Start-ups : Start-ups im Gegenwind – warum gerade Industrieunternehmen jetzt von Kooperationen profitieren

Florian Haas EY

"Kooperationen, die lediglich als Feigenblatt für Innovation dienen, sind zum Scheitern verurteilt."
Florian Haas, Head of Startup, Head of Brand & Growth EY Österreich

- © EY

Noch vor wenigen Jahren war die österreichische Start-up-Szene ein Synonym für Dynamik und Wachstum. 2021 markierte das absolute Rekordjahr: 1,2 Milliarden Euro flossen in heimische Jungunternehmen, internationale Investor:innen waren stark vertreten und Mega-Deals über 100 Millionen Euro sorgten für Schlagzeilen. Auch 2022 blieb mit rund einer Milliarde Euro auf hohem Niveau. Heute zeigt sich ein anderes Bild: Im ersten Halbjahr 2025 sank das Finanzierungsvolumen auf nur 110 Millionen Euro – ein Rückgang um rund 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr und der niedrigste Wert seit 2019. Große Finanzierungsrunden? Fehlanzeige. Besonders betroffen ist die Frühphase, traditionell eine Stärke des österreichischen Marktes. Internationale Investor:innen ziehen sich zurück, und auch Industrieinvestoren agieren vorsichtiger, die Gründe sind klar: anhaltende wirtschaftliche Schwäche, steigende Zinsen und geopolitische Unsicherheiten.

 

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Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Bedeutung von Start-ups für den Standort unbestritten. Sie sind Innovationstreiber – für Gesellschaft, Wirtschaft und insbesondere für Industrieunternehmen, die sich mitten in der digitalen und ökologischen Transformation befinden. Ob Dekarbonisierung, Automatisierung, Kreislaufwirtschaft, Smart Factory oder resiliente Lieferketten – Start-ups liefern Technologien und Lösungen, die industrielle Transformationszyklen signifikant beschleunigen können. Innovationen von außen sind dabei ein entscheidender Hebel.

Potenzial trotz Gegenwind

Österreich hat weiterhin die Chance, eines der dynamischsten Start-up-Ökosysteme Europas zu werden. Studien zeigen: Mit besseren Rahmenbedingungen – insbesondere bei Finanzierung, Talentförderung und Regulatorik – könnten bis 2030 über 200.000 neue Jobs entstehen und bis zu 85 Milliarden Euro an ökonomischem Mehrwert generiert werden. Dafür braucht es entschlossene Schritte: Investitionsanreize, einen starken Dachfonds und eine Kultur, die Unternehmertum als zentralen Motor für Erneuerung versteht. Und es braucht dafür eine enge Kooperation zwischen Jungunternehmen und etablierten Industrieunternehmen.

Kooperationen im Reality Check

Auf dem Papier macht eine Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Industrieunternehmen immer Sinn. Etablierte Unternehmen müssen sich im Rahmen ihrer gewachsenen Strukturen bewegen, Start-ups sind hingegen nicht „vorbelastet“ und damit agiler und schlanker aufgestellt. Gerade im Innovationsbereich, wo Geschwindigkeit zählt, ist das ein wesentlicher Vorteil. Industrieunternehmen erhalten Zugang zu neuen Technologien, Automatisierungslösungen, datengetriebenen Geschäftsmodellen und spezialisierten Talenten. Start-ups profitieren von Expertise, Netzwerken und Strukturen wie Vertrieb, Logistik oder industrieller Produktionsinfrastruktur – Assets, die Skalierung ermöglichen. Doch: Kooperationen sind kein Selbstläufer. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass der Erfolg von mehreren Faktoren abhängt.

Erfolgreiche Kooperationen zwischen Start-ups und etablierten Industrieunternehmen sind kein Selbstläufer, aber dennoch von strategischer Bedeutung. Fünf Faktoren sind aus unserer Erfahrung entscheidend. Zunächst braucht es ein klares Expectation Management auf Augenhöhe. Was trivial klingt, ist richtungsweisend: Beide Partner müssen von Beginn an offenlegen, was sie erwarten, was sie beitragen können – und was nicht. Viele Kooperationen scheitern an fehlender Transparenz. Ebenso wichtig ist es, den Scope klar festzulegen und zu spezialisieren. Je breiter der Scope, desto größer das Risiko von Missverständnissen. Fokussierung ist hier der Schlüssel – insbesondere bei industriellen Projekten, die oft komplexe Prozesse und lange Entwicklungszyklen beinhalten.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das Commitment des Top-Managements. Kooperationen, die lediglich als Feigenblatt für Innovation dienen, sind zum Scheitern verurteilt. Für Industrieunternehmen gilt das umso mehr: Ohne klare Priorisierung und langfristige Perspektive, getragen von der Unternehmensführung, bleibt jede Initiative Stückwerk. Darüber hinaus muss das Setup auf die Bedürfnisse des Start-ups abgestimmt sein. Einseitige Strukturen provozieren Frustration. Erfolgreiche Partnerschaften entstehen, wenn beide Seiten gemeinsam ein Setup entwickeln, das auf Augenhöhe funktioniert – etwa bei der Integration in Produktionsprozesse oder der Nutzung industrieller Infrastruktur. Schließlich darf der Culture-Clash nicht unterschätzt werden. Start-ups und Corporates ticken unterschiedlich, und in der Industrie ist die Kluft oft besonders groß. Offene Diskussionen und aktiver Brückenbau sind Pflicht.

Gerade jetzt, da die Industrie vor tiefgreifenden Transformationen steht – von Klimaneutralität über Smart Factories bis hin zu digitalisierten Lieferketten – entfalten erfolgreiche Kooperationen enorme strategische Wirkung. Mit dem richtigen Setup und einer klaren Zielsetzung können Unternehmen das Credo von Henry Ford mit Leben füllen: „Coming together is a beginning, staying together is progress and working together is success.“
 

Autor: Florian Haas, Head of Startup, Head of Brand & Growth EY Österreich
Haas leitet das Start-up-Ökosystem bei EY Österreich und unterstützt Gründer:innen und junge Unternehmen dabei, nachhaltig zu wachsen und die richtigen Partner:innen zu finden, damit aus großen Ideen auch große Unternehmen werden. Begeistert sich für unternehmerische Visionen und mutige Umsetzungen als Eckpfeiler von gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt und möchte die öffentliche Wertschätzung für Unternehmer:innen fördern.