Gas in Österreich : Russland/Ukraine: So steht es jetzt um die Energieversorgung

Eine Gasleitung aus Stahl. Eine neue Pipeline könnte 30 Milliarden Kubikmeter Gas von Spanien nach Europa liefern.
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Der russische Energiekonzern Gazprom erfüllt nach eigenen Angaben weiter seine Verträge über Gaslieferungen durch die Ukraine nach Europa. Auch zu Wochenbeginn blieb die Menge demnach auf unverändert hohem Niveau. Am Montag würden 109,5 Mio. Kubikmeter durch die Röhren gepumpt, sagte der Sprecher von Gazprom, Sergej Kuprijanow. Laut Vertrag liefert Gazprom jährlich 40 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Nachfrage der Kunden in Europa sei deutlich gestiegen.

"Die Gasflüsse gehen unvermindert weiter", sagte auch E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch zuletzt. "Hier ist keine Einschränkung zu erkennen." Aus dem für Energie zuständigen Infrastrukturministerium heißt, dass die Versorgungssicherheit Österreichs weiterhin gewährleistet sei. Ein Stopp der Gaslieferungen Russlands nach Österreich sei derzeit nicht unmittelbar absehbar.

Doch wie lange noch? Im Westen wird befürchtet, dass Russland wegen der beispiellosen Sanktionen gegen das Land nach dem Angriff auf die Ukraine den Gashahn abdrehen könnte. Die Energiegroßmacht hatte lange betont, auch in größten Krisen stets zuverlässig geliefert zu haben. Doch vor kurzem hat Russland erstmals offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedroht. "Wir haben das volle Recht, eine "spiegelgerechte" Entscheidung zu treffen und ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1, die heute maximal mit 100 Prozent ausgelastet ist", sagte der russische Vize-Regierungschef Alexander Nowak.

Bei einem Wegfall der Russlandimporte wären rund 10 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Europa gefährdet, in Österreich wären es sogar 19 Prozent, ergab eine Studie des österreichischen Kreditversicherers Acredia in Zusammenarbeit mit Euler Hermes.

Die Kreditversicherer sehen drei Möglichkeiten, einen Ausfall zu kompensieren: Mehr Erdgas aus anderen Ländern importieren, mehr Energie aus anderen Quellen erzeugen und die Erdgas-Nachfrage durch erhöhte Preise drosseln. Ein Anstieg des Strompreises um 40 Prozent und ein Verdoppeln des Gaspreises könnten die Nachfrage um 8 bis 10 Prozent sinken lassen, so Acredia und Euler Hermes am Montag laut einer Aussendung. "Stoppt Russland die Gaslieferungen, dann ist ein Preis von 200 Euro/MWh möglich", so Acredia-Vorständin Gudrun Meierschitz. In Österreich würde das die Stromnachfrage um 8 Prozent reduzieren.

Europas Gasspeicher seien derzeit zu 29 Prozent gefüllt, das reiche bei diesem milden Winter bis Ende März. Im Sommer müssten die Reserven wieder aufgefüllt werden. Es gebe zwar erste Bestrebungen der EU, mehr Erdgas aus Ländern wie Algerien und Katar zu beziehen, die begrenzten Kapazitäten würden allerdings nur einen Zeitpuffer von drei Tagen schaffen, räumen die Kreditversicherer ein. Ein Umstieg auf andere Lieferländer setze einen Zugang zum Pipeline-Netzwerk voraus, was nicht bei allen potenziellen Partnern der Fall sei.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die für Rohstoffe zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) waren in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), um grünen Wasserstoff zu bekommen. Eine entsprechende Absichtserklärung mit dem Industrieminister der VAE, Sultan Bin Ahmad Sultan Al Jaber, wurde am Wochenende unterzeichnet.

Um die Gasimporte aus Russland zu ersetzen, müsste die Produktion aus erneuerbarer Energie um 1 Exajoule (278 TWh) pro Jahr gesteigert werden, berechneten Acredia und Euler Hermes. Dazu seien jährliche Investitionen von 170 Mrd. Euro notwendig, das entspreche 1,3 Prozent des europäischen BIP. Für Österreich würde das bedeuten, dass die Produktion aus Solar- und Windenergie um je 38 Prozent und aus Bio-Gas um 20 Prozent gesteigert werden müssten.

"Die Gretchenfrage in den nächsten Stunden" ist für den Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, ob unter diesen Bedingungen - der Kombination von Swift-Sanktionen plus Zentralbank-Sanktion - Russland überhaupt bereit sei, weiter Gas zu liefern, denn mit den Euros, die da jetzt durch Ausnahmen von den Swift-Sanktionen weiter fließen können, könne Russland wenig anfangen. "Das ist quasi als ob man anschreiben ließe irgendwo im Ausland, da baut sich dann jetzt ein Euro- oder Dollar-Guthaben auf, aber das kann Russland nicht einsetzen, um damit zum Beispiel in Indien oder in Japan irgendwelche wertvollen Dinge zu kaufen, die für die Kriegsführung relevant wären", so Felbermayr. (Lesen Sie mehr dazu hier.)

Eine weitere Möglichkeit, die vielerorts diskutiert wird: ein Stopp der Gas-Lieferungen, der von Europa selbst ausgeht – nämlich als weitere Sanktion. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich Donnerstagabend skeptisch gegenüber einem solchen Boykott geäußert. Es wäre "ganz schlecht, eine Maßnahme zu treffen, von der wir wissen, wir halten sie nicht durch". Van der Bellen verwies darauf, dass nicht nur Privat-Haushalte sondern auch Industrie und Gewerbe betroffen wären.

Aus Sicht des Bundespräsidenten geht es darum, eine Rezession und einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit abzuwenden. Immerhin meint Van der Bellen, dass es Ziel sein müsse, die Lieferanten insbesondere im Gasbereich, aber auch bei Öl und Kohle zu diversifizieren: "Wie sich jetzt herausstellt, war es nicht klug, sich darauf zu verlassen, dass russisches Gas immer geliefert wird."

Angst um Gas in der Industrie

Auf die mögliche Situation, dass es als Folge der Ukraine-Krise zu wenig Gas für die Industrie gibt, müsse man sich vorbereiten, sagte Stefan Borgas, CEO von Feuerfestkonzern RHI Magnesita. "Für uns gilt das insbesondere für Österreich, weil wir dort unsere Rohstoffproduktion haben, und die Rohstoffproduktion braucht mit Abstand am meisten Energie." Wenn man in der Steiermark (Breitenau) und Tirol (Hochfilzen) nicht genug Gas habe, gehe die Produktion dort zurück. "Das ist insofern eine Gefahr, weil unsere Produkte natürlich die Basis sind für Stahl, Zement, Glas, Kupfer und alle diese Produkte. Wenn wir jetzt nicht mehr produzieren können, dann stehen ein paar Wochen später die Stahlöfen überall." (Lesen Sie mehr dazu hier.)

Lagebericht Nord Stream 2

Der Energiekonzern Shell gibt seine Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Konzern Gazprom und zugehörigen Firmen auf. Dazu gehöre auch die Beteiligung an Nord Stream 2. Dies werde Abschreibungen zur Folge haben, teilte Shell am Montagabend mit.

Aus Österreich ist die teilstaatliche OMV an der Finanzierung der fertiggestellten aber nun auf Eis liegenden Pipeline beteiligt gewesen.

Wirtschaftskammer: Gasspeicher zentral

Die Wirtschaftskammer warnt vor Problemen mit der Energieversorgungssicherheit im Zuge des Krieges in der Ukraine. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt Österreich vor eine kritische Situation in der Energieversorgung. Die zuständige Energieministerin Leonore Gewessler muss rasch Maßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit in Österreich aufrechtzuerhalten", fordert Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Dafür müssten "umgehend andere Quellen der Gasversorgung abseits von Russland erschlossen werden". "Eine Diversifikation der Gasbezüge hat nun neben der raschen Auffüllung unserer Gasspeicher höchste Priorität", so Kopf mit Blick auf den morgen stattfindenden Energieministerrat in Brüssel.

Die österreichischen Gasspeicher seien zentral, um die Versorgung in Krisenzeiten zu gewährleisten. "Vergangenen Sommer wurden sie aufgrund der hohen Gaspreise nicht ausreichend befüllt. Das wird bei einem allfälligen Lieferstopp Russlands nicht erst im kommenden Winter für viele Haushalte, sondern schon in wenigen Wochen für viele gasbetriebene Produktionsanlagen ein existenzielles Problem", warnt Kopf.

Für eine bessere Diversifizierung der Energieträger gelte es, die Potenziale bei den erneuerbaren Energien dringend zu heben. Zudem fehle nach wie vor eine ambitionierte Wasserstoffstrategie für Österreich.

Neben der Sicherstellung der Versorgung fordert der WKÖ-Generalsekretär "ein schlüssiges Konzept mit finanziellen Entlastungsmaßnahmen für energieintensive Unternehmen" von der Bundesregierung.

Energielenkungsbeirat tagt

Um das Thema der aktuellen Erdgasversorgung Österreichs zu beraten, hat Infrastrukturministerin Leonore Gewessler für Montag den Energielenkungsbeirat einberufen. Das Gremium, dem Vertreter verschiedener Ministerien, der Sozialpartner, des Regulators E-Control, der gesamten Energiewirtschaft sowie der Parlamentsparteien angehören, soll dabei auch mögliche Szenarien zur Versorgung diskutieren.

Die aktuelle Lage sei "ernst und wir beobachten sie genau", so Gewessler. Es sei nicht abzusehen, ob Russland weiter liefern werde. Mögliche Lenkungsmaßnahmen hätten immer das Ziel, Österreich gut durch eine Gasknappheit zu bringen. Dazu zähle etwa die vorrangige Lieferung von Gas an Haushalte und ein Drosseln von Gaslieferungen an die Industrie.

Das Gremium ist zuletzt Anfang 2009 wegen der Gaslieferengpässe im damaligen russisch-ukrainischen Gasstreit aktiv geworden. Österreich bezieht 80 Prozent seines Erdgases aus Russland.

Energiepreise als nächstes Problem

Versorgungsprobleme und -unsicherheiten können freilich auch die Energiepreise weiter penibel in die Höhe treiben. Zuletzt verstärkte sich der Anstieg der Erzeugerpreise in Österreich ein weiteres Mal verstärkt. Der Zuwachs betrug binnen Jahresfrist 18,4 Prozent.

Hauptverantwortlich war eine hohe Preisdynamik bei Energie (+43,3 Prozent), getrieben durch hohe Anstiege für "industriell erzeugte Gase; Dienstleistungen der Gasversorgung" (+52,4 Prozent), sowie für "elektrischen Strom und Dienstleistungen der Elektrizitätsversorgung" (+35,1 Prozent).

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank und Präsident des Deutschen Bankenverbands, Christian Sewing, befürchtet einen zusätzlichen Preisschub und höhere Inflationsraten: "Die Preise werden mit Sicherheit weiter steigen, insbesondere für Energie und Rohstoffe."

Deutschland bereitet sich auf Lieferstopp vor

In Deutschland bereitet sich die Bundesregierung auf einen völligen Stopp russischer Lieferungen von Gas oder Öl vor. Sie schließt daher auch einen Weiterbetrieb der AKW über das geplante Ende in diesem Jahr hinaus nicht völlig aus, wenn er auch als unwahrscheinlich gilt. Auch das angepeilte Datum des Kohleausstiegs 2030 wird angesichts der Entwicklung infrage gestellt.

Vor einem Sondertreffen der EU-Energie-Minister betonte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck: "Energiepolitik ist Sicherheitspolitik." Die Abhängigkeit von russischen Importen müsse überwunden werden. "Ein Kriegstreiber ist kein verlässlicher Partner." Zudem müsse die Energiewende europäisch vorangetrieben werden. "Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eine Frage der nationalen und europäischen Sicherheit."

Deutschland will sich bis 2035 ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen. Die entsprechende Novelle des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) ist fertig. Habeck hatte den beschleunigten Ausbau auch als zentrales Element bezeichnet, um sich unabhängiger von russischen Lieferungen fossiler Energien zu machen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte von "Freiheitsenergien" gesprochen.

Wie steht es um Öl?

Rohstoffexperten beschäftigen sich auch mit den Konsequenzen für die Öllieferungen Russlands. Das Land ist einer der weltgrößten Rohölförderer und -exporteure. Die Internationale Energieagentur (IEA) will am Dienstag eine außerordentliche Sitzung zu der Thematik abhalten. Währenddessen steigen die Ölpreise weiter.

Die Sanktionen richten sich bisher nicht direkt gegen den Ölsektor. Ebenso hat Russland bisher keine konkreten Gegensanktionen auf dem Gebiet ergriffen. An den Märkten wird spekuliert, dass große Volkswirtschaften wie die USA einen Teil ihrer strategischen Erdölreserven freigeben könnten.

Der norwegische Energiekonzern Equinor hat bereits den Stopp seiner Investitionen in Russland sowie den Rückzug aus Gemeinschaftsunternehmen mit russischen Partnern angekündigt.

Die Investitionen von Equinor in Russland betrugen Ende 2021 1,2 Milliarden Dollar (1,1 Mrd. Euro); seit 2012 arbeitet der Konzern mit dem russischen Ölkonzern Rosneft zusammen. Equinor fördert nach eigenen Angaben bisher rund 25.000 Barrel Öl pro Tag in Russland. Norwegen gehört nicht zur Europäischen Union, hat aber seit Beginn der Ukraine-Krise die gleichen Sanktionen verhängt. (apa/red)