Bayer Glyphosat Prozess : Glyphosat-Streit eskaliert: Warum jetzt sogar die US-Regierung eingreifen muss

Der juristische Streit um Glyphosat erreicht eine neue Stufe – und zugleich eine heikle politische Dimension. Das Supreme Court  hat entschieden, vor einer möglichen Annahme des Falls Bayer gegen Edwin Hardeman zunächst die US-Regierung anzuhören. Diese sogenannte „Call for the Views of the Solicitor General“-Entscheidung bedeutet zwar keine Ablehnung, aber eine deutliche Verzögerung. 

Konkret soll nun der in der US-Regierung ansässige Generalanwalt der USA eine Stellungnahme vor dem US-Höchstgericht ablegen. Eine Anhörung dürfte frühestens im Herbst erfolgen, eine endgültige Entscheidung des Supreme Court nicht vor 2026.

Der aktuelle Schritt des Supreme Court, die US-Regierung um eine Stellungnahme zu bitten, dürfte bei Bayer unangenehme Erinnerungen wecken. Bereits 2022 hatte sich der Konzern in einem ähnlichen Fall an das höchste Gericht gewandt – auch damals wurde der Solicitor General eingeschaltet. Die Regierung unter Präsident Biden sprach sich seinerzeit jedoch gegen Bayer aus und riet dem Gericht davon ab, den Fall zur Entscheidung anzunehmen. Im April 2025 unternahm Bayer nun einen neuen Anlauf und beantragte die Überprüfung des Falls „Durnell“.

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Für Bayer geht es um viel. Das Unternehmen will mit dem Schritt erreichen, dass tausende noch offene Klagen wegen vermeintlich krebsverursachender Wirkung von Glyphosat juristisch entkräftet werden. Die zentrale Argumentation: Da die US-Umweltschutzbehörde EPA keine Krebswarnung auf der Verpackung von Glyphosat vorschreibt – ja, sie sogar untersagt – sei es nicht zulässig, dass Bundesstaaten wie Kalifornien dies dennoch verlangen. 

Die Klägerseite dagegen beruft sich auf ihr Recht, über Gesundheitsrisiken durch Landesrecht informiert zu werden. Im Zentrum steht also ein Grundsatzkonflikt zwischen Bundes- und Staatenrecht – mit hoher Relevanz auch für andere Branchen.

In dieser ohnehin komplizierten Gemengelage ist nun ein Akteur in die US-Regierung eingerückt, der in der Glyphosat-Debatte eine zentrale, geradezu historische Rolle spielt: Robert F. Kennedy Jr. Seit Februar 2025 Gesundheitsminister im Kabinett von Donald Trump – Kennedy gilt als prominenter Kritiker von Chemikalien und Impfstoffen – und als entschiedener Gegner von Glyphosat und Monsanto.

Kennedy war maßgeblich an jenem Prozess beteiligt, der die heutige Klagewelle überhaupt erst ausgelöst hat. 2018 trat er als Co-Anwalt des ehemaligen Platzwarts Dewayne Johnson gegen Monsanto an – jenes Verfahren, in dem eine kalifornische Jury erstmals einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und einer Krebserkrankung herstellte. Das Urteil von damals – 289 Millionen US-Dollar Schadenersatz – war der Auftakt für eine ganze Serie von Verfahren, von denen Bayer als Monsanto-Nachfolger bis heute rechtlich und finanziell schwer belastet ist.

Dass nun ausgerechnet Kennedy als oberster Gesundheitsregulierer der Vereinigten Staaten Einfluss auf die Regierungsposition zum Supreme-Court-Fall nehmen könnte, verleiht dem Vorgang zusätzliche Brisanz. Zwar wird die Stellungnahme formal vom Generalanwalt der Vereinigten Staaten (dem „Solicitor General“) verfasst – derzeit ist dies Dean John Sauer, ein konservativer Jurist und Trump-Vertrauter. Doch innerhalb der Exekutive dürfte Kennedy eine gewichtige Stimme einbringen, insbesondere wenn es um gesundheitspolitische Bewertungen und die Signalwirkung eines Urteils geht.

Kennedy selbst hat sich mehrfach öffentlich gegen Glyphosat ausgesprochen und bezeichnet das Mittel als „toxisch und systematisch verharmlost“. Hinter ihm steht die Gesundheitsbewegung MAHA („Make America Healthy Again“), die unter anderem ein Verbot von Pestiziden wie Glyphosat und eine Re-Regulierung des US-Agrarmarkts fordert. Diese Haltung steht in direktem Gegensatz zur bisherigen Linie der EPA, die Glyphosat bei ordnungsgemäßem Gebrauch als sicher einstuft.

Damit prallen zwei mächtige Interessen aufeinander: Auf der einen Seite Bayer, unterstützt von US-Farmlobbys und konservativen Senatoren aus landwirtschaftlich geprägten Bundesstaaten, die auf die Verfügbarkeit von Glyphosat angewiesen sind. Auf der anderen Seite ein zunehmend einflussreicher Gesundheitsflügel in der US-Politik, dem Kennedy nun ein offizielles Gesicht verleiht.

Die Unsicherheit ist entsprechend groß. Anleger reagierten nervös auf die Ankündigung des Supreme Court, die Entscheidung zu vertagen: Die Bayer-Aktie verlor zwischenzeitlich über fünf Prozent an Wert. Die Hoffnung auf ein baldiges Urteil, das den Konzern von weiteren Klagewellen befreit, hat sich damit erst einmal zerschlagen. Bayer selbst sieht in der Entscheidung des Gerichts dennoch einen „ermutigenden Schritt“. Konzernchef Bill Anderson betonte, es gehe um die grundsätzliche Frage des Vorrangs von Bundesrecht – ein Anliegen, das nicht nur Bayer, sondern viele Unternehmen betreffe, die mit ähnlichen Haftungsrisiken kämpfen.

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Dass das Verfahren nun ausgerechnet in einer Phase zunehmender Polarisierung innerhalb der US-Regierung stattfindet, macht die Lage für Bayer nicht einfacher. Nach wie vor sieht sich Bayer mit über 60.000 laufenden Klagen im Zusammenhang mit Glyphosat konfrontiert. Für Vergleiche und außergerichtliche Einigungen hat der Konzern bislang bereits mehr als zehn Milliarden Euro bereitgestellt.

Angesichts der anhaltenden Rechtsunsicherheit hat Bayer angedroht, die Produktion von Glyphosat in den USA einzustellen, sollte keine verbindliche rechtliche Klärung erfolgen. Rückendeckung erhält das Unternehmen dabei von zahlreichen US-Agrarverbänden und einflussreichen Senatoren aus landwirtschaftlich geprägten Bundesstaaten. Sie setzen sich bei der Regierung Trump für den Erhalt des Unkrautvernichters ein – nicht zuletzt, weil weite Teile der US-Landwirtschaft auf den Einsatz von Glyphosat angewiesen sind. Ein Verzicht würde nach Einschätzung vieler Experten zu erheblichen Ertragseinbußen führen.

Was ursprünglich als Produkthaftungsstreit begann, hat sich zu einem Grundsatzkonflikt über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im amerikanischen Regulierungssystem entwickelt. Im Zentrum steht nicht nur die Frage, ob Glyphosat gesundheitsschädlich ist – sondern ob Bundesstaaten strengere Warnpflichten durchsetzen dürfen, selbst wenn eine Bundesbehörde wie die EPA dies ausdrücklich nicht verlangt. Für Bayer geht es um viel Geld, für die US-Landwirtschaft um ein zentrales Betriebsmittel – und für politische Akteure wie Robert F. Kennedy Jr. um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Gesundheits- und Umweltpolitik.

Mit dem neuen Anlauf vor dem Supreme Court steht Bayer erneut vor einem juristischen Scheideweg – doch die politische Gemengelage ist komplexer denn je. Der Konzern hofft auf ein klares Signal aus Washington zugunsten einer möglichst unternehmensfreundlichen Regulierung. Doch der Einfluss von Kennedy, die weiterhin hohe öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema und die wachsende Polarisierung zwischen Wirtschaftsinteressen und Verbraucherschutz lassen offen, ob diese Hoffnung erfüllt wird. Klar ist nur: Die Entscheidung wird weitreichende Folgen haben – für Bayer, für die Industrie und für das Verhältnis von Bundes- und Staatenrecht in den USA.