Logistik : Amazon kommt nicht in die Gänge

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In knapp vier Wochen will der US-Handelsriese Amazon mit einem eigenen Verteilzentrum in Österreich durchstarten. Obwohl vorerst lediglich der Großraum Wien beliefert werden soll, sind die Erwartungen hoch. Man hofft auf besseres Kundenservice und kürzere Liefertermine. Die österreichische Post wiederum bangt um ihr Kerngeschäft, schließlich will Amazon künftig eigene Zusteller einsetzen.

Einziger Schönheitsfehler: Derzeit deutet, sieht man von einer sich überschlagenden Gerüchtebörse ab, nichts darauf hin, dass ab Anfang Oktober ein neues Zeitalter der Last Mile-Zustellung eingeläutet werden soll. Es gibt keine Ansprechpartner für Österreich, keine Telefonnummer, keinen E-Mail-Kontakt. Laut Firmenbuch logieren gleich zwei Amazon-Dependancen, nämlich die Amazon Transport Austria GmbH und die Amazon Data Services Austria GmbH am Wiener Schottenring. Über dem gründerzeitlichen Eingangsportal prangt der Schriftzug einer international agierenden Wirtschaftskanzlei, beim Empfang kommt nur vorbei, wer einen Termin mit einem der Anwälte hat. Amazon ist nicht einmal mit einem Firmenschild präsent. Die insgesamt drei Geschäftsführer werden in privaten und Business-Netzwerken als Amazon-Manager mit Hauptaktionsradius München, Berlin und Prag geführt.

Von einem Deal in Großebersdorf weiß niemand.

In Maklerkreisen hält man sich in punkto Amazon-Engagement bedeckt. Gefragt worden wäre nach passenden Immobilien außerhalb der Wiener Stadtgrenzen, in Niederösterreich.

Auch Unmut macht sich breit. Chaotisch, unprofessionell und ohne Handschlagqualität würden die Verhandlungen mit Amazon laufen, einige hätten bereits entnervt das Handtuch geworfen, heißt es. Objekte, die für Amazon in Frage kommen, sind im Wiener Umland ohnehin an einer Hand abzählbar. Enzersdorf, Hagenbrunn, Großebersdorf hätte entsprechende, also kurzfristig beziehbare Flächen anzubieten, weit abgeschlagen rangieren Baden, Tulln, Wiener Neustadt und Wiener Neudorf. Der favorisierte Standort in Großebersdorf (Flächen von 3.000 bis 22.000 Quadratmeter) ist jedoch auf einschlägigen Immobilien-Websites noch immer als verfügbar vermerkt. Von einem Deal weiß in der Branche niemand. Und in den Job-Inseraten mit denen Amazon für das Städtchen seit geraumer Zeit Mitarbeiter sucht, ist der Name falsch geschrieben.

Der Global Player selbst ist, was sein zukünftiges Engagement in Österreich betrifft, alles andere als gesprächig. „Wir kommunizieren dann, wenn es für unsere Kunden relevant wird“, heißt es auf Anfrage offiziell. Inoffiziell betreibt man jedoch Erwartungs-Management. Ein Verteilzentrum, vorerst einmal für den Großraum Wien, würde durchaus Sinn machen, die Verteilzentren in Augsburg und Prag wären dem Ansturm jedenfalls nicht länger gewachsen, sagt man. Warum aus dem zukünftigen Standort ein derartiges Geheimnis gemacht wird? „Unsere Immobiliensuche ist zentral gesteuert. Das ist eine eigene Abteilung, die keine Zwischenberichte, sondern Endergebnisse liefert“, heißt es. Die kolportierten 20.000 m2 Mindestfläche wären jedenfalls zu hoch gegriffen. Realistischer sei eine Fläche von rund 6.500 m2, „das sind die kleineren Stationen, wie sie derzeit auch in München und Berlin zum Einsatz kommen“. Sobald die Immobilie gefunden wäre, trete die Lounge-Group auf den Plan, die das Gebäude so weit ausstatte, dass binnen kürzester Zeit ein geordneter Betrieb möglich sei. Letzteres entlockt Insidern ein breites Grinsen. Denn Betriebsgenehmigungen lassen sich in Österreich erfahrungsgemäß nicht über Nacht bekommen.

Kein Schaden für die Post?

Was die Lieferdienste betrifft, will Amazon, so wie in Deutschland, in Österreich ohnehin vorerst auf lokale KEP-Dienstleister zugreifen. Deren Run auf Amazon-Aufträge ist jedoch nach enden wollend. „Die KEP-Dienste boomen, arrivierte Anbieter können es sich aussuchen, mit wem sie Geschäfte machen wollen. Wer die Wahl hat, wird sich Amazon mit seinen restriktiven Verträgen eher nicht antun“, sagt ein Branchenkenner.

Der Aufbruchsstimmung nach der Ankündigung des Online-Giganten im Juni, sich im Herbst in Österreich niederzulassen, dürfte also Ernüchterung weichen. Dass man gleich mit dem vollen Programm starten werde, sei ohnehin „extrem unwahrscheinlich“. Auf Prime now (Lieferung ausgesuchter Waren innerhalb eines Tages) und Amazon fresh (Lieferung verderblicher Waren innerhalb einer, bzw. zwei Stunde/n), werden die Wienerinnen und Wiener ebenso verzichten müssen wie auf den bereits in Deutschland und Italien verfügbaren Service „Prime Locker“ (Zentrale Zustellboxensysteme für Selbstabholer).

Gute Nachrichten gibt es immerhin für österreichische Post (die sich nach eigenen Angaben für Angriff von Amazon schon rüstet): „Die Post wird auch weiterhin für uns fahren. Umsatzeinbußen sind unwahrscheinlich. DHL ist in Deutschland schließlich auch mit uns groß geworden“, heißt es. Und Logistiker schätzen ohnehin, dass der Einzug von Amazon der Post in Österreich weniger schaden wird als DHL. Denn diese würde sich, wenn Amazon die Verteilung irgendwann in ferner Zukunft selbst übernimmt, wohl eher aus Österreich zurückziehen – und der Post das Feld überlassen.