Russland/Ukraine : Alle aktuellen Sanktionen und ihre Folgen

Stadtzentrum von Moskau in Russland
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Die USA, die EU und andere G7-Staaten wie Japan, Kanada und Großbritannien haben als Reaktion auf die fortgesetzten russischen Angriffe in der Ukraine am Wochenende ein drittes, härteres Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Ein erstes Paket an Maßnahmen war nach der russischen Anerkennung der pro-russischen Separatistengebiete in der Ostukraine beschlossen worden. Ein zweites folgte dann nach der russischen Invasion.

Die Strafmaßnahmen der einzelnen westlichen Länder unterscheiden sich dabei in Teilen und sollten zunächst vor allem diejenigen in Russland treffen, die in die Anerkennung der Separatistengebiete und die militärischen Angriffe einbezogen waren. Das dritte Paket zielt dagegen mehr auf eine internationale Isolation Russlands.

Die Sanktionen des Westens werden Russland nicht zu einem Kurswechsel bewegen, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag sagte. Es gebe zwar Verhandlungen mit der Ukraine, aber keine Pläne für Gespräche der beiden Präsidenten.

HANDEL UND TECHNOLOGIE

Die EU und Japan haben den Handel mit Unternehmen in den selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk untersagt. Die EU hat beide Gebiete aus dem EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das Waren aus dem Land bevorzugten Zugang zum Binnenmarkt gewährt. Sowohl die USA, EU, Japan und Südkorea haben Exportverbote für Russland in einer Reihe von Hightech-Sektoren beschlossen. Dies soll die Weiterentwicklung der russischen Unternehmen erheblich erschweren.

Das Verbot für Lieferungen betrifft auch Firmen in Drittstaaten, die mit US-Lizenzen arbeiten. Die Bundesregierung vergibt als nationale Maßnahme keine Hermes-Exportbürgschaften mehr, was den Handel mit Russland teurer und unsicherer für die Akteure macht.

ENERGIE

Sowohl die USA als auch die EU betonen, dass Energielieferungen nicht in Sanktionen einbezogen werden sollen. Der Grund: Der Westen braucht russisches Gas und Öl. Transatlantisch wird argumentiert, dass man die Energiemärkte angesichts ohnehin hoher Preise nicht noch mehr in Turbulenzen stürzen wolle. Damit behält die russische Führung allerdings ihre Haupteinnahmequelle. Bei dem Ausschluss russischer Banken aus Swift wurde darauf geachtet, dass es noch genügend Banken in Russland gibt, die die Energiegeschäfte abwickeln können.

Den möglicherweise größten Schritt in der ersten Sanktionsrunde war Deutschland auf nationaler Ebene gegangen: Kanzler Scholz setzte die Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 aus. Die Entscheidung, eine neue Studie zur Versorgungssicherheit zu erstellen, ist formal zwar gar keine Sanktion. Aber sie ist ein Zeichen für die Regierung in Moskau: Dem russischen Energiekonzern Gazprom entgehen durch die nun sehr wahrscheinliche Verschiebung einer Betriebserlaubnis oder gar durch ein Aus für Nord Stream 2 Einnahmen in Milliardenhöhe.

BANKEN- UND FINANZSEKTOR

Die EU, die USA und Großbritannien, Japan und Südkorea schlossen etliche russischen Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift aus. Die Maßnahmen zielen auf ein Austrocknen des russischen Finanzsektors, ohne aber die Energiegeschäfte zu verhindern. Zudem setzte die EU schwerwiegenden Sanktionen gegen die Moskauer Zentralbank in Kraft, die ihr die Verwendung der hohen russischen Auslandsdevisenbestände in Dollar, Euro und Pfund unmöglich machen sollen. Großbritannien, die USA und die EU verboten zudem russischen Banken den Handel mit ihren Währungen. London friert nach den Guthaben von fünf kleineren russischen Banken nun auch das Vermögen etwa der zweitgrößten Bank VTB im Königreich ein. Der Zugang zum Finanzplatz London soll für russische Akteure und Firmen weitgehend geschlossen werden.

Die USA weiteten ihre Sanktionen gegen russische Banken aus und sind bereits gegen die VEB-Bank und die Promsvyazbank vorgegangen, die im Verteidigungsbereich tätig ist. Alle Vermögenswerte, die der US-Gerichtsbarkeit unterliegen, sollen eingefroren werden. US-Personen und -Einrichtungen werden Geschäfte untersagt. Die EU gibt an, sie habe 70 Prozent des russischen Finanzsektors mit Sanktionen belegt. Schon zuvor hatten die USA, die EU und Japan Restriktionen für den Handel mit russischen Staatsanleihen verhängt.

Die Schweiz schloss sich trotz ihrer traditionellen Neutralität den Sanktionen der Europäischen Union (EU) gegen Russland an.

LUFTRAUM GESCHLOSSEN


Etliche europäische Länder, aber auch Kanada haben ihren Luftraum für russische Flugzeuge geschlossen.

PERSONEN


Viele Sanktionsbeschlüsse der westlichen Staaten gegen Personen zielen entweder auf das Umfeld von Putin oder Politiker, die direkt mit der Anerkennung der Separatistengebiete beschäftigt waren. Die EU setzt auch alle Abgeordnete des russischen Parlaments auf die Sanktionsliste, die für die Anerkennung der Separatistengebiet gestimmt hatten. Sie dürfen nicht mehr in die EU einreisen, ihre Vermögenswerte in der EU werden eingefroren.

Großbritannien hat Sanktionen gegen mehr als 100 Russen erlassen. Dazu gehören unter anderem drei Männer, die im Gefolge von Putin reich geworden sind: Gennady Timchenko sowie die Milliardäre Igor and Boris Rotenberg. Die USA weiten ihre schwarze Liste kontinuierlich aus und nehmen Putin-nahe Personen ins Visier, darunter Sergej Sergejewitsch Iwanow, Chef des staatlichen russischen Diamantenbergbauunternehmens Alrosa.

Japan verhängte ein Einreiseverbot und Kontensperrungen für die an den Regierungen in den beiden sogenannten Volksrepubliken beteiligten Personen. Auch Australien will diesen Weg gehen.

SANKTIONEN GEGEN PUTIN


Die EU hatte schon am Freitag beschlossen, dass sie auch die persönlichen Konten von Putin und Außenminister Sergej Lawrow einfriert. Ein Reiseverbot soll gegen beide aber nicht verhängt werden.

Michael Löwy: Auswirkungen auf österreichische Industrie

Die Sanktionen des Westens gegen Russland aufgrund der Invasion des Landes in der Ukraine werden den Handel mit Russland und die Investitionen dort einschränken - und das werden, vor allem indirekt, auch österreichische Firmen zu spüren bekommen. Das sagte Michael Löwy, in der Industriellenvereinigung (IV) Bereichsleiter für Internationale Beziehungen, am Montag im APA-Gespräch. Den Firmen rät er, ihre Lieferketten und Zahlungsströme zu überprüfen.

Dass der Handel mit Russland und der Ukraine wohl abnehmen wird, stehe fest, so Löwy. Betroffen von indirekten Folgen wie eine sinkende Nachfrage oder auf den Prüfstand gestellte Investitionen könnten vor allem die größten Exporteure im Außenhandel Österreichs mit Russland sein, nämlich die Bereiche Maschinenbau und Maschinenbau-Erzeugnisse, gefolgt von chemischen Industrieprodukten sowie dem Sektor bearbeitete Waren. Als indirekte Folge der Sanktionen könnte es auch zu Unterbrechungen von Lieferketten kommen.

Für eine unmittelbare Einschränkung von Gaslieferungen durch Russland spreche nicht viel, sagte Löwy: "Warum sollte ich mein bestes Produkt freiwillig nicht mehr liefern?" Die Nachteile davon würde Russland sofort in seinem Budget spüren. Österreich ist zu rund 80 Prozent von russischem Erdgas abhängig, erinnerte der IV-Experte. Ein Gas-Embargo sollte daher verhindert werden.

Zahlungsströme im Geschäftsverkehr mit Russland seien weiterhin möglich, sofern sie nicht über eine Bank abgewickelt werden, die auf der Sanktionsliste stehen. Konten bei anderen Geldinstituten könnten, so Löwy, auch österreichischen Firmen die Gelegenheit bieten, aus dieser Zwickmühle herauszukommen. Allerdings stehe auch im Raum, dass es hier zu Verschärfungen kommen könnte. Als Beispiel verwies der IV-Experte auf den Iran, dem nur eingeschränkte Transfers über bestimmte Konten für Öl, Gas und medizinische Produkte gestattet wurden. Ein Ausweg wären auch Barter-Geschäfte, die wieder aufleben könnten, auch wenn sie kompliziert seien.

An die Möglichkeit asymmetrischer Gegensanktionen Russlands in wirtschaftlicher Hinsicht bis hin zur Beschlagnahme ausländischer Assets will Löwy nicht denken: "Dann wäre eine völlig andere Dimension erreicht."

Was könnten nächste Sanktionen sein?

Der Westen kann Ökonomen zufolge bei den Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine noch deutlich nachlegen. "Den giftigsten Pfeil hat er noch nicht verschossen: einen Importstopp von Gas", sagte der Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (Wifo) in Wien, Gabriel Felbermayr, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Allein Deutschland überwies 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 19,4 Milliarden Euro für Erdöl und Erdgas nach Russland. "Allerdings wäre diese Waffe auch für die EU sehr teuer", sagte Felbermayr. Denn vor allem das auch für die Industrie wichtige Erdgas kann nicht so einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden.

"Der Westen hat noch nicht alle Pfeile aus seinem Köcher verschossen", sagte der Handelsexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Hendrik Mahlkow, mit Blick auf die noch möglichen Sanktionen. "Wir sind noch nicht am Maximum." So könnte der Warenhandel der westlichen Verbündeten mit Russland komplett eingestellt werden, was es selbst zu Zeiten des Kalten Kriegs mit der Sowjetunion nicht gegeben habe. "Das wäre das schärfste Schwert, das würde die russische Wirtschaft sehr stark treffen", sagte Mahlkow. Allein ein Handelsboykott von Gas würde nach IfW-Berechnungen das russische Bruttoinlandsprodukt um 2,9 Prozent einbrechen lassen. "Russland ist abhängig von den EU-Märkten", sagte Mahlkow. Von den gesamten Warenexporten Russlands entfielen 2020 mehr als ein Drittel auf die Europäische Union. Umgekehrt jedoch lieferte die EU nur rund vier Prozent ihrer Exporte nach Russland und bezog gut fünf Prozent ihrer Importe von dort.

Spielraum für verschärfte Sanktionen sehen die Experten auch im Finanzsektor. "Der Ausschluss vieler russischer Banken vom Swift-System ist nicht umfassend", sagte Mahlkow. "Es gibt nach wie vor Transaktionen, gerade im Energiesektor, die von den Swift-Bann ausgenommen sind." Bisher seien nur 70 Prozent der russischen Banken vom internationalen Zahlungsnetzwerk Swift verbannt worden. Es könnten auch alle privaten Banken, die unter staatlicher Händen stünden, aus Swift herausgeworfen werden.

Thomas Wieser: Auswirkungen auf Europa

Der frühere Chef der Euro-Arbeitsgruppe, Thomas Wieser, sieht wegen der Russland-Ukraine-Krise und der Sanktionen bei der Hoffnung auf ein heuer hohes Wirtschaftswachstum und eine doch noch geringere Inflation "andere Vorzeichen als vor drei, vier Wochen". Die westlichen Strafmaßnahmen träfen Russland massiv. "Ohne Auswirkungen auf Europa kann man das nicht haben", sagte der Ökonom in einer ORF-Sonder-"ZiB" am Montagabend. Viel werde nun von den Notenbanken abhängen.

Die Wirtschafts- und Finanzaktionen wie der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System werden Wieser zufolge Auswirkungen auf alle Player ("Leute, Institutionen, Gläubiger") haben, die russische Aktiva haben. Es gehe um die Fragen, ob Zinsen bedient und Fälligkeiten eingehalten werden. Etwa habe Moskau am 4. April einen Bond in der Höhe von 2 Mrd. Euro zu bedienen. "Man wird sehen: Kann den Russland dann bedienen; will es den überhaupt bedienen?"

Dabei hänge potenziell "sehr viel" davon ab, ob die Zentralbanken "wie 2008 Willens sein werden, etwaige Probleme" zu beseitigen", so der frühere Euro-Arbeitsgruppenvorsitzende, "also die Liquidität aufrechterhalten". Das gelte für den US-Dollar- und den Euroraum.

Es dürfte im Konflikt "wahrscheinlich die politisch-moralische Priorität" des Westens sein, zu zeigen, "diese Kosten, die tragen wir auch", sagte Wieser. Es gehe "nicht nur um einen Akt der Solidarität gegenüber der Ukraine sondern auch um aktive wirtschaftliche Selbstverteidigungen".

Dass EZB und Aufsichtsbehörden "qualitativ hochstehend" zusammenarbeiten würden, zeige sich im Vorgehen gegen die Sberbank Europe mit Sitz in Wien gemeinsam mit der heimischen FMA. Von solcherlei Zusammenspielen zwischen EZB und Aufsichtsbehörden werde viel abhängen - im jenem Sinne, wie schwer eine Krise im Westen werden könnte oder eben nicht.

Auf Russland, das für zehn Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion stehe, würden die Sanktionen deutlich schwerer Auswirkungen als die Finanzkrise 2008 haben, sagte Wieser. Das habe man umgehend gesehen und in einigen Monaten werde man dies noch stärker sehen. Russland habe "630, 640 Milliarden" in Dollar, Euro und auch Gold. Über "14, 15 Prozent" dieser Summe verfüge Moskau in der chinesischen Währung Renminbi (Yuan). Nur diese Menge sei unsanktioniert.

Viel hänge freilich davon ab, wie lange und in welcher Intensität der Ukraine-Konflikt laufe, sagte der frühere "Mister Euro" Wieser. Er glaube aber nicht, dass die Krise in Europa ähnlich schwer werden könne wie die Finanzkrise.

Auswirkungen auf Russland und China

Sollten sich die Beziehungen vollständig entkoppeln, wären die langfristigen Auswirkungen für Russland deutlich schlimmer als für den Westen, geht aus einer Simulation des Wifo und des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) hervor. Das jährliche russische BIP würde um knapp 10 Prozent verlieren.

"Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche aber keine politische Wirkung. Halten sie lange an und sind umfassend, kann sich ihr politisches Wirkungspotenzial vergrößern", so der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr. "Nach einer Anpassungsphase im Welthandel wird Russland deutlich geschwächt dastehen, der Schaden für die Alliierten ist dagegen überschaubar."

Der Grund für die starken Verluste in Russland liegt laut der Studie darin, dass die Handelsbeziehungen zum Westen für das Land deutlich wichtiger sind als umgekehrt für die westlichen Staaten. 2020 war die EU beispielsweise für mehr als ein Drittel (37,3 Prozent) des russischen Außenhandels verantwortlich, dagegen finden lediglich 4,8 Prozent des Außenhandels der EU mit Russland statt.

Im Gegensatz zu Russland würde Österreich langfristig - das sind auf jeden Fall mehr als 5 Jahre - nur 0,28 Prozent beim jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) einbüßen. Deutschland (minus 0,40 Prozent) und Italien (minus 0,31 Prozent) würden etwas stärker leiden. Frankreich würde mit minus 0,16 Prozent eher moderat verlieren. Die Auswirkungen für die USA und Großbritannien mit minus 0,04 Prozent und minus 0,09 Prozent wären indessen sehr gering. Aus den Zahlen werde deutlich, dass Russland mit der EU stärker verflochten ist als mit den USA oder Großbritannien.

Die größten wirtschaftlichen Schäden würden sich für die baltischen Staaten ergeben. Litauens BIP würde jährlich um knapp zweieinhalb Prozent niedriger ausfallen, für Lettland und Estland würde das Minus bei rund zwei Prozent liegen.

Einen Gewinner gebe es allerdings in dem Szenario - nämlich China. Denn sollte der Handel zwischen Russland und dem Westen entkoppelt werden, könnte Russland seine Beziehungen zu anderen Ländern ausweiten. Groß wäre der Zugewinn für Chinas BIP pro Jahr aber nicht. Die Volksrepublik würde von einer Entkoppelung der Handelsbeziehungen Russlands zum Westen langfristig mit einem kleinen Plus von 0,02 Prozent profitieren.

Auch im Handel zwischen diesen beiden Ländern ist China für Russland wichtiger als umgekehrt. Im Jahr 2020 gingen laut der Studie knapp 14,6 Prozent der russischen Exporte nach China, dagegen kamen nur knapp 2,8 Prozent der chinesischen Importe aus Russland. Zudem kamen knapp 23,7 Prozent der russischen Importe aus China, während nur 2 Prozent der chinesischen Exporte nach Russland gingen. (apa/red)