Energiekosten : Knill: „Ungenügendes europäisches Handeln erfordert umso stärkere nationale Maßnahmen“

IV-Päsident Georg Knill

IV-Präsident Knill: Kommt beim Treffen der EU-Energieminister keine oder eine nur zahnlose Einigung zustande, braucht es rasch einen Energiekostenzuschuss II

- © KANIZAJ Marija-M. | 2018

Im Vorfeld der heutigen Sitzung der europäischen Energieministerinnen und Energieminister appelliert Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), erneut an die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger für rasches Handeln und zeigt sich enttäuscht über die Ergebnisse des EU-Gipfels letzter Woche: „Nach einer abermaligen Diskussion der EU-Staats- und Regierungschefs zur Energiekrise liegt die Hoffnung nun auf den Energieministerinnen und -ministern nach bereits mehr als 10 Monaten nun endlich konkrete Beschlüsse zur Dämpfung der Energiepreise zu fassen. Denn jeden Tag ohne europäische Lösungen und ebenso unzureichende nationale Ausgleichsmaßnahmen bezahlen unsere Unternehmen mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit“, warnt Knill. Die Idee des „Marktkorrekturmechanismus“ auf EU-Ebene wäre „zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung, wenn auch bei weitem nicht ausreichend“, so Knill. Was die österreichische und europäische Industrie jetzt braucht, sei eine „wettbewerbswahrende und europäische Lösung, die die angespannte Lage innerhalb der europäischen Staaten nicht noch weiter verschärft.“

Kommt es morgen wiederum zu keiner Einigung auf EU-Ebene oder lediglich zu einem zahnlosen Kompromiss braucht es rasch nationale Unterstützungen – „wir erwarten dazu konkrete Ankündigungen seitens der Bundesregierung in den kommenden Tagen, denn die Zeit drängt“, mahnt Knill. Mit dem Vorstoß der deutschen Bundesregierung zum Start des umfassenden Energiepreisdeckelsmit Jahresanfang hat sich diese angespannte Situation nochmals dramatisch verschärft. Damit wird den Unternehmen selbst innerhalb der EU jede Chance auf vergleichbare Wettbewerbsbedingungen genommen. „Wir brauchen rasch ein Instrument, in der Entlastungswirkung für Unternehmen gleichwertig dem deutschen Energiepreisdeckel und nachfolgend dem bereits bestehenden Energiekostenzuschuss, das die Möglichkeiten, die im EU-Beihilferahmen gegeben werden, vollständig ausschöpft“, fordert Knill. Gleichzeitig sei der Vorstoß von Kommissionspräsidentin Von der Leyen nach einer weiteren Anpassung der EU-Beihilferegeln, hinsichtlich der Energiekrise wie auch in Reaktion auf die immense Herausforderung durch den US Inflation Reduction Act, zu begrüßen. Die österreichische Industrie hofft in dieser Sache auf entsprechende Unterstützung der Bundesregierung.

Industrie steht vor vorübergehender Rezession

Die Aussichten aufs Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr sind düster. Wifo und IHS sehen nur ein Gesamtplus von 0,2 oder 0,3 Prozent. Und in der Industrie droht sogar eine vorübergehende Rezession: "Es wird eine kurzfristige Rezession geben, für ein bis zwei Quartale - in welcher Höhe ist noch nicht abschätzbar", sagte IV-Präsident Georg Knill. Er bekräftigte den Ruf nach dringenden Energiehilfen ähnlich zu Deutschland.

Ohne neuer Energiehilfen, die an den Energiekostenzuschuss ab September anschließen und das Jahr 2023 abdecken müssten, drohe weit mehr als eine vorübergehende Rezession im produzierenden Sektor, warnte der Chef der Industriellenvereinigung (IV). Dann gehe es um Insolvenzen und die Abwanderungsgefahr steige. Neben der Energiekostenproblematik kämpften die Betriebe weiterhin mit einem Arbeitskräftemangel und stockenden Lieferketten. Die geopolitischen Aussichten stimmten "eher pessimistisch", die wirtschaftliche Situation sei "insgesamt fragil". Die Arbeitskräfte blieben aber weiterhin gefragt.

"Der bisherige Energiekostenzuschuss für Unternehmen ist völlig unzureichend und deckt die Kosten-Mehrbelastung nur marginal ab", richtete Knill der Bundesregierung aus. Er kritisierte aber auch die EU bzw. deren Mitglieder. Denn die Energieminister der Mitgliedsstaaten haben sich in den vergangenen zehn Monaten bei zehn Treffen nicht zusammengerauft, um gemeinsam vorzugehen. Daran glaubt Knill im Energiebereich auch in Zukunft nicht mehr.

Daher müsse Österreich nun die gleichen Maßnahmen setzen wie Deutschland, um wieder ein "Level playing field", also die Gewährleistung gleicher und fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Teilnehmer eines Marktes, zu schaffen. "Deutschland bringt uns alle unter Zugzwang." Dank des dortigen "Doppelwummspakets" samt Deckel für Strom und Gas sogar ins Jahr 2024 hinein hätte die deutsche Konkurrenz Planungssicherheit die hierzulande fehle und Wettbewerbsfähigkeit raube.

"Die Bundesregierung ist intensiv aufgefordert, ein zu Deutschland vergleichbares Modell zu entwickeln", forderte Knill. "Wir erwarten vor Weihnachten zumindest eine Ministerratsvorlage zu einem 'Energiekostenzuschuss II' mit ähnlichen Parametern wie im deutschen Modell."

In Deutschland wurden - analog zu neuen Möglichkeiten im EU-Beihilfenrecht - Zugangskriterien zu den Hilfen erleichtert und Voraussetzungen abgesenkt. Refundierungen gibt es auch direkt über die Versorger. Das ist in Österreich eher nicht zu erwarten, meinte Knill, da es dafür eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat brauche.

"Die Zeit der günstigen Energie ist vorbei", hielt der Industrielle (Knill Gruppe) allerdings grundsätzlich fest. In der IV werden die Mitgliedsbetriebe darauf eingestimmt, dass 180 Euro für eine Megawattstunde Strom und 70 Euro für eine Megawattstunde Gas ein Niveau sind, auf das man sich gewöhnen müsse. "Unternehmen, die sich auf dieses Preisniveau nicht einstellen können, werden Schwierigkeiten bekommen."

Knill sieht die Gefahr einer Deindustrialisierung Europas indes nicht gebannt. Neben der exorbitanten Energiekosten sei nämlich auch das "Level playing field" mit den USA außer Gleichgewicht, nicht nur jenes innerhalb Europas. Dort seien nicht nur die Energie- sondern auch die Arbeitskosten deutlich geringer. Dazu komme der neue Inflation Reduction Act (IRA), der Exporte in die USA massiv erschwere. Der IRA stehe für "Made in America", sagte Knill.

Alles in allem gebe es die Gefahr, dass als "Konsequenzen Produktionen gedrosselt, womöglich verlagert oder im schlimmsten Fall geschlossen" würden, so Knill zu einem aus Industriellensicht drohenden Szenario für Europa und Österreich. "Die Deindustrialisierungsgefahr ist nicht ganz gebannt."

Förderungen für die Wirtschaft verteidigte Knill auf Nachfrage vehement. Das gelte auch für die Coronahilfen, die die hiesige Ökonomie wieder rasch hätten anspringen lassen. Kritiker sehen hier ja zum Teil Überförderungen. "Nichts zu tun wäre die schlechteste aller Varianten", entgegnete Knill und fragte: "Wollen wir eine deindustrialisierte Wirtschaft in Österreich und Europa haben und damit einen nicht mehr leistbaren Sozialstaat? Oder wollen wir temporär unterstützen damit weiter tätig sind und das Sozialsystem aufrechterhalten?" Die meisten Coronahilfen würden zudem zurückbezahlt und viele Garantien würden nicht gezogen.

Zum Ziel der Dekarbonisierung sagte Knill: "Den Masterplan Energie 2040 gibt es meines Erachtens noch nicht. Das würde ich in der Verantwortung der Energieministerin sehen", brachte er die zuständige Lenore Gewessler (Grüne) ins Spiel. Sie solle "zumindest ansatzweise sagen, wie Ziele erreicht werden sollen". Gewessler sei dies aber "komplett schuldig seit mehreren Jahren" und die Energiekrise verschärfe die Lage. Diese führe vor Augen, dass die "Transformation nicht im Vorbeigehen" machbar sei, gehöre aber angegangen, "denn wenn wir das nicht gut machen, dann droht ein Wohlstandsverlust in Europa und das kann ja nicht die Intention sein."

Lob gab es von Knill naturgemäß aber für den 5,7 Mrd. Euro schweren Transformationsfonds für die Industrie. Damit will die türkis-grüne Regierung die Umstellung auf eine klimafreundliche und energieneutrale Industrie fördern. Insgesamt sollen die knapp sechs Milliarden bis 2030 in eine Klima- und Transformationsoffensive fließen.