Retrospektive : Friedrich Huemer: "Wir sind wie Bettler behandelt worden"

Polytec-Eigentümer Friedrich Huemer
© Helene Waldner

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Huemer, vor genau einem Jahr sind Sie nur knapp dem Konkurs entronnen. Hauptgrund dafür war die Übernahme des Kunststoffsystemlieferanten Peguform. Sie haben diese Akquisition – größer als Polytec selbst – im Sommer 2008, kurz vor dem Lehmann-Kollaps, zum Grossteil fremdfinanziert. Bereuen Sie diese Entscheidung?

Friedrich Huemer: Die Übernahme war ein Unglück – aber sie war strategisch zu hundert Prozent richtig und aus Sicht zum Zeitpunkt der Kaufvertragsverhandlungen auch attraktiv bewertet. Aber ich muss zugeben, dass ich angesichts der Finanzierung schon damals ein bisschen Bauchweh hatte.

Weshalb?

Weil diese Übernahme die erste wesentliche Akquisition war, bei der wir nicht Buttom-Up finanzierten und hohe Bankverbindlichkeiten in der Holding aufnehmen mussten. Denn trotz des starken Wachstums der Polytec Gruppe hat sich unsere Eigenkapitalquote immer in der Höhe von plus minus 40 bewegt. Wenn wir in unserer Firmenhistorie akquiriert haben, waren das zum größten Teil Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten, insolvenzgefährdet oder bereits insolvent – wobei wir jeweils deutlich unter Substanz- oder Buchwerten gekauft haben. Bei größeren Übernahmen haben wir zusätzlich über Kapitalerhöhungen gemeinsam mit dem im Jahre 2000 eingestiegenen Finanzinvestor aber auch beim Börsegang 2006 Eigen-Kapital zugeführt.

Im Sommer ist Peguform an die Cross Holding von Stefan Pierer und Rudolf Knünz verkauft worden. Sie sind jetzt ihre Schulden aus der Akquisition los. Die Cross Holding hat, grob gesagt, dafür ihren Polytec-Anteil an die RLB Oberösterreich abgegeben. Sind Sie mit dieser Lösung glücklich?

Die Lösung an sich war nicht meine Wunschlösung. Sie ist strategisch völlig falsch, war jedoch die einzige Variante, die von allen involvierten Banken mitgetragen wurde, das hat man zu akzeptieren.

Wenige Tage nach dem Deal wurde bekannt, dass ebenjene Cross Holding Probleme hat, Anleihen ihrer Tochtergesellschaft KTM zu refinanzieren. Auch bei der KTM sprach man von Konkursgefahr und die Finanzierung war anscheinend nur mit Landeshaftung möglich. Cross hatte also sogar noch weniger Geld als Sie. Fühlen Sie sich über den Tisch gezogen?

Sagen wir so: Die Möglichkeit, Polytec in ihrer damaligen Aufstellung zu retten, war gegeben, sowohl Peguform hatte eine weitgehend ausreichende Finanzierung als auch die operativen Unternehmen der Polytec Gruppe. Es war jedoch in beiden Unternehmensteilen absehbar, dass Zusatzfinanzierung notwendig sein würde, dafür wollten die Banken auch Beiträge der Hauptaktionäre sehen, was aufgrund der unterschiedlichen Interessenslage der Parteien praktisch unmöglich war. Aber ich muss zugeben, ich habe die finanzielle Potenz der Cross Holding damals überschätzt. Und dass ich die Cross Holding als zu unserer Seite gehörig wahrgenommen habe, war, wenn sie so wollen, wohl mein Fehler.

Zu alldem kam im Vorjahr auch die Absatzkrise. Ihr LKW-Geschäft ist um 70 Prozent eingebrochen, das PKW-Geschäft immerhin noch um fast 25 Prozent. Welche Rolle haben die OEMs in der Krise gespielt?

Ich war gelinde gesagt ernüchtert. Als Unternehmer und auch in meiner Vorstandsfunktion habe ich natürlich höchstes Verständnis, dass jeder Manager versucht, die Interessen seines Unternehmens in den Vordergrund zu stellen. Aber: Die ausgemachten Preise basieren auf einer vom Kunden vorgegebenen Abnahmemenge. Bei deutlicher Unterschreitung hat man das Recht, Preise entsprechend anzupassen. Faire Verhandlungen und das Akzeptieren von angemessenen Beiträgen hätte ich mir jedoch vor allem aus dem LKW-Bereich bei extremen Umsatzeinbrüchen erwartet. Wir wurden jedoch wie Bittsteller – oder um es krass auszudrücken – fast wie Bettler behandelt. Vor dem Nachweis einer längerfristigen Finanzierung war man nicht einmal zu Verhandlungen bereit. Ein Mindestmass an Kostenkompensation durch die Kunden wäre jedoch für die Banken Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Finanzierungskonzept gewesen.

Mit welcher Erwartungshaltung sind sie denn in das Gespräch mit den Kunden gegangen? Anders gefragt: Weshalb hätte ein LKW-Hersteller mehr für Ihre Teile bezahlen sollen?

Ganz einfach: Weil unsere Stückkosten aufgrund der dramatischen Umsatzrückgänge stark gestiegen sind. Denn immerhin mussten wir unsere gesamte Infrastruktur aufrechterhalten, Fixkosten konnten daher nicht wesentlich reduziert werden. Ein Beispiel: Wir liefern bei allen Kunden im Wesentlichen nicht nur „just-in-time“, sondern „just-in-sequence“, die Kunden haben ihre Produktion aber dramatisch zurück gefahren. Kunde A schloss sein Werk z.B. für eine Woche, und arbeitete dann eine Woche voll. Kunde B arbeitete eine halbe Woche halb und dann eine Woche gar nicht, der eine schliesst tageweise, der andere wochenweise. In diesem Szenario pünktlich zu liefern bedeutet enorme Schwankungen der Losgrössen, der Anzahl der Werkzeugwechsel und des Personaleinsatzes. Die Planungen wurden laufend geändert, trotzdem haben wir alle Kunden sowohl terminlich als auch qualitativ hervorragend beliefert.

In ihren bisherigen Ausführungen haben Sie eher das Verhalten von Nutzfahrzeughersteller erwähnt. Welche Erfahrungen haben Sie mit den OEMs im PKW-Bereich gemacht?

Im Prinzip eher ähnlich. Aber es zeigte sich nach einem ersten Schock, dass eine Erholung schneller wieder absehbar war. Aufgrund des geringeren Rückganges stiegen in diesem Bereich unsere Kosten auch nicht so dramatisch. Teilweise wurde auch durch die Abkürzung von Zahlungszielen aber auch Zwischenabrechnung von Werkzeug- und Engineering-Projekten branchenweit Beiträge zur Liquiditätssicherung geleistet. Dies war für uns von besonderer Bedeutung, da wir damals Engineering-Projekte im Wert von deutlich über 100 Millionen Euro in den Büchern hatten. Beträge die wir längst ausgegeben hatten, und vom Kunden geschuldet wurden.

Wie haben Sie die Rolle der Banken in dieser Zeit wahrgenommen?

Sehr, sehr unterschiedlich. Die Raiffeisen Landesbank Oberösterreich, die im Gegensatz zu anderen Banken von je her unsere Hausbank war, hat uns in dieser Phase immer unmissverständlich signalisiert „Wir stehen hinter Polytec – und werden Polytec – nicht aber Peguform – durchfinanzieren.“ Diese Finanzierungszusage hat Herr Generaldirektor Scharinger sogar öffentlich kommuniziert. Vertreter der RLB haben sogar gemeinsam mit uns Kunden besucht um dort unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass man sogar über die zugesagten Mittel bereit sei, Neuprojekte zu finanzieren – eine Zusage, die uns zuletzt bei Kunden klar gestärkt hat..

Zu den finanzierenden Banken gehörten allerdings auch die Oberbank, die Bank Austria und die Investkreditbank...

Die Oberbank hat jahrelang versucht, mit uns ins Geschäft zu kommen. Anlässlich der Akquisition wurde die Oberbank dann auch finanzierende Bank der Peguform. Aufgrund deren relativ geringen Verschuldung hatte die Oberbank jedoch das kleinste Risiko von allen Banken. Die starken Beziehungen der Bank zur Cross Holding haben dann mit Sicherheit die spätere Lösung – einen Verkauf der Peguform an Cross – beeinflusst. Denn eine Insolvenz der Polytec hätte die Oberbank aufgrund ihres starken Engagements in der Cross, KTM und der UIAG schwer getroffen. Wirklich entsetzt war ich nur vom Vorgehen der Investkredit.

Inwiefern?

Die Investkredit hat grundlos eine Kreditlinie in Höhe von 10 Millionen Euro, für die ich sogar gebürgt habe, für ein Unternehmen meiner Familie (Anm.: die PPI, ein von Polytec unabhängiges Kunststoffunternehmen im Besitz der Familie Huemer) mitten in der Saison gekündigt. Ich musste daher entsprechende finanzielle Mittel reservieren, die ich ansonsten als Finanzierungsbeitrag für die Polytec hätte verwenden können. Herr Mendel, Vorstand der Investkredit Bank wurde damals persönlich richtig beleidigend. Ausgerechnet jener Herr Mendel, dessen Tochterunternehmen Kommunalkredit durch riesige Spekulationsgeschäfte bekannt wurde – und der heute Generaldirektor–Stellvertreter der ÖVAG ist, die nach diversen Medienberichten nur durch Staatsgelder am Leben erhalten wird. Er hat vielleicht damals unter ähnlichem Druck gestanden wie ich...

Formal lässt sich aber am Verhalten von Investkredit und Oberbank nichts aussetzen, oder?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Meine Darstellung soll nicht als Vorwurf betrachtet werden. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass alle genannten Banken unsere Akquisition Peguform sehr aktiv unterstützt und gefördert haben, war die Reaktion in Summe doch eher enttäuschend. Wenn man weiters berücksichtigt, dass gerade die bei Polytec involvierten Banken unmittelbar nach Abschluss unserer Vereinbarung über den Peguform-Verkauf die Refinanzierung der KTM-Anleihe ermöglicht haben, ergibt das für die Polytec-Lösung nicht wirklich die beste Optik. Das Networking der Cross-Eigentümer Pierer und Knünz war offensichtlich besser als meines.

Wie haben Sie diese Tage persönlich erlebt?

Diese Tage und Wochen waren für mich sicher traumatisch. Ich war über eine Zeit lang sowohl durch die unklare Situation mit den Banken aber auch emotional in meinen Entscheidungen völlig blockiert.

Die Tageszeitung Der Standard titelte nach der Polytec-Rettung sehr prägnant: „Polytec gerettet – Huemer entmachtet“.

Nun, das war grundsätzlich nicht ganz falsch. Letzen Endes gilt das Sprichwort: „In einer Firma entscheidet immer derjenige, dem die Passivseite der Bilanz gehört.“ Es hat in dieser Zeit auch Banken gegeben, die meinen Kopf gefordert haben. Und wenn ich „nur“ angestellter Vorstandschef gewesen wäre, wäre ich froh gewesen, davon laufen zu können. Aber das konnte ich nicht. Ich bin nicht überzeugt, ob es Polytec heute noch geben würde, wenn ich damals ausgeschieden wäre, da in unserer Industrie manager- und nicht eigentümergeführte Unternehmen in der Krise sehr schnell Insolvenz anmelden, da sie vom Kunden geradezu motiviert werden.

Das klingt kämpferisch. Plant Friedrich Huemer mit der Polytec einen Neustart?

Den Neustart hat es bereits gegeben. Es gibt mit Herrn Jagl und Herrn Schreiner zwei neue Vorstandsmitglieder, mit denen wir uns sehr gut ergänzen, die Ergebnissituation im 2. Halbjahr 2009 zeigt gegenüber dem 1. Halbjahr eine deutliche Verbesserung. Wir haben unseren Umsatz im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr von 140 auf 165 Millionen Euro gesteigert, das EBITDA hat sich in diesem Zeitraum von -6,6 auf +3,6 Millionen Euro verbessert, für das gesamte Jahr planen wir zumindest ein positives EBIT.

Herr Huemer, wo soll die Polytec in fünf Jahren stehen? Und was wird dann ihre Rolle im Unternehmen sein?

Im Idealfall werden wir nach dieser schwierigen Zeit durch das eine oder andere M&A-Projekt – das kann eine Übernahme – bevorzugt aus einer Insolvenz - aber auch eine Fusion sein – wieder an Bedeutung gewonnen haben. Und je nach dem, was ich dazu beitragen kann, ob besser als CEO oder als aktiver Aufsichtsrat - danach wird sich meine Rolle bemessen.

Das war das Ideal-Szenario. Ist es für Sie auch denkbar, dass die Polytec Group kleiner wird?

Ja, natürlich. Das gerade beschriebene wäre natürlich das Wunschszenario von mir und dem gesamten Vorstand der Polytec Group. Das zweite Szenario wäre, dass wir vielleicht Teile an Mitbewerber verkaufen, weil wir erkennen, dass wir in einigen Bereichen nicht groß genug werden können, um nachhaltig von Bedeutung zu sein. Dann müssten wir klar – und ohne Sentimentalitäten – feststellen, dass wir den Sprung in die nächste Liga nicht geschafft haben, und als kleineres Unternehmen, aber dafür – hoffentlich - hochprofitabel, weiterarbeiten.

Steht Friedrich Huemer auch für so ein Szenario zur Verfügung?

Mein aktueller Vertrag läuft bis Ende 2011, in diesem Zeitraum sollte die mittelfristige Zukunft der Polytec Group absehbar sein, diese Absicherung und Gestaltung der Zukunft will ich aktiv betreiben, längerfristig wäre ich für so ein Szenario vermutlich nicht unbedingt der Richtige – und auch nicht notwendig.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Rudolf Loidl