuen Familie“ personell nicht viel – CEO bleibt, Personal bleibt und noch Eigentümer helfen bei der Integration. Im Gegenteil: ABB wird investieren, denn manche Aufgaben der SPS übernehmen zukünftig auch wohl andere Komponenten wie die MICA von Harting aus Deutschland. Darauf haben B&R und die anderen Automatisierer zwar Antworten, doch die Digitalisierung verändert in zunehmender Geschwindigkeit die Industriewelt. „Die Automatisierung wird sich noch intensiver mit der IT beschäftigen müssen“, prophezeit Josef Fritsche, Softwareentwickler, vom B&R-Wettbewerber Bachmann electronic aus Feldkirch in der letzten Ausgabe gegenüber diesem Magazin. Die SPS-Programmiersprache IEC 61131 ist für ihn keine Zukunftssprache in der Industrie. „Wir müssen uns an die IT anpassen und etablierte Hochsprachen wie Java oder Python oder auch funktionale Sprachen lernen. Damit gewinnen wir Anwender am Markt.“ Hochsprachen-Programmierung schafft Flexibilität hat eine große Entwicklergemeinschaft und bietet Hardwareunabhängigkeit.

Um diese Themen muss sich jetzt auch Ulrich Spiesshofer und die vergrößerte „ABB-Familie“ kümmern. Aber so ist das eben, wenn man ein Startup kauft.