Karrieren : Hubert Gerstmayr: Der Metall-Entrepreneur
Als die Lenzing Gruppe Mitte 2015 für drei Segmente der Lenzing Technik Käufer sucht, wittert Hubert Gerstmayr seine Chance: Der Bereich Automation und Robotik wäre eine optimale Ergänzung für das Portfolio seiner Firmengruppe, so seine Überlegung. Doch man wird sich nicht handelseins, stattdessen kommt man in einem anderen Segment, dem der ebenfalls zur Disposition stehenden Blechtechnik, zusammen.
Im Rahmen eines Asset Deals werden Anlagentechnik und Maschinen, aber auch Lagerbestände erworben und 40 Mitarbeiter von Lenzing übernommen. "Es war schon ein größeres Investment zu stemmen", erinnert sich Gerstmayr, der rund drei Jahre zuvor - über einen Berater eingefädelt - das Metalltechnikunternehmen Spießberger aus Schlatt erwarb und dort die Geschäftsführung übernahm.
Einstieg in die Metallwelt
Ein Eintritt in eine Welt der Metall- und Zerspanungstechnik, der für viele, die bis dahin Gerstmayrs Werdegang verfolgten, gelinde gesagt überraschend kam: Gerstmayr kommt aus der IT-Branche, Bernd Greifender und Sok-Kheng Taing holen den Finanzexperten 2005 ins Gründerteam des Linzer Softwareherstellers Dynatrace. Ein international rasant wachsendes, auf APM (Application Performance Management) spezialisiertes Unternehmen, das 2006 den US-amerikanischen Finanzinvestor Bain Capital ins Boot holt und im Sommer 2011 schließlich - am Wochenende vor dem amerikanischen Unabhängigkeitstag - um einen dreistelligen Millionenbetrag an den US-Konzern Compuware verkauft wird.
Was Gerstmayr dazu bewog, der Softwarewelt den Rücken zu kehren - er schied operativ wenige Monate nach dem Deal aus dem Bostoner Unternehmen aus - und praktisch ohne persönlicher Cool-down-Phase in heimatlichen Gefilden den Shopfloor zu erschließen? Der heute 48-jährige Betriebswirt mit technischer Ausbildung und einer Vergangenheit in der Versicherungs- und Bankenbranche führt dafür hauptsächlich die Sehnsucht nach bodenständiger Arbeit "ohne Zeitverschiebungen, ständiger Reportings oder Finanzierungsrunden" ins Treffen. Und dann ist da natürlich das Faible für die metallverarbeitende Industrie, das bei Gerstmayr schon in jungen Jahren - erstmals bei einem Ferialjob auf einer Schiffswerft - durchschlug.
Expansion
Einen geruhvollen Job hat der vierfache Vater Gerstmayr, den schon der Betrieb einer Biolandwirtschaft in einem Vorort von Linz auf Trab hält, auch in seiner Firmengruppe mit den beiden Standbeinen Metalltechnik - Zerspanen, Laserschneiden, Schweißen und Abkanten - einerseits sowie der roboterbasierten Automatisierung anderseits freilich nicht. Bis vorigen März war die Übersiedelung der rund 70-köpfigen Produktionsmannschaft an den neuen Firmenstandort in Redlham mit seinen 9.600 Quadratmetern Produktionsfläche abgeschlossen, die Aktivitäten der bisherigen Standorte Lenzing (HMS - Mechatronik, Lenzing Blechtechnik) sowie Schlatt (Spießberger) wurden hier im Rahmen einer zwölf Millionen Euro schweren Investition in neue Anlagentechnik zusammengelegt, die bisherigen Einzelunternehmen in das GER4TECH Metall & Mechatronik Center verschmolzen.
Produktionsabläufe und Auslastung wurden optimiert, das Leistungsportfolio erweitert. So ist die Automatisierung so genannter "dirty jobs" wie dem Schleifen von Bauteilen eine neue Domäne. In der Metalltechnik erfolgt der Wandel vom klassischen Lohnfertiger zum Anbieter von Systemlösungen für den gesamten Stahl- und Maschinenbauab Losgröße-1. Und Bearbeitungs- und Materialflusslösungen rund um kollaborative Roboter sowie Fahrerlose Transportsysteme sind im Projektgeschäft der Automation ein weiteres potenzielles Wachstumsfeld. Wie übrigens auch die Landtechnik - Stichwort Rundballentransport.
Fernab von Boston
Ab vorigen September hat sich - nach ein paar pandemiebedingt angespannten Monaten - nun auch das Blatt beim Auftragseingang wieder gewendet. "Die Auslastung ist wieder hoch und es geht weiter in die richtige Richtung", sagt Gerstmayr. Neben Abnehmern aus der der Automobilindustrie - so schweißt man für einen Zulieferer von Daimler etwa sicherheitsrelevante Bauteile für Allradachsen - hat man sich in der Gruppenstruktur einen schönen Kundenstock quer durch die mittelständische Industrie aufgebaut. Es lebt sich demnach also gut ohne Boston und Startup-Flair - auch wenn Gerstmayrs Nachwuchs mitunter gern darauf beharrt, dass es an der US-Ostküste ganz grundsätzlich auch auszuhalten wäre.