Energiewirtschaft : "Verwerfungen": Verbund-Chef Anzengruber erwartet deutlich steigende Strompreise

Österreichs größter Stromkonzern hat im Vorjahr in rauen Zeiten ein solides Ergebnis erwirtschaftet. „Trotz aller Verwerfungen war es ein gutes Jahr. Wir sind guten Mutes“, sagt Konzernchef Wolfgang Anzengruber. Die Verwerfungen, auf die Anzengruber hier anspielt, sind die weiter wachsenden Schwankungen in den Stromnetzen, der erstmals seit Jahren wieder international steigende Strompreis und die Aufteilung der gemeinsamen deutsch-österreichischen Stromhandelszone – und jeder dieser Faktoren hat Auswirkungen auf den Industriestandort Österreich.

Konkret legte der Umsatz um vier Prozent auf 2,913 Milliarden Euro zu, das Ergebnis auf Konzernebene erhöhte sich um knapp neun Prozent auf 354,5 Millionen Euro. Und das, obwohl beim größten Grünstromproduzenten Europas wegen geringerer Wasserführung die Stromerzeugung mit Wasserkraft um einen Prozent gesunken ist.

Mellach als "Feuerwehr-Kraftwerk"

Zu einem zentralen Treiber im Geschäft des Stromriesen sind inzwischen sogenannte Flexibilitätsprodukte im Engpassmanagement geworden: Das sind schnelle Eingriffe ins Stromnetz, wenn Erneuerbare, vor allem aus dem Norden Deutschlands, wieder für einen massiven Stromüberschuss sorgen – oder eine Flaute die Netze zu destabilisieren droht. „Unsere Konzerntochter APG musste im Vorjahr über 300 Mal eingreifen. Vor nicht allzu langer Zeit waren es höchstens 100 Eingriffe im Jahr“, sagt Anzengruber, und fügt hinzu: „Wir leisten inzwischen einen ganz wesentlichen Beitrag zur Netzstabilität in Deutschland – wie auch in ganz Zentraleuropa.“ So stieg die Erzeugung mit Gas und Kohle um satte 65 Prozent auf 2.227 GWh. Besonders deutlich wird das am Kohlekraftwerk Mellach, der in der Vergangenheit für hohe Abschreibungen gesorgt hat, jetzt aber als eine Art „Feuerwehr-Kraftwerk“ dient, so Anzengruber.

Begrenzung im deutsch-österreichischen Stromhandel kommt

Diese Dienstleistungen werden in Zukunft noch stärker gefragt sein. Denn Österreich droht ab Oktober 2018 eine Verschlechterung, weil die Begrenzung im gemeinsamen deutsch-österreichischen Stromhandel kommt. Ein Vorhaben, das vor drei Jahren auf Betreiben von Osteuropäern, Deutschland und der EU-Regulatoren entschieden wurde. Bis zuletzt hat die gesamte heimische Stromwirtschaft dagegen gekämpft und schließlich einen Kompromiss herausgehandelt: Statt einer Auftrennung wird das Volumen von 10.700 MW auf 4.900 MW künstlich halbiert.

Doch auch dieser Kompromiss wird hierzulande deutlich stärkeres Engpassmanagement nötig machen – und für einen Anstieg der Preise sorgen. Gleichzeitig werden im Stromgroßhandel neue Produkte und Futures für den österreichischen Markt gerade erst aufgebaut. Wie stark der Anstieg genau sein werde, sei derzeit schwer zu sagen, so Anzengruber. Klar ist aber: „Die Kosten der Aufteilung wird der Konsument tragen, ob in der Industrie oder bei den Haushalten. Bei den Futures für 2019 sehen wir, dass die Preise für Deutschland und Österreich schon jetzt auseinander gehen. Österreich wird hier um etwa drei Prozent höhere Preise haben.“ Bei den Endkunden steigt der Preis seiner Einschätzung nach um etwa sieben bis acht Prozent. Der Verbund positioniert sich jedenfalls weiter gegen die neue Stromschranke – auch im Hinblick auf die Netzstabilität in Südosteuropa.

Strompreise steigen auch international - erstmals seit Jahren

Auf die energieintensive Industrie kommt noch eine weitere große Trendwende zu: Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist absehbar, dass der Strompreis ab 2019 auch im internationalen Großhandel steigen wird. Wegen der deutschen Energiewende kannte der Strompreis jahrelang nur eine Richtung: nach unten.

Finanzvorstand Peter F. Kollmann nennt drei aktuelle Treiber hinter der Trendwende beim Strompreis: „Auf der einen Seite haben die Erneuerbaren einen immer höheren Anteil im Strommix, während ihre Erzeugung immer günstiger wird. Auf der anderen Seite steigt gerade der Preis für Emissionszertifikate langsam an, weil es eine politische Diskussion darüber gibt, dass die Zertifikate für den CO2-Ausstoß nicht so billig bleiben können. Vor allem aber ist der Strompreis stark beeinflusst vom Kohlepreis, der sich jetzt wieder stabilisiert – vor allem wegen der Nachfrage in China.“

Kooperationen mit und Angebote an Industrie werden ausgebaut

In rauen Zeiten baut der Verbund auch das Geschäft mit der Industrie immer weiter aus. Neben gemeinsamen Projekten wie „H2Future“ mit der Voestalpine und dem Bereich Elektromobilität in der Gemeinschaftsfirma Smatrics, bei der inzwischen auch die OMV und Siemens an Bord sind, tritt der Verbund mit maßgeschneiderten Dienstleistungen an große Hersteller heran.

Etwa mit sogenannten „Power Pools“, in denen Industriebetriebe mit der Flexibilität beim eigenen Verbrauch und der Erzeugung Geld verdienen können – und nebenbei zur Stabilität der heimischen Netze beitragen. Inzwischen managt der Verbund allein hierzulande Anlagen mit einer Kapazität von 350 MW bei großen Industriekunden.

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