Fusion mit Alstom : Wolfgang Hesoun: "Erwarte keine negativen Auswirkungen"

Siemens und Alstom haben die Fusion ihrer Sparten der Bahnindustrie fixiert. INDUSTRIEMAGAZIN.at berichtet laufend darüber.

Treiber hinter der Fusion ist der neue Druck aus China - die Industrie des Landes ist mit Hilfe des "Technologietransfers" aus dem Westen groß geworden und vor zwei Jahren formten zwei Hersteller mit einem Zusammenschluss den neuen Giganten CRRC. Auch das ist wieder ein Konzern aus China, der sich in staatlicher Hand befindet - mit entsprechender Unterstützung aus Peking.

Auch wenn Siemens und Alstom jetzt einen neuen, zweitgrößten Bahnindustriekonzern formen, bleiben die Chinesen mit ihrem Umsatz und mit ihrer Mitarbeiteranzahl deutlich größer. So setzt CRRC gut 15 Milliarden Euro um - das ist doppelt so groß wie die Bahnsparten von Siemens und Alstom zusammen. Die Mitarbeiterzahl der Chinesen liegt bei rund rund 62.300 Beschäftigten. CRRC ist auch größer als die Sparten von Siemens, Bombardier und Alstom zusammen.

Siemens hat zwei große Werke für Bahnindustrie in Österreich

Für den Standort Österreich hat die Entscheidung für eine Fusion eine große Bedeutung. Denn diese Sparte von Siemens betreibt hierzulande zwei große Werke mit insgesamt 2.500 Mitarbeitern. Davon arbeiten rund 1.700 in Wien und bauen dort schwerpunktmäßig Straßenbahnen. Von großer strategischer Bedeutung ist auch das Werk in Graz, in dem Siemens Fahrwerke baut.

Entsprechend groß war hierzulande und bei den Lesern des INDUSTRIEMAGAZIN.at auch das Interesse an den Fusionsgesprächen zwischen Siemens und Bombardier - auch die Kanadier haben einen großen Standort in Wien. Wie berichtet hat Siemens vor wenigen Wochen die Gespräche abgebrochen und sich statt dessen nach Frankreich umorientiert.

Wolfgang Hesoun: Mit Alstom einfacher als mit Bombardier

Was bedeutet die jetzige Entscheidung nun für österreichische Standorte? Im Gespräch mit INDUSTRIEMAGAZIN.at nimmt Wolfgang Hesoun, Konzernchef von Siemens Österreich, Stellung dazu. Hesoun ist Gast auf der gerade laufenden Konferenz Energy2050, der vom Verbund veranstalteten wichtigsten Energiekonferenz Österreichs.

Aus österreichischer Sicht sei der Schwenk von Siemens weg von Bombardier und hin zu Alstom eine "Vereinfachung", sagt Konzernchef Hesoun: "Weil das keine direkte Produktionsveränderung nach sich zieht". Denn man darf annehmen, dass eine Fusion zwischen Siemens und Bombardier sehr viel größere Einschnitte in Wien nach sich ziehen würde.

Beide Werke gut ausgelastet

Und was bedeutet die Fusion für die beiden österreichischen Bahnwerke von Siemens? Dazu Wolfgang Hesoun: "Es geht unabhängig vom Eigentümer darum, Aufträge von Kunden zu bekommen." Sowohl das Werk in Wien als auch jenes in Graz seien derzeit sehr gut ausgelastet, sagt Hesoun, und das werde auch auf absehbare Zeit so bleiben: "Das sind alles sehr langfristig ausgelegte, viele Millionen Euro umfassende Aufträge."

Auch in Zukunft werde es entscheidend darum gehen, Kunden mit Produkten auf dem höchsten technologischen Standard zu versorgen. "Wir haben gerade in Österreich so viele Mitarbeiter wie das Volumen der Aufträge. Ich erwarte keine negativen Auswirkungen auf die Standorte in Wien und Graz."

Langfristiger Nutzen als zentrales Argument gegenüber Chinesen

Der langfristige Nutzen für den Kunden ist ein Argument, das Hesoun besonders in den Vordergrund rückt. Die große Stärke der europäischen Bahnindustrie seien Züge, die auch Jahrzehnte halten, so Hesoun. Damit stelle sich die Frage, ob ein Bahnbetreiber mit europäischen oder chinesischen Herstellern besser bedient sei, wenn er auch 30 Jahre später Ersatzteile, Reparaturen, Wartungsdienste bekommen wolle.

Der Konzernchef kritisiert gleichzeitig auch die ersten, zu beobachtenden Flirts einiger europäischer Bahnbetreiber mit dem neuen chinesischen Riesen: "Natürlich ist die Verlockung da, billig einzukaufen."

Auswirkungen der Bahnaufträge auf den Arbeitsmarkt

Ein wichtiger Faktor im Bahnsektor sind auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Heute sind viele europäische Bahnbetreiber nicht mehr direkt in staatlicher Hand, doch der Einfluss von Staaten ist weiterhin groß. Und da wäre es eigentlich naheliegend, dass die öffentliche Hand mit Aufträgen den eigenen Arbeitsmarkt als Faktor berücksichtigt - eigentlich. Tatsächlich hat die Deutsche Bahn vor eineinhalb Jahren demonstrativ ein Einkaufsbüro in China eröffnet. "Wir suchen weltweit nach Lieferanten mit innovativen Produkten", meinte damals Uwe Günther, Chefeinkäufer der Deutschen Bahn.

"Eine Schieflage gegenüber China"

Auch mit den politisch Verantwortlichen geht Hesoun hart ins Gericht. "Wir sind zunehmend mit der Situation konfrontiert, dass der Markt nicht mehr wie ein freier Markt funktioniert." Europa habe die Tendez, völlig offen zu agieren und diese Offenheit sei lobenswert, so Hesoun: "Währenddessen schrauben die USA an Zugangsbeschränkungen, und China hat hier komplett eigene Regeln. Wenn man die Situation anschaut, die China in Europa vorfindet und diese mit den Bedingungen vergleicht, die China den Europäern bei sich zu Hause bietet, dann ist die Schieflage offensichtlich. Es geht hier um einen nachhaltigen Zugriff auf unsere Technologie."

Parallelen zur Stahlindustrie und der Versorgung mit Rohstoffen

Der Manager veweist dabei auch auf die Entwicklung der europäischen Stahlindustrie, die bekanntlich mit der Einfuhr von Billigstahl aus Übersee seit vielen Jahren massive Verwerfungen hinnehmen muss - was in diesen Tagen die zwei Stahlriesen Thyssenkrupp und Tata wieder mit einer Fusion zu beantworten suchen. Auch auf dem Rohstoffmarkt seien Parallelen zu erkennen, meint Hesoun und deutet die Situation bei Seltenen Erden an, die inzwischen chinesische Förderer beherrschen: "Wenn dann eine Seite in einem bestimmten Segment ein Monopol erreicht hat, ist es zu spät."