Textilindustrie : Textilindustrie in Bangladesh: Hungerlöhne bleiben

Der Tod von mehr als 1.100 Menschen in Bangladesch war für Konsumenten im Westen ein Weckruf. Für sie hatten die Opfer im eingestürzten Fabrikgebäude Rana Plaza Kleidung produziert. Fünf Jahre später ist einiges besser - Preisdruck aus dem Ausland bleibt aber ein Problem.

Der Preisdruck bleibt

Weniger als eine Minute bräuchten seine Arbeiter bei Brandschutzübungen, um das Gebäude zu räumen, erzählt Nashir Uddin Mia. In seiner Textilfabrik One Composite Mills 30 Kilometer nördlich von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka werden T-Shirts und andere Kleidung für US-Firmen und auch die deutsche Handballmarke Kempa hergestellt.

Auf den Boden gemalte Pfeile weisen in Richtung Ausgang, im Stiegenhaus hängen Evakuierungspläne und an den Wänden Feuerlöscher. An den Deckenlampen sind Schilder befestigt, die auf eine Hotline für Beschwerden über mangelnde Sicherheitsvorkehrungen hinweisen.

Dass in der Textilindustrie des südasiatischen Landes lange ganz andere Verhältnisse herrschten, erfuhr die Welt vor fünf Jahren - am 24. April 2013, als das achtstöckige Rana-Plaza-Gebäude am Rande von Dhaka einstürzte.

Für Greenpeace-Textilexpertin Kirsten Brodde war die Katastrophe im Rückblick ein Wendepunkt, der die Wahrnehmung vieler Konsumenten auch im deutschsprachigen Raum veränderte. "Man konnte plötzlich sehen, wie skandalös die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie waren", sagt sie. Auch jede Firma beschäftige sich seit Rana Plaza mit Nachhaltigkeit, meint Thomas Lange, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der deutschen Modeindustrie GermanFashion. Er sagt: "Dieses Thema werden wir nicht mehr los werden" - warnt aber auch vor übertriebenen Erwartungen. "Das ist ein langer Weg und kein einfacher."

Textilindustrie in Bangladesh will weniger Arbeiterrechte

Kurz nach dem Unglück unterschrieben mehr als 200 ausländische Unternehmen, die in Bangladesch Kleidung produzieren lassen mit den lokalen Gewerkschaften ein rechtsverbindliches Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit. Das hatte unter anderem Inspektionen in mehr als 1.800 Fabriken zur Folge. Viele Mängel wurden behoben, manche Standorte geschlossen. Vereinbart wurde allerdings eine Laufzeit von fünf Jahren - das "Accord" genannte Abkommen läuft also Ende Mai aus.

Viele der internationalen Markenhersteller haben inzwischen ein Nachfolgeabkommen - das "2018 Accord" - unterschrieben. Industrie und Regierung seien darüber aber nicht glücklich, weil die neue Vereinbarung die Arbeitnehmerrechte stärke, berichtet Amirul Haque Amin, Präsident der Nationalen Gewerkschaft der Textilarbeiter.

"Darüber sprechen wir nicht", sagt der Chef der Textilindustrie-Vereinigung BGMEA, Siddiqur Rahman, zum "2018 Accord". Die Regierung habe entschieden, dass das bisherige Abkommen zunächst für eine sechsmonatige Übergangsphase weiterlaufe, bis eine neu geschaffene Behörde die Aufsicht über die Fabriken übernehme.

Gern erzählt Rahman aber, dass es in seiner Industrie keine Kinder- und Zwangsarbeit mehr gebe, dafür Sprinkleranlagen und Brandschutztüren. Sieben der zehn umweltfreundlichsten Fabriken der Welt stünden in Bangladesch. "Wir können nun stolz sagen, dass unsere Fabriken die sichersten der Welt sind", meint er.

Die Exporteinnahmen der Textilbranche - von denen die Wirtschaft des Landes, einem der ärmsten der Welt, stark abhängt - werden Rahman zufolge in diesem Jahr voraussichtlich um zehn Prozent auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar (gut 24 Mrd. Euro) steigen.

Auch Gewerkschaftschef Amin sieht Fortschritte, etwa die deutlich gesunkenen Zahlen der Brände und Einstürze. Es sei aber noch nicht genug. Zwangsüberstunden gebe es zum Beispiel in den Fabriken, die direkt für die ausländischen Marken produzieren, wohl nicht mehr. Bei den Subunternehmern aber schon.

Der entscheidende eine Dollar mehr in den Geschäften des Westens

Der Mindestlohn der Textilarbeiter sei von 3.000 Taka im Monat auf 5.300 Taka (etwa 51 Euro) erhöht worden. Aber: "Davon kann man nicht leben - nicht einmal, wenn man keine Familie hat." Bangladeschs Informationsminister Hasanul Haq Inu stellt eine deutliche Erhöhung in Aussicht. Er beklagt jedoch auch, dass ausländische Auftraggeber nicht genug für Kleidung aus dem Land zahlten.

Die Politik habe auf Drängen der Firmen im Westen viel getan: "Wir haben die Kinderarbeit abgeschafft, Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, in Umweltverträglichkeit investiert, das Arbeitsrecht verbessert", zählt der Minister auf. Inu, der auch Chef der Sozialistischen Partei ist, wünscht sich im Gegenzug mehr Entgegenkommen der Markenhersteller.

Im Westen würden Preiserhöhungen von einem oder zwei Dollar je Kleidungsstück den Konsumenten nichts ausmachen, meint er. "Für die Arbeiter hier würden die zwei Dollar aber sehr viel bedeuten." Ins gleiche Horn stößt Fabrikbesitzer Mia. Große Auftraggeber wie Primark, Aldi, Lidl, Kik und H&M drückten die Preise, sagt er. Zugleich stiegen neben den Löhnen auch Stoff- und Gaspreise. So könne man kein Geld verdienen. Wenn ein Konsument im Westen statt drei Bier nur zwei trinken würde, rechnet Mia vor, könne er es sich leisten, einen Dollar mehr für ein Polo-Hemd auszugeben.

(Von Nick Kaiser und Erich Reimann, dpa/APA/red)