Augmented Reality : Wie Datenbrillen den Maschinenbau revolutionieren

Ist es reine Spielerei oder doch die Technologie der Zukunft? Augmented Reality (AR), die erweiterte Realität, ist für große Technologiekonzerne wie Facebook, Google oder Apple derzeit eine ernste Angelegenheit, in deren Entwicklung sie ihre Investitionen künftig steuern. „Der Hype hat eingeschlagen, auch in der Industrie“, sagt Gerhard Schiefer, Leiter von Andritz Automation. „Die Möglichkeiten, mobile Informationen bereitzustellen, ist bereits vielfach Kundenwunsch“, beobachtet er.

Technologie für die papierlose Fabrik

Bei AR wird die Umgebung über eine Videokamera auf einem smarten Gerät dargestellt und mit zusätzlichen Informationen angereichert. Bei dem Anlagenbauer Andritz ist sie Testgebiet, soll aber zukünftig – auf dem Weg zur „papierlosen Fabrik“ – Standard werden.

Andritz hat im Juni eine Zellstofffabrik in Brasilien nach diesem Konzept in Betrieb genommen. „Es gibt keine Zettelwirtschaft mehr, es gibt keine Checklisten auf Papier, alles ist elektronisch, mit Unterstützung von AR“, sagt Gerhard Schiefer. Das Unternehmen nennt das Vorgehen Smart Commissioning. Die Technologie wird dazu genutzt, Dokumente am Tablet einzusehen und jederzeit den Fortschritt online verfolgen zu können. „Wir treten jetzt den Beweis an, dass die Technologie verfügbar ist und eingesetzt werden kann. Sie ist mittlerweile so robust und flexibel, dass man beliebige Maschinendaten einblenden kann“, so Schiefer.

AR ist aus unterschiedlichen Gründen trotzdem noch nicht Usus in Industrieunternehmen. „Im AR-Bereich gibt es keine Standard-Plattformen, auf denen man entwickelt. Das ist erst im Entstehen“, sagt Hannes Kaufmann, Professor für Interaktive Mediensysteme an der Technischen Universität Wien. Schreibt ein Experte also ein Programm, das beispielsweise auf Microsofts AR-Brille Hololens laufen kann, muss ein neues Programm erstellt werden, wenn die Brille eines anderen Herstellers zum Einsatz kommt. Das erfolgt auch bei jeder Produktneuerung: Wenn Brillen mit einem breiteren Blickwinkel auf den Markt kommen, muss auch das Programm angepasst werden. „Das ist sicher ein Grund, warum Firmen noch zögern, denn vor allem in der Industrie sind Standards sehr wichtig“, so Kaufmann.

Ein weiteres Problem, das sich laut Kaufmann für Unternehmen auftut, ist, die Inhalte in 3D darzustellen und die Notwendigkeit, diese immer auf dem neuesten Stand zu halten. In der Praxis sieht es so aus, dass der Träger einer Datenbrille neben der realen Maschine, die seine Augen und seine Kamera sehen, auch ein 3D-Modell der Maschine aufrufen kann. „Die Kunst ist, diese 3D- Daten effizient zu nutzen, damit sie mit wenig Aufwand integriert werden können“, sagt Gerhard Schiefer von Andritz, der dieses Problem offenbar gelöst hat.

Apple mischt Karten durch

Stichwort Datenbrille: Bisher war die Hardware noch immer nicht leistungsfähig genug, um lange am Stück mit ihr arbeiten zu können: Datenbrillen sind zu schwer und auch die Akkulaufzeit ist laut Anwendern zu kurz. Indem aber beispielsweise Apple Augmented Reality als das Innovationsfeld der Zukunft ausruft und mit dem im Juni vorgestellten ARKit eine Plattform zur Verfügung stellt, auf der externe Entwickler AR-Applikationen für iPhones und iPads kreieren können, ebnet es auch den Weg zu besseren Endgeräten, die nicht zuletzt von Apple selbst kommen. Denn wo eine Software ist, ist auch eine Hardware nicht weit.

Beobachter sind davon überzeugt, dass sowohl das nächste iPhone, als auch eine neue Apple-Datenbrille, die demnächst auf den Markt kommen soll, in der Lage sein werden, Augmented Reality anzuwenden und virtuelle 3D- Objekte in die Realität, auf die Bildschirme, zu spielen. Denis Kalkofen, Forscher an der TU Graz, sagt: „Das Interesse großer Konzerne ist für jedes Forschungsgebiet gut.“ Im Fall von AR lasse sich das am Beispiel der Hololens von Microsoft gut beobachten: „Während die Brille die Ergebnisse verschiedener Forschungsarbeiten vereint, stellt Microsoft diese Forschungsergebnisse auf einfache Weise vielen Forschungsgruppen wieder zur Verfügung, sodass diese nun darauf aufbauen können.“

Wegbereiter aus Österreich

Aus diesem Forschungsumfeld sind in Österreich zahlreiche Unternehmen hervorgegangen, das bekannteste ist Wikitude. Das Salzburger Unternehmen hat die weltweit erste AR-Applikation programmiert. Mittlerweile hat es nach Kalifornien, in das Silicon Valley, expandiert, und entwickelt AR-Programme für Unternehmen. Daqri aus den USA, Hersteller von AR-Wearables wie Helmen und Datenbrillen, weiß wiederum das innovative Umfeld in Österreich zu nützen und hat in Wien seinen Entwicklungsstandort. Und: Der Wirtschaftsfaktor von AR steigt. Laut dem US-Businessmagazin Inc. wird der Markt für AR bis 2021 mehr als 83 Milliarden US-Dollar schwer sein. Als wichtigste Einnahmequelle gilt der Unterhaltungsbereich, doch nicht nur der Gamingsektor trachtet nach besseren und leistungsfähigeren Geräten und Apps, sondern auch die Geschäftswelt. Mit der Technologie lassen sich jetzt schon Trainings mit Notfall-Einsatzkräften oder Konferenzen mit Menschen-Hologrammen abhalten, Räume und Häuser veranschaulichen oder im Straßen- und Tunnelbau Leitungen und Rohre visualisieren und anzeigen. AR ist auch immer mehr als Marketinginstrument gefragt, beispielsweise auf Messen. Die TU Wien entwickelt gerade für einen Auftraggeber im Industrieanlagenbereich eine Anwendung, mit der das Unternehmen seine Produkte virtuell präsentieren kann, um damit ein besseres Verkaufsargument zu haben. Auch die Kosten für Hardware werden künftig immer weniger eine Rolle spielen: Ein Datenhelm kostet derzeit etwa 15.000 Euro, eine Datenbrille etwa 5.000 Euro.

Virtuelle Fabrik

Zukünftig werde es im Industriebereich laut TU-Professor Kaufmann unter anderem darum gehen, eine virtuelle Fabrik zu errichten. „Dort können Mitarbeiter in einem leeren Raum, noch bevor die Anlagen und Maschinen geliefert werden, an Maschinen eingeschult werden. Man kann das auch mit realen Maschinen kombi nieren und mit AR unterschiedliche Simulationen laufen lassen.“ Augmented Reality, als Teil der Industrie 4.0, ist für Unternehmen der nächste logische Schritt in ihrer Entwicklung. Laut einer Umfrage des Unternehmensberatungskonzerns PwC unter Managern von US-Industrieunternehmen gibt einer von drei Befragten an, Augmented und Virtual Reality bereits anzuwenden oder sie in den kommenden drei Jahren anwenden zu wollen. Ebenfalls ein Drittel der Befragten sagten aber auch, dass sie erst eine praktische Anwendung für AR oder Virtual Reality (VR) suchen müssten. Die Frage nach dem Anwendungsbereich hat sich auch der Leobener Vermessungsspezialist Geodata gestellt. Vor zehn Jahren hat das Unternehmen erste Konzepte für AR im Tunnelbau entwickelt, beziehungsweise damit experimentiert. Die Ergebnisse waren aber ernüchternd: „Für den Einsatz im Tunnel blieben sowohl technologisch und sicherheitstechnisch, als auch in der Anwendung zu viele Fragen unklar“, sagt Klaus Chmelina von Geodata. Dass sich das in Zukunft ändert, schließt er jedoch nicht aus.

„Mir ist es ein Anliegen, die TechnolOgie so anzuwenden, dass sie den Menschen etwas bringt“, sagt der Forscher Kaufmann. Der Faktor Mensch steht, anders als bei anderen Digitalisierungsprozessen, bei Augmented Reality nicht auf dem Spiel, die Arbeit wird durch AR jedoch auf jeden Fall billiger beziehungsweise würde sich auch der Fachkräftemangel geringer auswirken: Wo ein qualifizierter Techniker eine Turbine oder ein Förderband reparieren oder instand setzen musste, kann das künftig auch ein niedrig qualifizierter Mitarbeiter eines Wartungsdienstes erledigen. Kaufmanns Prognose lautet: „Augmented Reality wird sich dort etablieren, wo es einen Mehrwert gibt.“