Europas Atomrenaissance – und warum Deutschland nur zuschaut

Doch kaum ein Jahrzehnt später erlebt Europa eine überraschende Wende: Atomkraft ist zurück.
Getrieben von Energiekrise, explodierenden Strompreisen und geopolitischer Unsicherheit entdecken viele Länder die Kernenergie neu – nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit.

Frankreichs Comeback – und Europas neue Allianz

Allen voran Frankreich: Präsident Emmanuel Macron macht Atomkraft zur Säule seines „France 2030“-Programms. Milliarden fließen in neue Reaktoren, Forschung und Pilotanlagen – als Symbol nationaler Souveränität und als Garant für günstigen Strom.

Im Windschatten der Franzosen formiert sich eine neue „Pro-Nuclear Alliance“ aus 15 EU-Staaten – von Belgien über Polen bis Schweden. Ihr Ziel: Atomkraft soll wieder Teil des europäischen Energiemixes werden. Die EU-Kommission hat den Weg dafür längst freigemacht und die Kernenergie in der Taxonomie als „grüne Übergangstechnologie“ eingestuft. Damit fließen erstmals wieder Milliarden an Fördermitteln – offiziell im Namen des Klimaschutzes, faktisch zur Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit.

Kleine Reaktoren, große Hoffnungen

Das neue Schlagwort heißt SMR – Small Modular Reactors.
Diese Mini-Reaktoren gelten als Zukunftsmodell: kompakt, dezentral, günstiger und schneller zu bauen als klassische Atomkraftwerke. Sie sollen Strom dort erzeugen, wo er gebraucht wird – in Industrieparks, Raffinerien oder Häfen.

Polen will damit seine kohleabhängige Industrie dekarbonisieren und arbeitet mit GE Hitachi an BWRX-300-Reaktoren.
Tschechien testet im sogenannten Temelín SMR Cluster gleich mehrere Designs – unterstützt von Rolls-Royce und EDF.
Frankreich entwickelt mit „Nuward“ den europäischen Industriestandard, gefördert mit über einer Milliarde Euro.
Auch Rumänien, die Niederlande, Finnland und Estland investieren in Projekte – teils in Kooperation mit US-Unternehmen wie NuScale Power.

Eine neue industrielle Wertschöpfung

Während Europa investiert, bleibt Deutschland Zuschauer.
Der konsequente Atomausstieg bedeutet nicht nur den Verlust einer Energieoption, sondern auch den Rückzug aus einer milliardenschweren Wertschöpfungskette.

Denn hinter jedem SMR steckt ein komplexes Netz aus Maschinenbau, Werkstofftechnik, Elektrotechnik und Software – also genau jenen Industrien, in denen Deutschland traditionell stark ist.
Unternehmen wie Framatome in Frankreich oder Doosan Škoda Power in Tschechien liefern Reaktorkomponenten, Turbinen, Brennelemente und Steuerungstechnik.
Sogar Siemens Energy ist über Exportaufträge indirekt beteiligt – nur nicht mehr im eigenen Land.

Europa baut an der nächsten Generation der Kernenergie – mit neuen Allianzen, neuen Technologien und neuem Selbstbewusstsein.
Deutschland und Österreich dagegen bleiben außen vor.
Die Atomfrage ist damit längst keine reine Debatte über Energie mehr,
sondern eine über industrielle Teilhabe – und darüber, wer künftig die Kontrolle über Europas Strom und Technologie hat.