Russlandkrise : Martin Ohneberg: "Instabilität auf Jahre in dieser Region"

Ohneberg Martin CEO Henn

Henn-Chef Martin Ohneberg: "Berechenbarkeit wird zum Fremdwort".

- © Henn

Herr Ohneberg, weil es gerade passt: Was halten Sie irrationaler Politik an Ratio entgegen?

Martin Ohneberg:
Rational kann man diese Krise und den Einmarsch von Rußland in Ukraine nicht sehen. Aktuell ist schwer zu verstehen, wer aus diesem Krieg als Sieger herausgehen soll. Als Unternehmer beschäftigt einen das menschliche Leid natürlich sehr. Zugleich geht das Unternehmersein weiter und es gilt, durch die Krise zu navigieren.

Ist Henn am russichen Markt aktiv?


Ohneberg:
Wir sourcen weder direkt Vormaterialien aus dem Krisengebiet noch verkaufen wir Produkte ins Krisengebiet.

In den Lieferketten bekommen Sie die Verwerfungen jedoch voll ab?


Ohneberg:
Mittelbar sind wir betroffen, wenn aufgrund von Unterbrechungen in der Supply Chain Kunden ihre Produktionen stilllegen und Lieferanten von uns Unterbrechungen aufgrund des Krieges in der Supply Chain haben. Es sind noch keine Auswirkungen erkennbar – entscheidend wird sein, wie lange die Krise anhält und was die finalen Auswirkungen sind. Ich gehe von einer jahrelangen Instabilität in dieser Region aus.

Wie hart treffen Sie das Unternehmen die Teuerungen?


Ohneberg:
Der Kostenantrieb im Bereich der Rohstoffe sowie der Energiepreise ist enorm. Das ist sehr herausfordernd, teilweise auch bedrohend.

"Die Globalisierung stößt an ihre Grenzen."

Die Denkfigur, die Globalisierung begrenze die politisch-militärischen Machträume, ist offenbar ein Irrglaube - wie umgehen mit dieser Realität?

Ohneberg:
Die Globalisierung der letzten Jahrzehnte führte nachweislich zu wirtschaftlicher Prosperität. Selbstverständlich haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren verändert. Die Globalisierung stößt an ihre Grenzen. Aufgrund der nationalistischen Bestrebungen mancher Länder - denken Sie an USA oder China first. Aber auch der Unterbrechung von Supply Chains, der Kostenwahrheit im Transport und der CO2-Bepreisung. Zukünftig wird der Leitsatz „act global und produce and source local“ an Bedeutung gewinnen.

Weltgeschichte kennt keinen Rückwärtsgang - aber jetzt droht die Rückkehr in die bipolare Welt des Kalten Kriegs. Wie ist dem zu begegnen?


Ohneberg:
Die nationalistischen Bestrebung und die Besinnung auf das eigene Land wird den Trend von möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen auch zukünftig schüren. Es braucht die enge wirtschaftliche Verflechtung. Gegenseitiges Verständnis und maximale Diplomatie.

Wie berechenbar ist der Machtblock China?


Ohneberg:
Die jetzige Krise zeigt, dass Berechenbarkeit inzwischen ein Fremdwort geworden ist. Der Machtkampf zwischen der westlichen und asiatischen beziehungsweise östlichen Welt wird meiner Einschätzung nach weiter zunehmen. Die Ansprüche von China gegenüber Hongkong oder Taiwan werden weiter an Fahrt gewinnen. Es wird versucht, historische Vergleiche heranzuziehen, um insbesondere im Rohstoffbereich strategische Vorteile zu generieren.

Was sagt der Transatlantiker in Ihnen: Schnell raus aus dem russischen Gas?

Ohneberg:
Raus aus dem Gas ist wohl zu kurz gedacht. Die Kompensation des von der Industrie sowie den Haushalten benötigte Gas durch andere Energieträger ist kurzfristig nicht möglich. Mittelfristig ist selbstverständlich die Strategie zu hinterfragen. Eine geringere Abhängigkeit wäre wünschenswert.

Wie ist die Abhängigkeit von russischem Gas, in die Österreich gelenkt wurde, zu bewerten?


Ohneberg:
Zum Zeitpunkt, als die Lieferbeziehungen aufgebaut und abgeschlossen wurden, ging es insbesondere um eine nachhaltige Versorgungssicherheit. Im Nachhinein, mit dem heutigen Wissen, stellt sich die Abhängigkeit natürlich als bedrohlich dar. Leider müssen wir erkennen, dass sich die geopolitische Situation in der Region über die Jahre verändert hat. Eine stärkere Diversifikation ist jedenfalls sinnvoll. Eine Strategie einer Energieautonomie muss gut überlegt sein. Sie kann nur unter der Prämisse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit angestrebt werden.

Was muss Europa tun, um die Energiesouveränität zu erlangen?


Ohneberg:
Es benötigt mutige Entscheidungen der Politik. Und ein Verständnis der Bevölkerung für die Notwendigkeit der infrastrukturellen Maßnahmen. Beides Voraussetzungen, die aktuell nicht gegeben sind. Die Energieautonomie in Österreich ist unter anderem unter diesem Gesichtspunkt unrealistisch. Aber selbstverständlich ist es aufgrund der Erfahrung, die wir die letzten Tage machen, ratsam, die Abhängigkeit auf ein gesundes Ausmaß zu stellen. 80-prozentige Abhängigkeit ist - das wissen wir nun - strategisch ein Problem.

ZUR PERSON
Martin Ohneberg, 51,

hat an der WU Wien Betriebswirtschaftslehre studiert. Seit 2011 ist er Mehrheitseigentümer und CEO der Henn Industrial Group, einer multinationale Industriegruppe, die auf die Herstellung von innovativen Verbindungeselementen für Automotive, Luftfahrt, Industrie sowie Haustechnik spezialisiert ist. Nach dem Berufseinstieg bei Ernst&Young als Consultat war er CFO bei OneTwoSold, beim Dorotheum sowie bei der Soravia Group. Darüber hinaus ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Verbund AG, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Aluflexpack AG sowie Mitglied der Aufsichts- und Verwaltungsgremien von Montana Aerospace AG, Varta AG, Getzner Werkstoffe und der Rhomberg Privatstiftung. Er ist Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg und lebt mit seiner Familie in Wien und Vorarlberg.