Wirtschaftsregion Niederösterreich und Burgenland : "Deindustrialisierung ist kein abstraktes Schreckgespenst mehr"

Helmut Schwarzl, Spartenobmann Industrie der Wirtschaftskammer Niederösterreich (links), und Spartengeschäftsführer Alexander Schrötter sehen Niederösterreichs Industrieunternehmen unter massivem Druck - und haben Forderungen.
- © Josef Bollwein | www.flashface.comSpartenobmann der Industrie Niederösterreich Helmut Schwarzl ist alarmiert, aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation und fordert klare Rahmenbedingungen, um die Weichen Richtung Aufschwung zu stellen. „Was die Industrie österreichweit momentan am meisten braucht, ist die Senkung der Lohnnebenkosten, Entbürokratisierung sowie die Senkung der Energiekosten – das sind die drei Brocken. Die Deindustrialisierung ist kein abstraktes Schreckgespenst mehr, sondern zeigt sich konkret: internationale Konzernzentralen verlieren das Verständnis für die heimischen Kostenstrukturen, was Standorte gefährdet“, betont er. Zugleich sind erste Hoffnungszeichen erkennbar. Vereinzelte positive Branchenindikatoren und erste politische Schritte in Richtung einer systematischen Industriepolitik könnten das Fundament für eine Kehrtwende bilden. Doch dazu bedarf es klarer Konzepte, Umsetzungsstärke und vor allem politischer und gesellschaftlicher Entschlossenheit.
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„Die Senkung der Lohnnebenkosten, Entbürokratisierung sowie die Senkung der Energiekosten – das sind die drei Brocken, die wir am meisten brauchen."
Helmut Schwarzl, Spartenobmann Industrie, Wirtschaftskammer Niederösterreich
Enormes Potenzial
Hinter der vordergründigen Krisenstimmung steht ein beachtliches industrielles Potenzial. Rund 1.000 Industriebetriebe sind in Niederösterreich tätig und sind für etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Bundeslandes verantwortlich. Mit rund 78.000 unselbstständig Beschäftigten und 2.700 Lehrlingen bildet die Industrie eine solide Beschäftigungsbasis. Mit rund 34,9 Milliarden Euro erwirtschaftetem Umsatz und einer bedeutenden Rolle als Exportmotor liegt hier enormes Zukunftspotenzial. Über 16 Milliarden Euro an Waren exportiert die Industrie Niederösterreich jährlich. 84 Prozent gehen in europäische Länder, acht Prozent nach Amerika und sechs Prozent nach Asien. „Diese Zahlen sind mehr als nur eine wirtschaftliche Bilanz. Sie verdeutlichen die enorme Verantwortung, die die Industrie für Wohlstand, Innovation und Stabilität trägt. Jeder erwirtschaftete Euro verdoppelt sich durch Multiplikatoreffekte innerhalb der niederösterreichischen Wirtschaft. Der Erhalt und die Stärkung dieses Sektors, ist daher nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Anliegen“, erklärt Spartenobmann Schwarzl.
Drei systemische Schmerzpunkte
Erstens: "Wir sind derzeit das einzige Land in der EU ohne eine aktive Strompreiskompensation für energieintensive Betriebe. Während Länder wie Spanien und Portugal Entlastungsmechanismen eingeführt haben, um ihre Industrien vor den drastischen Auswirkungen volatiler Energiemärkte zu schützen, ist in Österreich seit dem Auslaufen des Stromkostenausgleichsgesetzes 2022 nichts passiert. Das belastet insbesondere jene Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb ohnehin unter hohem Kostendruck stehen."
Zweitens: „Österreich verzeichnete im Jahr 2023 einen Anstieg der Lohnstückkosten um 9,7 Prozent, 2024 sogar um 12,4 Prozent – der höchste Zuwachs im Vergleich zu den sechs wichtigsten Handelspartnern. Wir schlagen hier die ersatzlose Abschaffung des Arbeitgeberanteils am Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) vor, um Unternehmen gezielt zu entlasten. Es ist nicht länger vermittelbar, warum heimische Arbeitgeber in einem solchen Ausmaß zur Kasse gebeten werden, während ihre internationalen Konkurrenten von niedrigeren Lohnnebenkosten profitieren“, ergänzt der Spartenobmann.
Drittens: „Gold Plating, also die Übererfüllung von EU-Vorgaben durch nationale Sonderregelungen, ist in Österreich gängige Praxis. Ob Luftqualitätsrichtlinie, Industrieemissionsrichtlinie oder die Umsetzung des Net-Zero Industry Acts. Statt pragmatisch und effektiv zu agieren, wird in Wien oft mit erhöhtem regulatorischem Aufwand gearbeitet. Das führt zu langen Genehmigungsverfahren, Rechtsunsicherheit und einem erheblichen Wettbewerbsnachteil für heimische Unternehmen.“

Bildung als Standortvorteil: HTL, Lehre und Innovation
Trotz aller Herausforderungen gibt es auch Lichtblicke. Die Qualität der beruflichen Bildung ist in Österreich nach wie vor hoch. In Niederösterreich sorgen 14 HTL und ein starkes duales Ausbildungssystem für einen kontinuierlichen Nachschub an gut ausgebildeten Fachkräften. Die Lehrlingszahlen in der Industrie bleiben seit Jahren konstant. Ein klarer Indikator für die Attraktivität dieser Ausbildungsform. Helmut Schwarzl betont die Bedeutung dieses Systems: „Was wir in Österreich haben, ist einzigartig. Das duale Ausbildungssystem mit Berufsschule und praktischer Ausbildung im Betrieb sichert uns einen Vorsprung, den kaum ein anderes europäisches Land bieten kann. Initiativen wie proHTL und die Lernplattform der Wirtschaftskammer zeigen, dass Bildungsinitiativen zunehmend digitalisiert, vernetzt und an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt angepasst werden.“ Ein weiteres Erfolgsmodell ist die Lehre mit Matura, insbesondere in großen Industriebetrieben, wo die Maturavorbereitung direkt im Betrieb stattfindet. Das ermöglicht Jugendlichen niederschwelligen Zugang zu höherer Bildung ohne Verlust an Praxisnähe.
Jeder erwirtschaftete Euro verdoppelt sich durch Multiplikatoreffekte innerhalb der niederösterreichischen Wirtschaft. Der Erhalt und die Stärkung dieses Sektors ist daher auch ein gesellschaftspolitisches Anliegen.Helmut Schwarzl
Transformation mit Augenmaß
Die niederösterreichische Industrie bekennt sich zur Transformation in Richtung Klimaneutralität. Der „Clean Industrial Deal" der EU wird als richtige Initiative anerkannt. Entscheidend sei laut Schwarzl jedoch nicht das Ziel, sondern die Art der Umsetzung: „Es braucht kein weiteres Strategiepapier, sondern endlich konkrete Entscheidungen. Ein besonders heikles Thema ist die Umsetzung der Luftqualitäts- und Wasserrichtlinien der EU. Diese sehen bis 2027 beziehungsweise 2030 drastische Grenzwertverschärfungen vor, die vor allem bei Feinstaub und Gewässerdurchlässigkeit neue Anforderungen an Industrieanlagen stellen. Unternehmen fordern hier praxisnahe Lösungen. Die Beibehaltung von Bagatellregelungen, Rechtssicherheit bei Stand-der-Technik-Anlagen und die Auslegung von Artikel 12 der Luftqualitätsrichtlinie als Bemühungsverpflichtung statt als Verschlechterungsverbot. Nur so ist eine Balance zwischen Umweltzielen und wirtschaftlicher Realität herzustellen“, ist Schwarzl überzeugt.
Innovation und Technologie
Trotz der wirtschaftlichen Delle zeigen viele Unternehmen eine beeindruckende Innovationskraft. Künstliche Intelligenz wird nicht als Modeerscheinung, sondern als strategisches Werkzeug begriffen. „Zwar wird Österreich kaum eigene KI-Plattformen entwickeln, aber die Nutzung bestehender Tools, etwa in Buchhaltung, Personalwesen, Produktionsoptimierung oder Supply-Chain-Management, birgt großes Effizienzpotenzial. Ein gutes Beispiel liefert der 3D-Druck. Was vor zehn Jahren noch als Spielerei galt, ist heute integraler Bestandteil vieler industrieller Prozesse. Von Prototyping über Ersatzteilfertigung bis hin zu individualisierter Produktion. Auch hier zeigt sich: Wer den technologischen Wandel aktiv annimmt, schafft sich Wettbewerbsvorteile“, ist Helmut Schwarzl überzeugt.