EIT Manufacturing über globales Datensharing : Europäische Datenintegration: Österreichische Unternehmen als Schlüsselakteure

TZ SEESTADT, Wien; Aufnahmedatum: 30.11.2019 + 04.12.2019

EIT Manufacturing fungiert als Andockstelle zur nationalen und internationalen Partnervernetzung, ist Innovationskatalysator und ebnet den Eintritt in europäische Datenökosysteme.

- © ATP/Kuball

Digitalisierung und EU-Datenstrategie

Unternehmen müssen auf EU-Vorgaben und kurzfristige geopolitische Ereignisse zeitnah und effektiv reagieren, um im globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Lösung liegt für viele in der Verkürzung der Lieferketten und der Hebung des eigenen Datenschatzes. Nearshoring verspricht überschaubare Distanzen, um Lieferengpässe abzufedern, die Digitalisierung hat noch mal rasant an Bedeutung gewonnen. Zur schlagkräftigen Umsetzung der neuen Strategie, ist vorrangig eines wichtig: ein durchgängiges, einheitliches, sicheres Datenökosystem.


Die Einführung von Produktpässen, detailliertes Reporting des CO₂-Ausstoßes und eine erhöhte Transparenz bei Inhaltsstoffen sind Teil der 2020 veröffentlichten Datenstrategie der Europäische Kommission. Überdies werden die Vereinfachung von Predictive Maintenance, die Förderung von Innovationen und die Nutzung von Erkenntnissen aus anderen Branchen durch anonymisierte Daten und neue Geschäftsmodelle angestrebt.Trotzdem sollen Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre eingehalten werden. Das Potenzial an Effizienz und neuen Geschäftsmodellen ist enorm – ebenso wie die Herausforderungen. Aber wie geht das genau?

Gaia-X

Eine europäische Initiative, die 2019 ins Leben gerufen wurde, um eine sichere, transparente und interoperable Dateninfrastruktur zu schaffen, die auf europäischen Werten wie Datenschutz, Souveränität und Offenheit basiert. Sie wird von einer Vielzahl von Ländern aus der Europäischen Union unterstützt, sowie voneinigen anderen europäischen Ländern und Partnernunternehmen, wie SAP, Siemens, die Deutsche Telekom und viele KMU.

Für Österreich und die umliegenden Länder ist dazu EIT Manufacturing East, Teil von EIT Manufacturing, der Hauptansprechpartner. Produzierende Unternehmen bekommen Unterstützung zu allen netzwerkübergreifenden Datenthemen. EIT Manufacturing fungiert als Andockstelle zur nationalen und internationalen Partnervernetzung, ist Innovationskatalysator und ebnet den Eintritt in europäische Datenökosysteme. Aus dem Technologiezentrum in der Wiener Seestadt werden sieben Länder in Mittel- und Osteuropa bedient. Dazu gehören Österreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Serbien, Slowakei und Slowenien. In seiner Vorreiterrolle zum Thema Industrial Data Sharing ist EIT Manufacturing East Teil eines binationalen Projektkonsortiums, das aus 16 österreichischen und deutschen Partnern besteht, die sich mit Fragen der intelligenten und souveränen Nutzung von Daten in der Produktion beschäftigen.

"Weniger Berührungsängste"

Hannes Hunschofsky, Managing Director, EIT Manufacturing East, über Herausforderungen und Chancen in Datenökosystemen für Konzerne und KMU.

Herr Hunschofsky, wie weit sind österreichische Produktionsunternehmen bei der Einführung von Datenräumen?

Hannes Hunschofsky: Wir stehen zwar noch am Anfang, doch der Zug hat den Bahnhof schon verlassen. Es gibt bereits einige sehr erfolgreiche Pilotprojekte zu diesem Thema, wie etwa das von Österreich und Deutschland geförderte Projekt EuProGigant. Konzerne und große Unternehmen sind sich der Vorteile von Data Sharing mittlerweile bewusst und haben die finanziellen und personellen Ressourcen, um an der Gestaltung von Datenräumen mitzuarbeiten. Bei KMU fehlt oft noch das Wissen um die Einsatzmöglichkeiten und den daraus folgenden Kostenersparnissen und Synergieeffekten. Viele KMU finden sich aufgrund der angespannten politischen und wirtschaftlichen Situation derzeit eher beim Feuerlöschen als am Reißbrett zur Zukunftsplanung. Doch diverse EU-Vorgaben, beispielsweise über die Erstellung der digitalen Produktpässe, treiben die Umsetzung auch bei KMU voran. Die Beschäftigung mit der Erstellung eines solchen Passes fungiert oft als Augenöffner über die Vorteile der Teilnahme an Datenökosystemen.

Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Projekten, auch gemeinsam mit der TU Wien, um es KMU relativ kostengünstig zu ermöglichen, diese Berichtsnotwendigkeit im Unternehmen aufzubauen. Zusätzlich beschäftigen wir uns mit dem Vertrauensaufbau, denn die Vorstellung der Datenweitergabe, auch wenn sie genau reglementiert und anonymisiert ist, benötigt immer noch viel Aufklärung. Die KMU haben Angst, die Daten aus der Hand zu geben und damit ihren Wettbewerbsvorteil zu verlieren. Hier bieten wir eine breite Palette an Unterstützungs- und Beratungsleistungen.

Wo steht Österreich im internationalen Vergleich bei der Umsetzung von Datenökosystemen in der Produktion?


Hunschofsky:
Grundsätzlich gilt Deutschland als Vorreiterland und ist für uns ein starker Orientierungspunkt. Doch auch in Österreich sehen wir den politischen Willen und große Aufgeschlossenheit zu diesem Thema. Wir wollen vorne mit dabei sein und werden mittlerweile auch schon als Vorbild wahrgenommen. Dieser Rückenwind treibt die Förderprojekte im Bereich Datenökosysteme auch hierzulande voran. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie Fördermittel über die FFG (gefördert durch BMK) beziehen können, wenn sie sich für die Teilnahme an Datenökosystemen interessieren.

Welcher Bereich hat derzeit die größte Nachfrage?


Hunschofsky:
Für die produzierende Industrie sind derzeit die Supply Chain Optimierung und Predictive Maintenance am interessantesten, also pauschale Beratungsthemen. Denn diese befinden sich meistens nicht im Kerngeschäft des Unternehmens. Sie bringen Zusatznutzen und verursachen weniger Berührungsängste, Daten auszutauschen. Unternehmen wie AVL List GmbH, ENGEL Austria GmbH und Haidlmair GmbH sind etwa Teilnehmer an diversen Pilotprojekten.

Welche Leistungen bieten Sie konkret an, um Unternehmen bei der Umsetzung zu unterstützen?


Hunschofsky:
Durch unsere Beteiligung an einer Vielzahl von innovativen Forschungsprojekten verfügen wir über ein umfangreiches Netzwerk an nationalen und internationalen Partnern, das wir gerne an Unternehmen weitergeben, um datengetriebene Innovationen zu unterstützen. Wir arbeiten außerdem an der Entwicklung maßgeschneiderter Strategien zur Einführung datenbasierter Geschäftsmodelle. Unsere Expertise geben wir in Form von Beratungsleistungen und Schulungen weiter und fungieren als Unterstützer bei der Implementierung von Datenräumen. Des Weiteren beschäftigen wir uns im Projekt EuProGigant damit, wie ein Federator-Betrieb aufgebaut werden kann. Nach Projektende soll dies auch als Dienstleistung für Firmen zur Verfügung stehen. Wir sind Vermittler oder Koordinator zwischen verschiedenen Systemen und sorgen dafür, dass sie miteinander kommunizieren und interoperabel arbeiten können.

Johannes Hunschofsky EIT Manufacturing
"Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Projekten, um es KMU relativ kostengünstig zu ermöglichen, diese Berichtsnotwendigkeit im Unternehmen aufzubauen." Hannes Hunschofsky, Managing Director, EIT Manufacturing East - © EIT Manufacturing

Ein europäisches Netzwerk für Datenintegration

Wie Zahnräder greifen mittlerweile 5 europäischen Datenintegrationsprojekte ineinander, um die Digitalisierung und Datenharmonisierung in der Industrie mit Volldampf voranzutreiben. Leuchtturmprojekt ist das von Projektpartnern in Österreich und Deutschland 2021 gestartete EuProGigant Projekt. AMIDS, DIONE-X, ESCOM und Flex4Res sind weitere Projekte der gemeinsamen Initiative. Mit mehr als 100 Projektpartnern aus sechs europäischen Ländern hat das Ökosystem eine wahrhaft europäische Dimension angenommen.


Maschinenintegration und Resilienz im Fokus

Die Anwendungsfälle im Projekt EuProGigant etwa fokussieren auf Maschinenanbindung in der unternehmensübergreifenden Integration von maschinen- und produktbezogenen Daten und Informationen. Dabei wird auf dem Konzept von Daten- und Serviceökosystemen aufgebaut, um weitgehende Interoperabilität und Resilienz zu erzeugen. Zur weiteren Kalamitätsminderung wird auf ein Cloud-Egde-Kontinuum gesetzt, welches sowohl Mehrwert als auch Nachhaltigkeit für Unternehmen verspricht. Zusätzlich helfen föderierte Ansätze wie Federated Learning, um ein tiefes Verständnis der Zustände zu erlangen und um Wartungsvorhersagen und bessere Entscheidungen zu treffen.

Die enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern ist der Schlüssel, um die Projektergebnisse relevant zu machen. Österreichische Projektpartner sind etwa das Cloud-Service Exoscale, ein Produkt von A1 Digital, Plasser & Theurer, Concircle Österreich GmbH als Data Analyst und IT-Provider, der Komplettbearbeitungsproduzent WFL Millturn Technologies sowie der Stahlerzeuger voestalpine.

EVENTTIPP EuProGigant Open House Day 2024 – Alles zu Datenräumen in der Fertigung

Im Oktober wird die österreichische Hauptstadt zum Treffpunkt für wegweisende Forschungsprojekte zu Data Sharing in der Produktion. Die Veranstaltung bringt Partner, Förderstellen und Vertreter der Industrie aus ganz Europa zusammen. Kontakt knüpfen, Infos bekommen und die richtigen Ansprechpartner treffen: am 8. Oktober im Palais Ferstel, 1010 Wien.

www.euprogigant.com

"Gute Datengrundlage ist der Schlüssel"

Wolfgang Kniejski, Senior Project Manager, EIT Manufacturing East, über effizientes Data Sharing in der Produktion entlang der Wertschöpfungskette.

Wolfgang Kniejski: Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette auszutauschen, ist für Unternehmen äußerst effizient und kostensparend. Die Vorteile beginnen bei der Beschaffung von Ressourcen, Komponenten und Materialien und sind außerdem im Produktionsprozess relevant, in derQualitätssicherung und der Distribution. Dadurch, dass im europäischen Datenökosystem Gaia-X de facto-Standards gesetzt wurden, ist eine vertrauensvolle Umgebung zur Datenkooperation geschaffen.[TN1] Wenn ein Unternehmen z. B. ein bestimmtes Bauteil benötigt, werden die CAD-Daten in einen Katalog eingestellt. Und schon kann genau dieses Bauteil produziert und geliefert werden. Dadurch eröffnet sich ein neues Feld an Partneroptionen in der Lieferkette. Bauteile, deren Beschaffung in weniger widerstandsfähigen Lieferketten herausfordernd waren, können über diese Datenkataloge in Europa ausgeschrieben und bezogen werden.

Welches sind die wichtigsten Technologien im Bereich Data Sharing in der Produktion?


Kniejski:
Self Sovereign Identities (SSI), Verifiable Credentials (VC) und Compute-to-Data, die Lösung Datensätze zu monetarisieren und gleichzeitig die Daten privat zu halten, sind die technologischen Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme in einem Datenökosystem. In der Produktion werden mithilfe der Asset-Administration-Shell Merkmale, Verhaltensweisen, Funktionen und andere relevante Informationen von Assets (Komponenten einer Industrie-4.0-Anwendung) in einem einheitlichen Datenmodell beschrieben. Zur Echtzeit-Datenerfassung entlang der gesamten Wertschöpfungskette kommen Edge Computing, Cloud Computing und IoT zum Einsatz.

Welche bewährten Methoden gibt es für widerstandsfähige Wertschöpfungsketten, besonders bei der Digitalisierung und dem Einsatz von KI?


Kniejski:
Eine gute Datengrundlage ist der Schlüssel, um sinnvolle Ergebnisse zu bekommen. Anhand dieser Daten können Optimierer- und Analyse-Modelle trainiert und verteilt werden. Einen weiteren wichtiger Faktor bilden automatisierte Datenaufzeichnungsketten. Sie sollten so aufgesetzt werden, dass sie mit wachsender Datenmenge oder -komplexität umgehen können und sich dadurch skalieren lassen. Zusätzlich müssen sie auf andere Systeme, Prozesse oder Standorte übertragen werden können. So bleibt dieDatenaufzeichnung flexibel und anpassungsfähig, ein entscheidender Aspekt bei veränderten Anforderungen oder Einsätzen in anderen Entwicklungsumgebungen.

Kniejski EIT Manufacturing
"Dadurch, dass mit Gaia-X de facto-Standards gesetzt wurden, ist eine vertrauensvolle Umgebung zur Datenkooperation geschaffen." Wolfgang Kniejski, Senior Project Manager, EIT Manufacturing East - © EIT Manufacturing

Daten vergolden via Europaplattform

Das Zusammenspiel der effizienten Nutzung der eigenen Daten und der Datenaustausch über eine streng reglementierte Datenplattform ist der Startschuss für die lang ersehnte Vergoldung der Daten. So sind Informationen vom Production Floor über den Kunden bis zur Supply Chain für Hersteller nicht nur im Prozess essenziell. Für die Analyse und Entwicklung von KI-Modellen werden Daten in großem Ausmaß benötigt. Die begehrten Daten dienen in anonymisierter Form als Lehr- und Datenmaterial für andere und sind daher als neuer Revenue Stream auch vermarktbar.

Jeder Teilnehmer am EuProGigant-System etwa kann dank der europaübergreifenden Plattform Gaia-X seine Daten anonymisiert im Zuge neuer digitaler Geschäftsmodelle anbieten. Das Interesse und die Kreativität der beteiligten Unternehmen, ein gemeinsames Verständnis für Datenbesitz und Übertragung in der Produktion zu entwickeln, wurde durch die Monetarisierungsmöglichkeiten angefeuert. EuProGigant stellt die hierfür benötigte Datenkooperationsplattform zur Verfügung.

EIT Manufacturing East

EIT Manufacturing ist eine öffentlich-private Partnerschaft, die von der Europäischen Union kofinanziert und 2019 gegründet wurde. Es ist eine der neun Wissens- und Innovationsgemeinschaften, die vom Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT) unterstützt werden. Aus Österreich bedient EIT Manufacturing East sieben Länder in Mittel- und Osteuropa: Österreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Serbien, Slowakei und Slowenien und ist Teil eines binationalen Projektkonsortiums, das aus 16 österreichischen und deutschen Partnern besteht und Möglichkeiten der intelligenten Nutzung von Daten in der Produktion erarbeitet.