Deutschland und Österreich : Europas Industrie: Metall und Elektronik spüren Kriegsfolgen besonders stark
Der deutschen Industrie geht es alarmierend schlecht. Das ergibt eine Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Der Verband hat gerade 3.700 Firmen aus allen Branchen und Regionen dazu befragt.
Die Industrieunternehmen gaben an, vor allem Auswirkungen über steigende Preise und gestörte Lieferketten zu spüren, teilweise haben sie auch Kunden und Lieferanten verloren. Probleme in der Logistik und bei den Lieferketten haben drei Viertel der Industriebetriebe, im Vergleich zu 61 Prozent in der Gesamtwirtschaft. Fast 90 Prozent in der Industrie melden fehlende Rohstoffe und Vorprodukte (Gesamtwirtschaft 66 Prozent).
Allgemein gaben 78 Prozent der deutschen Unternehmen an, vom Krieg in der Ukraine geschäftlich betroffen. Lediglich 22 Prozent hätten angegeben, bisher keine Auswirkungen des Kriegs und der deswegen gegen Russland verhängten Sanktionen zu spüren.
"Bereits zu Jahresbeginn waren wir wegen der hohen Energiepreise bei unserer Konjunkturprognose eher zurückhaltend", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Jetzt seien alle Prognosen Makulatur. Im Februar - noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine - hatte der DIHK seine Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr auf 3,0 Prozent gesenkt. 2021 hatte die Wirtschaft um 2,8 Prozent zugelegt.
Besonders belastet: Metall- und Elektronikindustrie
Bereits deutlich spürt die Metall- und Elektroindustrie die Folgen des Ukraine-Kriegs. Rund 69 Prozent aller Unternehmen erwarten Kostensteigerungen im Einkauf und fast die Hälfte rechnet mit spürbaren Einbußen bei Umsatz und Gewinn, wie der deutsche Arbeitgeberverband Gesamtmetall am Freitag zu einer Umfrage unter knapp 1.400 Betrieben mitteilte. Dabei konnte jedes dritte Unternehmen aufgrund der extremen Unsicherheit noch gar keine Prognose abgeben.
Während die Hälfte der Betriebe mit russischen Kunden bereits ihre Exporte gestoppt habe, sei die Suche nach neuen Lieferanten merklich schwieriger. Denn aus Russland, der Ukraine und Belarus kommen dem Verband zufolge viele Rohstoffe und Vorleistungen, die in der deutschen M+E-Industrie weiterverarbeitet werden.
Der Verband sieht die Umfrage nur als aktuelle Bestandsaufnahme. "Was sich im Falle einer Verschärfung des Krieges, von weitergehenden Sanktionen oder durch Zweitrundeneffekte, etwa durch hohe Inflation, an Auswirkungen ergäbe, ist überhaupt nicht abzusehen", warnte Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. "Die Folgen eines Energie- und Rohstoffembargos wären aber definitiv dramatisch und schon jetzt droht der M+E-Industrie eine massive Kostenexplosion und ein erneutes Rezessionsjahr."
Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie leidet ohnehin noch unter der Coronakrise und ist weit von alter Stärke entfernt. Im vergangenen Jahr produzierten die Betriebe nur 4,5 Prozent mehr als im Jahr davor und somit deutlich weniger als ursprünglich angenommen. 2019 war die M+E-Produktion um 4,5 Prozent geschrumpft und 2020 um weitere 14 Prozent. Bereits eine Woche vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte Gesamtmetall-Chefvolkswirt Lars Kroemer erklärt, die Branche werde das Vorkrisenniveau von 2018 auch 2022 verfehlen.
Blick auf Österreich
Auch die österreichische Elektro- und Elektronikindustrie ist von steigenden Energiekosten, Problemen in den Lieferketten, dem Mangel an Rohstoffen und Fachkräften, und jetzt auch dem Krieg Russlands gegen die Ukraine betroffen.
Zuletzt konnte die EEI gute Auftragsbestände und eine grundsätzlich positive Stimmung melden. Doch derzeit ist die Branche kostenseitig einem enormen Druck ausgesetzt und ein Ende ist nicht absehbar. Auch hat der Krieg in der Ukraine in kurzer Zeit die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen verändert. Negative Auswirkungen auf die Unternehmen und vor allem auf ihre Investitionen ins Kerngeschäft, aber auch in Forschung und Entwicklung sind zu befürchten.
„Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und den Standort Österreich nicht zu gefährden, müssen wir dieses Jahr ganz besonders darauf achten, zusätzliche Kostenbelastungen für die Industrie hintanzustellen,“ so FEEI-Obmann Wolfgang Hesoun.
Einer aktuellen Umfrage der WKÖ zufolge wollen drei Viertel der Unternehmen angesichts der Entwicklungen im Energiebereich nun verstärkt in Energieeffizienz investieren, die Hälfte ihre Eigenversorgung mit Energie ausbauen. Diese Investitionen gehen aber zu Lasten der Investitionen in Forschung und Entwicklung. „Gerade in einem Hochlohnland und an einem Wirtschaftsstandort wie Österreich verheißt eine Entwicklung weg von Investitionen in Forschung und Entwicklung für die Zukunft nichts Gutes. Basis unseres Sozialsystems ist nun einmal eine funktionierende und florierende Wirtschaft und Industrie. Wenn Betriebe in weiterer Folge ins Ausland abwandern, würden viele Arbeitsplätze verloren gehen", so Hesoun.
Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden, fordert der FEEI von der Politik unter anderem die Absicherung der Versorgungssicherheit durch einen raschen Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung.
Zurück nach Deutschland, wo klarerweise auch das Risiko einer Rezession für die Wirtschaft steigt. Das signalisiert der Konjunkturindikator des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), der Reuters am Freitag im Voraus vorlag. Das auf aktuellen Wirtschaftsdaten basierende Frühwarnsystem taxiert eine Rezessionswahrscheinlichkeit für die nächsten drei Monate derzeit auf 23,9 Prozent, nach 16,1 Prozent im Februar.
Der nach dem Ampelsystem aufgebaute Indikator schaltet daher von "gelbgrün" auf "gelbrot". "Das signalisiert zunächst für den Zeitraum von März bis Ende Mai eine 'erhöhte konjunkturelle Unsicherheit'."
Die Eintrübung des Indikators spiegelt den Angaben zufolge nur die allerersten wirtschaftlichen Schocks vor allem bei den Finanzmarktkennziffern wider, die der Ukraine-Krieg ausgelöst habe. "Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass sich die Inflation über die Energiepreisschocks infolge der russischen Invasion vom ohnehin hohen Niveau noch weiter beschleunigen wird", warnt Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK.
"Somit trüben sich die realwirtschaftlichen Aussichten der deutschen Wirtschaft für die kommenden Monate ein." Zudem drohten neue Lieferengpässe, "deren Schärfe und Dauer vom weiteren Konfliktverlauf abhängt". Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognosen 2022 für Deutschland bereits gesenkt, das IfW halbierte seine Schätzung weitgehend auf 2,1 Prozent. (apa/red)