Plattformökonomie : TTTech-Industrial-Experte Imamovic: "100.000 Signale pro Sekunde"

TTTech-Plattformexperte Imamovic
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Wer Enthusiasmus sucht, wird am Hochplateau der Ingenieurskunst fündig. Denn genau dort ist das EU-Forschungsprojekt CPS4RETAIL angesiedelt. Die Reduktion aller nicht wertschöpfenden Prozesse - prototypisch am Beispiel eines mittelständischen Drohnenfabrikanten durchexerziert - ist das im Projekt artikulierte Ziel bis 2022. In die Rolle des Fabrikanten schlüpft ein Team der Bieler Swiss Smart Factory. Von der Bearbeitung der eingehenden Bestellung über die Produktion der Drohne bis zur Auslieferung sollen in der Aufsehen erregenden Fallstudie alle Prozesse vollautomatisiert - und damit radikal schneller - über die Bühne gehen. Mit an Bord ist auch der Schweizer Softwareentwickler AI4BD. Dieser hat den Use Case, bei dem cyberphysikalisch vernetzte Module dezentral zum Einsatz kommen, konfektioniert. Und er steuert ein kognitives, also dank KI selbstlernendes ERP bei.

Echtzeit-Daten

Die zugrunde liegende Dateninfrastruktur dagegen liefert - wie übrigens auch die Industrie-PCs mit hoher Konnektivität dank sechs Netzwerkports - das IT-Unternehmen TTTech Industrial. Zum Einsatz kommt die IoT-Plattform Nerve. Diese - bereits bei Kunden im Serienrollout - soll im Projekt weiter optimiert werden, erzählt Mirza Imamovic, Sales Manager Industrial IoT und Projektansprechpartner bei TTTech Industrial. Größtmögliche Synchronisierung ist das Stichwort. Werden die Drohnen konfiguriert, läuft im Hintergrund im Millisekundentakt, also in Echtzeit, die Verarbeitung aller Prozessinformationen. „Aus Erfahrung wissen wir, dass je nach Art der Maschine eine beträchtliche Anzahl von Echtzeit-Daten anfällt und die Plattform dann mitunter 100.000 Signale pro Sekunde zu verarbeiten hat“, sagt er.

Diese Echtzeitfähigkeit zeichnet die Plattform der Wiener, über die Daten von der Maschinenebene zur ERP-Ebene zirkulieren, aus. Es gebe aktuell kaum Systeme, die derart große Mengen von Daten vom Shopfloor abgreifen „und auch sicherstellen, dass alle Daten gesammelt, vorverarbeitet und weitergeleitet werden“, schildert Alexander Bergner, Director Product Management Industrial IoT, der die Nerve-Produktlinie bei TTTech Industrial managt.

Radikal offen

Im März fiel der Startschuss für das CPS4RETAIL Projekt. Das gewandelte Einkaufsverhalten in Covid-19-Zeiten und der Drang, Unsicherheiten frühzeitig aus den globalen Lieferketten zu kriegen, geben dramaturgisch den Rahmen des insgesamt 18 Monate laufenden Projekts vor. Nerve wurde in der Swiss Smart Factory bereits installiert und im Moment werden die ersten Einsatzszenarien erarbeitet. Mit der Nerve Plattform freilich hat man es bisher schon weit gebracht. „Es ist eine radikal offene, sehr flexibel skalierbare Plattform“, sagt Bergner. So sind Apps von Drittanbietern ohne Interfaces als virtuelle Maschine oder Docker Container nutzbar. „Sogar Windows-Applikationen lassen sich einfach integrieren“, so der Experte. Seiner Meinung nach unterscheide man sich damit von stark generischen IT-Plattformen, speziell auch im Softwaremanagement und beim klaren Fokus auf die produzierende Industrie. Nicht zufällig laufen bei einigen Kunden Hyperscalerlösungen wiederum auf der Plattform der Wiener.

Erklärungsbedürftig sind die Vorzüge der Edge-Technologie bei Unternehmen damit längst nicht mehr in dem Ausmaß wie noch vor ein paar Jahren, beobachtet der TTTech Industrial-Vertriebsprofi Mirza Imamovic. Plattformen sind in der Industrie angekommen, wenngleich die Konsolidierung am Plattformmarkt noch anhalten wird. Entscheidungsträgheit beim Investieren ortet er bei Industriebetrieben jedenfalls nicht - im Gegenteil: Das Thema nimmt Fahrt auf. Und wenn es auch nur darum geht, eine möglicherweise doch an ihre Grenzen gestoßene, wenig anspruchsvolle, also kaum auf den Kunden-Use-case adaptierte Open-Source-Plattformlösung durch Technologie der Wiener zu ersetzen.