Standort Österreich : Land der Berge, Land der Ansiedelungen

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Die Chancen waren ungleich verteilt: Auf der einen Seite gab es Berlin mit allen Infrastruktur-Vorteilen eines Ballungsraumes, auf der anderen Traismauer. 6.000 Einwohner, mitten im idyllischen Traisental. Die Entscheidung, wo die deutsche BEKUM-Gruppe mit Sitz in Berlin ihre Blasmaschinen-Produktion bündeln sollte, fiel dennoch auf die kleine niederösterreichische Gemeinde. „In Berlin sind die Grundstückskosten höher, das Personal gleich gut ausgebildet, aber deren Kosten etwas höher“, sagt Johannes Schwarz, Geschäftsführer der BEKUM Maschinenfabrik Traismauer GmbH.

Dazu kommt, dass im Land bereits Kapazitäten des Unternehmens vorhanden sind. In Niederösterreich wurden schon bisher rund 20 Großblasmaschinen pro Jahr erzeugt, deren Abnehmer unter anderem in der Automotiv-Industrie und der Verpackungsindustrie zu finden sind. Bevor man sich endgültig für Traismauer entschied, mischte kurzzeitig jedoch ein dritter Standort im Berliner Umland auf, verrät Schwarz. Warum das Rennen dennoch für Niederösterreich ausging und 50 neue Jobs dort brachte? „Hier ist das Know-how vorhanden, anders hätte es eines kompletten Know-how-Transfers bedurft.“

Qualifikation. Motivation. Stabilität

Tatsächlich steht die Qualifikation der Mitarbeiter unter den Motiven für eine Ansiedlung in Österreich häufig ganz oben, egal in welchem Bundesland. Laut René Siegl, Geschäftsführer der für Betriebsansiedlungen zuständigen Austrian Business Agency, lautet die Reihenfolge der schlagenden Argumente: „Erstens der österreichische Markt und der Marktzugang zu CEE, zweitens die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter und drittens die Stabilität im Land.“ Diese Dreifaltigkeit bezieht sich auf die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die vor allem Unternehmen aus Italien oder Osteuropa anlocken.

Nicht gekommen, um zu produzieren

In Summe haben sich im Vorjahr 319 Betriebe in Österreich angesiedelt und zusammen 2.622 Jobs geschaffen. Das waren um 22 Unternehmen mehr als 2015. Die allermeisten davon, nämlich 155, kamen in die Bundeshauptstadt. Erst mit großem Abstand folgen Nummer zwei und drei, diese sind Salzburg mit 31 und Kärnten mit 27 Ansiedlungen. Dass Wien diesen Wettbewerb so eindeutig für sich entscheidet, hat Siegl zufolge Tradition – wegen der Nähe zu Osteuropa und „weil Ballungsräume immer stark ziehen“.

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Viele Unternehmen sind allerdings nicht gekommen, um zu produzieren: Zwar liegen unter den ausländischen Direktinvestitionen industrienahe Dienstleistungen voran. Tatsächlich Produktionsstätten errichten aber nur „österreichweit zehn bis 15 Prozent“, sagt Siegl. An einem Problem der Bundeshauptstadt wird der Ansiedlungsrekord des Vorjahres daher wenig ändern: Von allen Wirtschaftsbetrieben in Wien entfallen nur 6,3 Prozent auf den Bereich Sachgüterproduktion. Angesichts einiger Abwanderungen – die Schwedenbomben-Erzeugung Niemetz übersiedelte nach Niederösterreich, Feuerfest-Produzent RHI verlegt seine Zentrale nach der Fusion mit Magnesita in die Niederlande – dürfte sich dieser Wert auch so schnell nicht bessern.

Der Westen gibt das Tempo vor

Ganz anders die Situation in Vorarlberg: Dort entfallen stolze 27 Prozent der Wirtschaftsleistung auf die Sachgüterproduktion. Ein ähnlich starkes Industrieland ist sonst nur Oberösterreich mit 25,5 Prozent.

„Vorarlberg und Tirol haben eine besonders exportorientierte Industrie. In Tirol zum Beispiel ist die Industrie eher klein, aber sie ist jene unter allen Bundesländern mit dem höchsten Exportanteil“, begründet Wifo-Regionalexperte Matthias Firgo. Dazu kommt, dass in beiden Bundesländern etwa 15 Prozent der Ausfuhren in die wirtschaftlich starke Schweiz gehen. Österreichweit liegt der Anteil lediglich bei rund fünf Prozent. Aber auch strukturelle Vorteile helfen Firgo zufolge den westlichen Bundesländern: In Vorarlberg sei etwa der Maschinenbau stark, in Tirol die Holzwirtschaft. Bei beiden handle es sich um Industriezweige, die sich derzeit besser entwickeln als manch andere.

Dies ist mit ein Grund, warum dem Westen am Arbeitsmarkt vor wenigen Monaten offenbar eine Trendwende gelang. Am stärksten sank die Arbeitslosigkeit in Tirol und Salzburg, gleichzeitig stieg die Beschäftigung im Bundesländervergleich überproportional. Warum etwa Niederösterreich, ein Bundesland mit ebenfalls durchaus starker Industrie, hier nicht mithalten kann? „Der Osten Österreichs hat neben einer schwächeren Wirtschaftsdynamik ein stärkeres Wachstum im Arbeitskräfteangebot und auch eine andere Zuwanderungsstruktur“, so Firgo, der davon ausgeht, dass die unterschiedliche Entwicklung von Ost- und Westösterreich am Arbeitsmarkt anhalten wird. Während im Westen vergleichsweise mehr Bürger aus alten EU-Ländern auf den Arbeitsmarkt kommen, seien es im Osten Österreichs verstärkt Personen aus den neuen EU-Ländern sowie Asylberechtigte.

Kärnten schlägt sich wacker

Im Bereich Industrie sowie im regionalen Wachstum insgesamt schlug sich auch Kärnten zuletzt wacker: Laut Wifo ist die Sachgüterproduktion expandiert, was auf den dynamischen Hochtechnologiesektor im Land zurückzuführen sei. Mit zum Aufholprozess des traditionell eher schwach entwickelten Bundeslandes tragen auch Ansiedelungen bei. Hier sind es vor allem die Italiener, die Kärnten als Alternative zu ihrem konjunkturell kränkelnden Heimatland entdecken. Wobei 2015 noch mehr Italiener nach Kärnten kamen als im Vorjahr.

In Salzburg und teilweise auch in Oberösterreich hat das gute Abschneiden bei den ausländischen Direktinvestitionen hingegen nicht mit einem schwachen Nachbarn zu tun, sondern im Gegenteil: Diese Länder profitieren von der Nähe zu Deutschland. Was die Entwicklung der Sachgüterproduktion betrifft, hinkt Oberösterreich – ähnlich wie die Steiermark – allerdings den westlichen Bundesländern hinterher und liegt nur etwa im Österreich-Schnitt.

Konkurrenz ist groß

Je näher die deutsche Grenze, desto größer aber auch die Konkurrenz. Denn laut Competitors Map der EU sind für nahezu alle österreichischen Bundesländer deutsche Regionen die wichtigsten Mitbewerber, allen voran sind dies die Regionen München, Stuttgart, Darmstadt und Düsseldorf. Dies bestätigt auch ABA-Chef René Siegl: „Sehr oft sucht der Direktinvestor einen Standort im deutschsprachigen Raum und hier heißt die Konkurrenz natürlich Deutschland und Schweiz.“ Aber auch andere Nachbarländer mischen im Rennen um neue Unternehmen mit. Zum Beispiel taucht in der Competitors Map bei Kärnten und der Steiermark außerdem Slowenien als wichtiger Mitbewerber auf, bei Wien und Burgenland die Lombardei. Und mit Standortvorteilen zu locken, weiß freilich auch die Konkurrenz: Oberbayern zum Beispiel, wozu auch München gehört, glänzt mit einer Arbeitslosigkeit von unter 3,5 Prozent und einer hohen Forschungsquote. Die Lombardei mit der Hauptstadt Mailand wiederum hat ein reges Start-up-Geschehen und gilt als Konjunkturlokomotive des ansonsten wirtschaftlich angeschlagenen Italien. Anders als andere Regionen des Landes zieht die Lombardei daher auch häufig ausländische Direktinvestitionen an. Eine der prominenteren im vorigen Jahr war dabei die Übernahme der TE.MA. aus Fara Gera d’Adda, einem Ort zwischen Mailand und Bergamo, durch die Gabriel-Chemie, einem 550-Mitarbeiter-Unternehmen aus dem niederösterreichischen Gumpoldskirchen.

Kein besseres Deutschland mehr

Gelingt es den österreichischen Bundesländern hier mitzuhalten? Schließlich hinkt das Wirtschaftswachstum Österreichs seit der Wirtschaftskrise 2009 dem EU-Schnitt hinterher. Das Image des besseren Deutschland, das Österreich in den Jahren davor aufbauen konnte, ist mittlerweile verspielt. Laut Siegl vermögen die heimischen Regionen aber immer noch zu punkten: Immerhin hat es seit 2009 kein Jahr mehr mit einem Rückgang in der Ansiedelungsbilanz gegeben. Und wie das Beispiel BEKUM-Gruppe in Traismauer zeigt, sind österreichische Standorte immer noch in der Lage, die deutsche Konkurrenz auszustechen.