Interview : Roland-Berger-Expertin Pally: "Nachhaltigkeit wird Kern der Unternehmensstrategie"

Gundula Pally, Partnerin bei Roland Berger

Gundula Pally, Managing Partner Roland Berger, Büro Wien: "Eine Emissionsreduktion ist gerade in den nächsten fünf bis sieben Jahren entscheidend"

- © Zsolt Marton - foto-zeit.at

INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Pally, welche Rolle spielt das Thema Klimaneutralität bei Ihren Tätigkeiten?

Gundula Pally: Wir sehen im Thema Nachhaltigkeit eine sehr große und steigende Nachfrage nach Beratungsleistungen. Gerade rund um den Klimagipfel in Glasgow haben sich zahlreiche Unternehmen ambitionierte Ziele gesetzt. Die Zahlen steigen exponentiell: Im Jahr 2015 haben sich beispielsweise weltweit gut 100 Unternehmen in der Science Based Targets Initiative (SBTI) zertifiziert, heute sind es über 2.100 Unternehmen. Insgesamt ist etwa ein Viertel bis ein Fünftel aller großen Unternehmen dabei. Allerdings ist das noch lange nicht ausreichend, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Haben Unternehmen denn überhaupt ein Interesse daran nachhaltiger zu werden?


Pally:
Hier sehen wir hier einen ganz klaren Paradigmenwechsel in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit. Die meisten haben erkannt, dass Dekarbonisierung eben nicht nur Regulierung und steigende Kosten mit sich bringt, sondern Chancen auf direkte Einsparungen sowie neue Geschäftsfelder bietet. Konzentrierten sich früher Wettbewerbsvorteile stark über Kosten und Qualität, gibt es heute ganz klar eine weitere Dimension: CO2! Wir sagen unseren Kunden, dass sie Emissionen wie eine Art zusätzliche Währung sehen sollten.

Eine hohe Zahl an Unternehmen setzt sich noch langfristige Ziele, eine Emissionsreduktion ist aber gerade in den nächsten fünf bis sieben Jahren entscheidend. Wir arbeiten daher mit Unternehmen auch an der Frage, was kurzfristig getan werden muss, um noch vor 2030 eine Wirkung zu erzielen.

Wie können große Unternehmen ihren immensen Energiebedarf klimaneutral decken?


Pally:
Als erstes geht es darum, Energieeffizienzmaßnahmen einzurichten, also grundsätzlich weniger Strom und Gas zu verbrauchen. Der zweite Punkt ist Grünstrom. In vielen Regionen zahlt es sich aus, grünen Strom über Solarpaneele auf den eigenen Flächen selbst zu erzeugen. Eine weitere Möglichkeit ist, über einen Anbieter grünen Strom zu beziehen. Wenn all das nicht geht, könnten sich Unternehmen Zertifikate von erneuerbaren Produktionsanlagen kaufen. Die Umstellung auf grüne Gase ist noch komplexer als die auf Grünstrom: Biogas ist teuer, die Brennstoffe begrenzt und grüner Wasserstoff noch nicht in ausreichendem Maße verfügbar. Der Anteil fossiler Energieträger im durchschnittlichen Energiemix eines Landes, das Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren sowie die Preise für Energie bleiben trotzdem Determinanten für eine schnelle Umstellung der Unternehmen und für ihre Positionierung im globalen Wettbewerb. Gerade jetzt im Kontext des Ukrainekriegs und während des Umbruchs der Energiepartnerschaften in Europa ist es umso wichtiger, dass Unternehmen sich die verlässliche Versorgung von Energien mit möglichst niedrigem CO2-Fußabdruck sichern.

Welche wesentlichen Hebel haben Unternehmen, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren?


Pally:
Erste Voraussetzung ist die Analyse der Emissionstreiber. Die meisten Unternehmen haben diese für Scope 1 und Scope 2 bereits identifiziert und erste Maßnahmen ergriffen. Derzeit rollt die Welle in Richtung Scope 3 an. Das sind alle indirekten Emissionen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette eines Unternehmens unterteilt in 15 Subkategorien. Weit oben in der Wichtigkeit stehen hier in vielen Unternehmen die Emissionen in der Lieferkette, denn gerade mit eingekauften Waren und Dienstleistungen fallen sehr viele Emissionen von außerhalb an. Einer der Schlüsselfaktoren ist deshalb, zusammen mit den wichtigsten Zulieferern zu überlegen, wie man hier systematisch agieren kann. Und parallel dazu gilt es die bestehenden Einkaufsprozesse zu überdenken und an die neuen Erfordernisse anzupassen.

Ein weiteres Aktionsfeld ist es die Kreislaufwirtschaft konsequent zu nutzen. Dazu gehört es auch, unternehmerische Verantwortung für ein Produkt oder eine Dienstleistung über den gesamten Lebenszyklus zu nehmen. Konventionelle Geschäftsmodelle und das Design der Produkte werden komplett neu gedacht. Die Digitalisierung ist ebenfalls eine große Stütze für das CO2-Management. Letztlich ist klar: Nachhaltigkeit bestimmt die zukünftige Position im Wettbewerb. Dabei geht es um die gesamte Unternehmensstrategie, das Geschäftsmodell, das Portfolio und die strategischen Partnerschaften, die Unternehmen heute eingehen.