Bauindustrie : Brenner Baulos H51: Eine Feier einen halben Kilometer unter der Erde

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© Peter Martens

Von Innsbruck aus fährt man in das kleine Städtchen Steinach am Brenner, von dort weiter zu einem Ort namens Wolf, und von dort vier Kilometer lang einen sehr steil abfallenden Zufahrtstunnel hinunter. An der Decke dieses Tunnels hängen meterdicke Belüftungsrohre, an den Seiten parken riesige, wuchtige Baufahrzeuge, die man oben, an der Erdoberfläche, nie zu sehen bekommt. Ganz unten, am äußersten Ende des Zufahrtstunnels, plötzlich ein Raum, groß wie eine gotische Kathedrale, festlich geschmückt und hell erleuchtet. Einen halben Kilometer tief unter der Erde.

Hier verläuft eine der zwei Hauptröhren des BBT. Mehrere hundert Mineure aus Österreich, Italien und etwa zehn weiteren Ländern haben sich versammelt, um mit der Gesellschaft BBT SE und Politikern Tirols und Südtirols zu feiern. Auch Vertreter der Polizei, der Rettungskräfte und der Feuerwehren sind geladen – sie sind unmittelbar an den Abläufen rund um die Bauarbeiten beteiligt.

Ein Auftrag der Superlative

Zu feiern gibt es tatsächlich jede Menge Gründe. Hier starten die Tunnelarbeiten am Baulos H51 Pfons-Brenner: Es ist das größte Baulos des BBT und zugleich das südlichste Baulos auf österreichischer Seite. Der dazu gehörende Bauauftrag ist mit einem Volumen von knapp einer Milliarde Euro der größte jemals vergebene Bauauftrag in der Geschichte der heimischen Bauwirtschaft. Und der Brenner Basistunnel selbst wird nach Fertigstellung mit 64 Kilometern die längste unterirdische Bahnverbindung der Welt. Der Bau erfolgt mittels Tunnelbohrmaschinen, bei denen Österreicher zur Weltspitze gehören, sowie im klassischen Sprengvortrieb, das heißt abwechselnd mit Sprengungen und dem Abtrag des Ausbruchs.

Eine Ästhetik, die überrascht

An den Wänden hängen die Fahnen der Baukonzerne Porr, Hinteregger, Condotte und Itinera, die in einer von Porr geführten Arbeitsgemeinschaft den Auftrag für dieses Baulos gewonnen haben. Alle Tische sind in den Farben Tirols geschmückt, es gibt Brot und geräucherten Schinken. Vor jedem Gast steht ein winziges Fläschchen Schnaps.

Ganz vorn, an der sogenannten Ortsbrust, eine Mischung aus Bühne und Altar. Am Fuß dieser Plattform liegen Felsbrocken, die so groß sind wie ein halbes Auto. Darauf Blumen, ein Rednerpult, ein Tisch und ein Halbkreis aus Sesseln für die Ehrengäste. Auf der einen Seite Musiker einer Tiroler Blaskapelle in Tracht. Auf der anderen ein rechteckiger Stein und darauf ein Apparat mit einer Kurbel an der Seite, über den gleich die Sprengung losgelöst wird – der offizielle Tunnelanschlag, der eigentliche Anlass für diese Feier. An mehreren Stellen leuchtet ein "Glück auf!" – der aus der Sprache der Bergleute stammende, wichtigste Gruß der Tunnelbauer.

Atheisten in der Minderheit

Über allem ein großes, dezent von hinten beleuchtetes Kreuz. Und vorne, mit Blumen geschmückt und ebenfalls angeleuchtet, zwei Mal die Statue der heiligen Barbara – der Schutzpatronin der Tunnelbauer. Diese Heilige fehlt bei keinem Tunnelbau in Europa. Einen sehr hohen Blutzoll hat dieses Gewerk in den vergangenen Jahrhunderten gefordert, und eine der gefährlichsten Arbeiten ist der Tunnelbau immer noch – ausgeführt meist von Männern, die nicht allzu viel reden, aber Handschlagqualität haben. Und so mag das an der Erdoberfläche nicht überall so sein, aber unter Tage sind Atheisten auch heute, so hat es zumindest den Anschein, in der absoluten Minderheit.

Am Boden grauschwarzes Geröll, oben die halbkreisförmige Firste des Tunnels und vorne Blumen und Licht: Eine Ästhetik, die überrascht. Es wirkt so, als hätten wochenlang Innenarchitekten und Designer alle Details aufeinander abgestimmt, um dann die tonnenschweren Felsbrocken an ihren Platz zu hieven. Nein, der Aufbau habe gar nicht so lang gedauert, sagt einer der Bauleute und lacht. Mit den Maschinen vor Ort sei das recht schnell erledigt.

"Ihr seid die wahren Meister"

Der Auftritt der Ehrengäste. Mit diesem Abschnitt beginne die eigentliche Unterquerung des Brenners, das Baulos sei das Herzstück des gesamten Projekts, sagt Konrad Bergmeister, Vorstand der Brennerbasistunnel Gesellschaft. "Ihr seid die wahren Meister", meint er, an die Mineure gerichtet. Man sei stolz, diesen Auftrag gewonnen zu haben, so Karl-Heinz Strauss, Chef des Konsortialführers Porr – und froh, dass der Bau inzwischen ein Stadium erreicht habe, bei dem man nicht mehr zurück könne. Eine kleine Andeutung an die harte Kritik am Milliardenprojekt vor allem aus Rom. Aber auch Bayern sei beim Bau der Zulaufstrecken zu lange zu passiv gewesen, so Strauss. Der Ausbau der Infrastruktur sei eine Investition in die Lebensqualität, betonen mehrere der geladenen Bürgermeister aus der Umgebung – und verweisen auf die Verkehrslawine durch Tirol und Südtirol, die jedes Jahr neue Rekorde erreicht.

Die Sprengung

Dann schließlich ein Gebet und die Segnung durch Albert Moser, den Pfarrer der Gemeinde Steinach am Brenner. Alle stehen auf. Und dann der eigentliche Tunnelanschlag. Dazu ist einige hundert Meter weiter, in einem anderen Abschnitt des Tunnels, Sprengstoff platziert – eine Sprengung näher an der Feier wäre zu gefährlich. Die Sprengköpfe sind direkt mit der Apparatur auf der Bühne verbunden. Nun stellt sich Kathleen Cox neben das Gerät. Sie ist die Ehefrau von Pat Cox, dem für den BBT zuständigen europäischen Koordinator, und die Tunnelpatin hier. Es sei ihr eine sehr große Ehre, sagt Kathleen Cox – möge die heilige Barbara über allen Bauleuten und später über allen Reisenden wachen.

Dann dreht ein Mineur mehrmals kräftig an der Kurbel. Plötzlich ist es sehr still in dem riesigen Raum. Alle halten den Atem an. Der Mineur lässt Kathleen Cox die letzte halbe Drehung machen. Einen Augenblick lang passiert überhaupt nichts. Stille. Und dann kommt aus der Ferne, wie eine Welle, das dunkle Donnergrollen. Es ist gar nicht laut, aber es hält sekundenlang an. Der Boden, die Tische, die Tunnelwände vibrieren. Als wäre es ein Zeichen vom Berg selbst, von seiner Urgewalt hier in der Tiefe. Als nach dem Applaus die Kellnerinnen das Essen bringen, reden alle etwas leiser als zuvor.