Forschungsprojekt : Sempre: Wie Siemens und ZKW mit künstlicher Intelligenz ihre Kapazitäten planen

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„Es geht darum, Wechselwirkungen zu identifizieren“, sagt Rainer Pascher von Fraunhofer Austria. Wenn also zum Beispiel eine Lieferung auf Paletten erfolge, dann ginge das mit der Einbuchung und Einlagerung naturgemäß schneller als wenn das benötigte Material in Kartons kommt und erst ausgepackt und umgeschichtet werden muss.

Auf die Art der Lieferung hätten Unternehmen oft keinen Einfluss, aber sie können versuchen, extern ausgelöste Schwankungen durch interne Kapazitätsanpassungen auszugleichen. Schließlich wären, so Pascher, flexible Lieferketten und effizienter Materialfluss unabdingbare Grundvoraussetzungen für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stünden. Strukturelle Schwächen im logistischen Bereich könnten schlimmstenfalls bis hin zum Produktionsstillstand führen.

Enormes Einsparungspotenzial

Rainer Pascher leitet gemeinsam mit seinem Kollegen Philip Ramprecht ein Forschungsprojekt, das sich mit der Frage beschäftigt, wie die Fabrik der Zukunft mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) und selbstlernender Algorithmen optimal versorgt werden kann. Das von der FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH) bzw. vom Bundesministerium für Verkehr und Innovation (BMVIT) geförderte Vorhaben trägt den etwas sperrigen Namen „Selbstlernende Prognose kapazitativer Aufwände zur Sicherung der Materialver- und -entsorgung komplexer Produktionssysteme“ und wird gemeinsam mit den Konsortialpartnern Siemens und ZKW, die auch die für das Projekt notwendigen Testumgebungen zur Verfügung stellen, sowie der TU Wien umgesetzt. Der Projektzeitraum für SEMPRE, so die Kurzbezeichnung, beträgt drei Jahre, deklariertes Ziel ist es, Ressourcen für Logistikprozesse künftig besser planen und steuern zu können. Prognostiziertes Einsparungspotenzial: rund 30 Prozent der bisher mit diesen Abläufen verbundenen Kosten.

Punktgenaues Effizienzmanagement

„In einem ersten Schritt geht es zunächst einmal darum, Plan-Zeiten zu ermitteln, also wie lang sollten laut Plan gewisse Prozesse dauern. In einem nächsten Schritt werden diese Zeitmodelle mit den tatsächlichen, also den Ist-Zeiten abgeglichen. Letztere werden während des laufenden Betriebs durch Sensoren in den betreffenden Unternehmensbereichen aufgezeichnet“, sagt Pascher.

Im Hintergrund agierende Machine-Learning-Algorithmen sammeln und verarbeiten all diese Informationen. So etwa suchen sie nach immer wiederkehrenden Mustern, die auf falsche Kapazitätsplanungen zurückzuführen sind, oder versuchen Regeln aufzustellen, warum, bzw. unter welchen Bedingungen es zu Zeitabweichungen kommt. Im „Endausbau“ soll das Programm dann eigenständig Zeitabgleichungen durchführen, Planzeiten festlegen oder, um Leerläufe zu verhindern, notwendige Anpassungen vornehmen. Kurzum: Es soll ein vorausschauendes Kapazitätsplanungs- und Steuerungstool für Logistikprozesse geschaffen werden.

Bessere Planungsgenauigkeit

Im Fokus des Forschungsprojekts stehen bei ZKW der Waren-Ein- und Ausgang in der Wieselburger Zentrale, bei Siemens wird es voraussichtlich die Sparte Schienenfahrzeugbau sein. „Bei uns sind die Abteilungen Logistik und Industrial Engineering involviert“, bestätigt Alexander Sunk, Leiter Produkttechnologien bei Siemens, auf Anfrage des Industriemagazins. „Unsere größte Herausforderung in der Logistik besteht darin, dass sich aufgrund kurzer Projektlebenszyklen und parallelem Fertigungsbetrieb die zu lagernden und transportierenden Artikel in kurzen Intervallen vollständig ändern“, sagt Sunk. Bei Siemens erwarte man sich durch SEMPRE eine bessere Planungsgenauigkeit von Logistik-Ressourcen, vor allem im mittelfristigen Zeithorizont, sowie Potenziale für Änderungen in der internen Werkslogistik. Und das relativ rasch. „Wenn möglich, sollten die ersten Quick-wins bereits nach vier bis sechs Monaten umgesetzt werden“, so Sunk.

Personelle Ressourcen zielgerichtet einsetzen

Befürchtungen, dass durch die gesammelten Erkenntnisse Arbeitsplätze verloren gehen könnten, kann Projektleiter Pascher nicht nachvollziehen. „SEMPRE richtet sich primär gegen Verschwendung. Und zwar Verschwendung von Zeit und Fläche. Wir wollen keine Mitarbeiter wegrationalisieren. Es geht vielmehr darum, dass Modelle entwickelt werden, wie man diese Ressourcen künftig effizienter einsetzt. Wir überwachen während der Projektphase keine Mitarbeiter und es wird auch keine personalisierten Aufzeichnungen geben“, versichert Pascher.

Zumal potenzielle Personaleinsparungen, anders als bei der deutschen Konzernmutter, bei Siemens Österreich auch kein Thema sind. „Wir waren bei internationalen Ausschreibungen sehr erfolgreich und sind daher aktuell in der glücklichen Lage, in den nächsten Jahren eine hohe Auslastung prognostizieren zu können“, sagt Sunk. Deshalb stelle sich eher die Frage, „in welchen Bereichen wir welche personellen Ressourcen in welcher Zahl aufbauen müssen, um bestmöglich aufgestellt zu sein.“

Optimale Flächennutzung

Ein weiterer wichtiger Punkt von SEMPRE sind Erhebungen in punkto Flächenbedarf und Flächennutzung. „Der Produktions-, aber auch der Lagerbereich sind heilig. Gewerbefläche ist in der Regel teuer, umso wichtiger ist es, dass jeder Quadratmeter effizient gemanagt wird“, sagt Pascher. Ein Thema, das man bei ZKW vorrangig behandelt sehen will. „Ein signifikanter Anstieg von Komponenten und Produktvarianten bei gleichzeitig steigender Volatilität im Abrufverhalten unserer Kunden, bringt die aktuell im Einsatz befindlichen PPS zusehends an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Flexible, mit Echtzeitdaten operierende Systeme entlang der gesamte Supply Chain sind für uns dementsprechend von zentraler Bedeutung“, sagt Helmut Grobbauer, Group Director Supply Chain Management bei der ZKW Group. Auch für Siemens-Manager Sunk sind räumliche Veränderungen denkbar, sofern sich herausstellen sollte, dass dadurch Effizienzgewinne erzielt werden könnten. „Allerdings wollen wir uns hierbei auf Lagerorte, Lagerarten und Handlingsarten beschränken“, sagt Sunk.

Nach Abschluss der theoretischen Vorarbeiten, SEMPRE startete bereits im April dieses Jahres, geht es nunmehr in die Werks- und Lagerhallen von Siemens und ZKW. Die Ergebnisse des Projekts werden Ende 2021 anhand eines Proof-of-Concept-Demonstrators im isolierten und realitätsnahen Testumfeld der TU Wien Pilotfabrik Industrie 4.0 validiert.