Versorgungssicherheit : Borealis und der Düngemittel-Verkauf

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Agrolinz Melamine und Borealis LAT am Standort in Linz: Würde man würde sich durch den geplante Verkauf in der AdBlue-Produktion abhängig machen?

- © Borealis Group

Die Verkaufspläne der OMV-Tochter Borealis, die ihre Düngemittelsparte - konkret die Unternehmen Agrolinz Melamine und Borealis LAT - an den tschechischen Agrofert-Konzern veräußern will, geraten immer stärker unter Beschuss. Kritiker stehen dadurch die Sicherheit der Lebensmittelversorgung in Österreich gefährdet - aber fürchten auch um die heimische Produktion von AdBlue, jenem Dieselreiniger, dessen Knappheit derzeit die Preise treibt.

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Die Produktion des Dieselzusatzstoffes ist ähnlich wie jene von Düngemitteln stark von der (gasintensiven) Produktion von Ammoniak und Harnstoff anhängig. In Österreich wird AdBlue vor allem von der OMV-Chemietochter Borealis LAT produziert. Derzeit ohne Einschränkungen, wie es aus dem Konzern heisst. Insgesamt ist der Dieselreiniger jedoch derzeit in Zentraleuropa Knapp und Logistiker, deren LKW große Mengen von AdBlue brauchen, spürt den Mangel. Der Hauptgrund für die Knappheit: Das deutsche Unternehmen SKW hat die Produktion des Dieselreinigers aufgrund explodierender Gaskosten monatelang eingestellt. Eigentümer der SKW ist ausgerechnet jene tschechische Agrofert, an die die OMV-Tocher Borealis die Düngemittelsparte verkaufen will.

Kartellrechtsproblem?

Kritiker des Borealis-Deals, wie der niederösterreichische Bauernbund haben sich jetzt hochrangige Unterstützung aus der Industrie und von Kartelljuristen geholt. Man will den geplanten Deal auch mit Hilfe der europäischen Kartellwächter zu Fall bringen. Zur Unterstützung haben die Bauern den Verfassungsjuristen Heinz Mayer engagiert, der den Verkauf für unzulässig hält.

"Alle reden von Versorgungssicherheit, und dann verkauft ein teilstaatliches Unternehmen ohne jede Not einen hochprofitablen Zweig, der die Versorgungssicherheit ganz Österreichs betrifft" so Stephan Pernkopf, Obmann des niederösterreichischen Bauernbundes.

Kartellrechtlich problematisch, so die Kritiker: Nach dem geplanten Zusammenschluss mit Agrofert hätte das fusionierte Unternehmen einen Marktanteil von 70 bis 80 Prozent, "was eindeutig einer marktbeherrschenden Stellung gleichkommen würde". Die zweit-, dritt- und viertgrößten Produzenten - EuroChem, Ostchem und Uralchem - seien entweder in der Ukraine oder in Russland tätig, deren Produktion würden derzeit nicht auf den Markt kommen.

"Wir lehnen gerade aus diesen aktuellen Umständen jede weitere Konzentration wichtiger Marktteilnehmer ab", so Pernkopf. Alternative Angebote seien wegen der hohen Transportkosten de facto nicht verfügbar. "Der Preis von Düngemitteln und AdBlue ist in den letzten ein, zwei Jahren um das Drei- bis Vierfache gestiegen."

Claus J. Raidl
Ehemaliger Böhler-Uddeholm-Boss Claus Raidl: "Es ist der Eigentümer natürlich in seinem nationalen Land mehr verbunden - der will dort keinen Streit mit den Gewerkschaften, da schließt er lieber Linz - als mit seinen ausländischen Akquisitionen." - © Industriemagazin

Verfassungsrechtliche Versorgungssicherheit?

"Die Realisierung des Verkaufs stünde auch im Gegensatz zur Bundesverfassung, in der sich die Republik zur Sicherung der Versorgung mit heimischen Lebensmitteln bekennt", sagte Pernkopf und verwies auf ein Rechtsgutachten des Verfassungsjuristen Heinz Mayer, der auf das ÖIAG-Gesetz verweist, an das die Mitglieder des Aufsichtsrates der Borealis-Mutter OMV gebunden seien.

Sie müssten in diesem Fall öffentlichen Interessen den Vorzug geben vor dem Einzelinteresse des Unternehmens, weshalb der Verkauf unzulässig sei. Schützenhilfe bekommen die Bauern auch vom langjährigen Böhler-Uddeholm-Chef und Ex-Nationalbankpräsidenten Claus Raidl. Er glaubt nicht, dass die Ertragskraft von Borealis geschmälert würde, sollte der Verkauf abgeblasen werden. Und selbst wenn das der Fall wäre, müsste das in Abwägung des öffentlichen Interesses in Kauf genommen werden.

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OMV-Chef Alfred Stern: Der Mineralölkonzern soll zum Chemiekonzern umgeformt werden, doch die Borealis-Töchter passen nicht in die Strategie. - © OMV Solutions GmbH

Plötzlich fast doppelt soviel geboten?

Ursprünglich sei geplant gewesen, die Borelis-Düngersparte an den russischen EuroChem-Konzern (der in der Schweiz domiziliert ist) um 455 Mio. zu verkaufen, sagte Pernkopf. Nachdem dieser Verkauf gestoppt wurde, habe Agrofert keine drei Monate später 810 Mio. Euro geboten. "Mein Umkehrschluss ist: Wäre dieser Käufer nicht auf die Sanktionsliste gekommen, hätten wir um 355 Millionen weniger verkauft." Heuer weise Borealis einen Halbjahresgewinn der Düngemittelsparte von 256 Mio. Euro aus. "Wenn man das hochrechnet, sind das 500 Millionen Jahresgewinn, das heißt, der jetzige Käufer hätte den Kaufpreis von 810 Mio. Euro in eineinhalb Jahren herinnen."

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Stephan Bernkopf: "Wäre dieser Käufer nicht auf die Sanktionsliste gekommen, hätten wir um 355 Millionen weniger verkauft." - © Stephan Pernkopf

Standortgarantie?

Die Staatsholding ÖBAG verweist in ihrer Reaktion darauf, dass Agrofert ein europäisches Unternehmen sei und "öffentlich und unmissverständlich eine Standortgarantie für Linz abgegeben" und sich dazu bekannt habe, weiter in die Zukunft des Werks zu investieren und somit auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit sei in Form eines Pakets mit der oberösterreichischen Landespolitik vereinbart worden.

"Der Standort Linz gehört zu den wettbewerbsfähigsten Produktionsstätten und wird dies im Agrofert-Konzern auch bleiben. Aus diesen Gründen kann die ÖBAG die vorgebrachten Argumente gegen den Verkauf nicht nachvollziehen, steht aber jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung", heißt es in einer Stellungnahme der ÖBAG. Von der Standortgarantie der Tschechien für die Borealis-Produktion hält Raidl wenig und verweist auf seine eigene Erfahrung als Böhler-Uddeholm-Chef. "Es ist der Eigentümer natürlich in seinem nationalen Land mehr verbunden - der will dort keinen Streit mit den Gewerkschaften, da schließt er lieber Linz - als mit seinen ausländischen Akquisitionen."

Agrofert sei auch Eigentümer des deutschen Düngemittel- und AdBlue-Produzenten SKW in Piesteritz (Sachsen-Anhalt) und habe das Werk dort stillgelegt, sagte Pernkopf, man würde sich also durch den geplante Verkauf an die Tschechen abhängig und erpressbar machen.

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