Resilienz in der Industrie : So werden Unternehmen widerstandsfähig

Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen haben die Verwundbarkeit globaler Wertschöpfungsketten noch deutlicher gemacht.
- © iStockIn beispiellosem Tempo verändern sich die globalen Risikolandschaften, mit denen Unternehmen konfrontiert sind. Geopolitische Verwerfungen, Klimawandel und Lieferkettenunterbrechungen stellen etablierte Geschäftsmodelle in Frage und erfordern ein Umdenken im Risikomanagement. Vor diesem Hintergrund wird ein integrierter Risikomanagementansatz nicht mehr nur als Compliance-Anforderung, sondern als Treiber für Resilienz erkannt. Doch was bedeutet Integration im Kontext des Risikomanagements und wie können Industrieunternehmen davon profitieren?
Von Silos zu Synergien: Die Herausforderung der Integration
Die traditionelle Herangehensweise an Risikomanagement ist in vielen Unternehmen von Silo-Denken geprägt. Dies führt zu kritischen Problemen wie einem unvollständigen Gesamtrisikobild durch die fehlende Verknüpfung von Risikofeldern, zu Doppelarbeit bei der Risikoerfassung und -bewertung, zu ineffizienter Ressourcenallokation für Risikosteuerungsmaßnahmen oder zu inkonsistenter Risikokommunikation gegenüber Stakeholdern.
Ein integrierter Ansatz bedeutet hingegen den Wandel von reaktivem, themenspezifischem Risikomanagement zu einer proaktiven, ganzheitlichen Risikosteuerung. Dies umfasst die Harmonisierung von Methoden, die Etablierung von Schnittstellen und den Ausbau der Perspektiven.
Geopolitische Risiken: Neue Dimensionen für die Industrie
Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen haben die Verwundbarkeit globaler Wertschöpfungsketten noch deutlicher gemacht. Für Industrieunternehmen sind insbesondere handelspolitische Maßnahmen wie Zölle, Exportbeschränkungen oder Sanktionen zu einem zentralen Risikofeld geworden.
Eine effektive Bewältigung geopolitischer Risiken erfordert die Implementierung systematischer Früherkennungssysteme, die neue Entwicklungen rechtzeitig identifizieren. Zudem sind detaillierte Auswirkungsmodelle notwendig, die nicht nur die Lieferketten, sondern auch Produktionsstandorte und Absatzmärkte umfassend analysieren. Besonders für Industrieunternehmen mit langen Investitionszyklen und kapitalintensiven Anlagen ist es entscheidend, geopolitische Dynamiken in strategische Entscheidungen einzubeziehen.
ESG-Risiken: Vom Pflichtprogramm zur Wertschöpfungsquelle
Die Analyse von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) war in den letzten Jahren stark regulatorisch getrieben. Vor dem Hintergrund aktueller regulatorischer und politischer Entwicklungen entstehen für Unternehmen sowohl Unsicherheiten als auch Gestaltungsspielräume. Viele Organisationen erkennen: ESG ist nicht nur ein Compliance-Thema, sondern bietet erhebliche strategische Chancen.
Die Integration von ESG-Faktoren in das Risikomanagement ermöglicht es, die Prozesseffizienz zu fördern. Durch die Nutzung von Synergieeffekten können Kosten eingespart und Ressourcen effizient eingesetzt werden. Statt redundante Strukturen aufzubauen, werden bestehende Prozesse optimiert, um ein ganzheitliches Risikobild zu schaffen. Dies führt zu verbesserten Entscheidungsgrundlagen.
Industrieunternehmen, die ESG-Aspekte frühzeitig in ihr Risikobild integrieren, sind besser auf zukünftige Anforderungen vorbereitet und können sich als verantwortungsbewusste Partner in nachhaltigen Wertschöpfungsketten positionieren.
Szenarioanalysen: Navigieren in unsicheren Gewässern
In einer von Unsicherheit geprägten Welt stoßen traditionelle Prognosemethoden an ihre Grenzen. Ein Tool, das auch bei der Integration von geopolitischen und ESG-Risiken einen wertvollen methodischen Ansatz bietet, um mit hoher Ungewissheit umzugehen, sind Szenarioanalysen. Sie ermöglichen es Unternehmen, verschiedene Zukunftsentwicklungen durchzuspielen und ihre strategischen Implikationen zu verstehen.
Die Zielsetzung von Szenario-Modellen ist vielschichtig: Sie dienen nicht primär der Vorhersage der wahrscheinlichsten Zukunft, sondern der systematischen Exploration möglicher Entwicklungspfade. Durch die strukturierte Analyse mehrerer Szenarien können Unternehmen robustere (Risiko-)Strategien entwickeln, die unter verschiedenen Bedingungen funktionieren.
Die Anwendung von Szenario-Analysen folgt einem mehrstufigen Prozess: Zunächst werden zentrale Unsicherheitsfaktoren und Einflussvariablen identifiziert und zu konsistenten Szenarien kombiniert, die unterschiedliche Zukunftsbilder repräsentieren. Die Auswirkungen auf das Geschäftsmodell, die Wertschöpfungskette und die finanzielle Performance werden je Szenario analysiert. Darauf aufbauend können Unternehmen sowohl „No-Regret“-Maßnahmen (die in allen Szenarien vorteilhaft sind) als auch bedingte Strategien (die bei Eintreten bestimmter Entwicklungen aktiviert werden) ableiten.
Resilienz durch Integration: Der Mehrwert für Industrieunternehmen
Integriertes Risikomanagement schafft auf verschiedenen Ebenen Mehrwert. Durch eine vernetzte Sicht auf Risiken können Führungskräfte fundiertere Entscheidungen treffen. Die Beseitigung doppelter Analyseaktivitäten führt zu Effizienzgewinnen. Frühzeitige Erkennung von Risiken und koordinierte Reaktion steigern die Resilienz des Unternehmens. Ein besseres Verständnis der Risiko-Ertrags-Beziehungen ermöglicht auch eine zielgerichtetere Investitionspolitik.
Der Weg nach vorn: Risikomanagement als Katalysator
Trotz der Komplexität der aktuellen Risikolandschaft gibt es Grund für vorsichtigen Optimismus. Die Industrie hat gezeigt, dass sie sich anpassen kann. Was sich verändert, ist die Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit der Herausforderungen.
Ein wesentlicher Baustein zur Bewältigung liegt darin, Risiken, Chancen und Umfeldentwicklungen integriert zu betrachten. Risikomanagement sollte als proaktive Vorbereitung auf Veränderungen und potenzielle Schocks gesehen werden. Fortschrittliche Analysetools helfen dabei, Reaktionszeiten zu mindern und strategische Planungen zukunftsfähig zu gestalten.
In einer Welt, in der Veränderung die Konstante ist, wird Resilienz zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Integriertes Risikomanagement ist ein Schlüssel, um diese aufzubauen und zu sichern.
Viktoria Einarsson-Pichler ist Expertin im Bereich Risikomanagement und seit 2011 bei EY Österreich tätig, mit besonderem Fokus auf Enterprise Risk Management, Interne Revision und Interne Kontrollsysteme. Sie begleitet nicht nur den Aufbau von Risikomanagementsystemen, sondern auch die Entwicklung von strategischem Risikomanagement, Projektrisikomanagement-Frameworks, ESG-Risikomanagement-Integrationsansätzen und risikobasierten Prozessanalysen.
Leseempfehlung: Wie Vorstände und Aufsichtsräte in EMEIA Risiken aktuell einschätzen, erfahren Sie hier