Jahresabschlüsse : Bilanzierung: Muss das Russland-Geschäft jetzt abgeschrieben werden?

Das Konzernschild von Zahlungssystem Swift in Kiew, Ukraine

Russland-Krise: Alles dreht sich um die Grundsatzfrage, ob der Wertverlust oder der Zahlungsausfall dauerhaft oder nur temporär ist.

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In wenigen Wochen schlägt für viele heimische Industrieunternehmen die Stunde der Wahrheit: Weil in den Jahresabschlüssen der meisten Firmen für 2021 der Krieg in der Ukraine noch nicht abzusehen war, konnten bisher keine Vorkehrungen getroffen werden. Doch im ersten Quartal kommen CFOs nicht mehr darum herum, sich mit den direkten und indirekten Folgen des Russland- und Ukraine-Geschäftes für ihre Bilanzen auseinanderzusetzen.

Nicht in allen Fällen ist die Sache so klar, wie etwa bei der OMV: Das Unternehmen zieht sich aus seiner 24,99-Prozent-Beteiligung am Erdgasfeld Juschno Russkoje zurück und muss dadurch 500 bis 800 Mio. Euro abschreiben. Dazu kommt eine weitere Abschreibung von fast einer Mrd. Euro wegen der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream 2, an der die OMV als Financier beteiligt war.

"Wie groß die Betroffenheit ist, wird man für jeden Einzelfall getrennt beurteilen müssen", sagt der Vorstandssprecher des deutschen Wirtschaftsprüferverbandes IDW, Klaus-Peter Naumann zu dem Thema. "Alles dreht sich um die Grundsatzfrage, ob der Wertverlust oder der Zahlungsausfall dauerhaft oder nur temporär ist." Die Antwort darauf könne heute anders ausfallen als in einigen Monaten. "Da werden wir uns von Quartal zu Quartal vorantasten müssen. Diese Unsicherheit können wir als Prüfer dem Markt nicht nehmen."

Der Verband der deutschen Wirtschaftsprüfer hat am Dienstag erstmals eine 21-seitige Broschüre veröffentlicht, wie mit dem Krieg in der Ukraine bilanziell umzugehen ist. Denn auch für viele Wirtschaftsprüfer sind die Fragestellungen, die der Krieg und die Sanktionen mit sich bringen, neu: Wie bewertet man Fabriken wie jene von Fischer Sports, die seit 1988 (!) in der Ukraine tätig sind, aber wegen des Krieges vorerst nicht mehr produzieren und liefern können? Was tun mit ausstehenden Rechnungen für Züge, die nach Russland geliefert wurden und wegen der Finanzsanktionen erst einmal nicht bezahlt werden können?

Auch Verstaatlichungenausländischen Besitzes werden inzwischen für möglich gehalten. So hat ein hochrangiges Mitglied der russischen Regierungspartei heute, Dienstag, vorgeschlagen, Fabriken in ausländischem Besitz, die den Betrieb eingestellt haben, zu verstaatlichen. Unzählige ausländische Unternehmen haben vorübergehende Schließungen von Geschäften und Fabriken in Russland angekündigt.


"Nicht alle Engagements in Russland müssen wegen der Sanktionen automatisch und vollständig abgeschrieben werden", sagt Naumann. Schließlich sind nicht alle Zahlungsflüsse gekappt. Und nach dem Krieg dürfte zumindest die russische Seite großes Interesse haben, die Geschäfte mit dem Westen wieder zu beleben. Wer in der Vergangenheit in Russland zugekauft und den Firmenwert (Goodwill) in der Bilanz aktiviert hat, muss aber zumindest überprüfen, ob der Ansatz noch haltbar ist. "Die Wirtschaftsprüfer richten sich zunächst nach den Annahmen des Managements", sagt der Verbandschef. Sind sie noch realistisch oder plausibel, optimistisch oder zu pessimistisch? "Wir unterstützen dabei, dass keine falschen Entscheidungen getroffen werden, weil Risiken über- oder unterschätzt werden."

Der Wirtschaftsprüfungsexperte rechnet damit, dass die indirekten Folgen des Krieges vor allem für große Unternehmen deutlich größer sind als die unmittelbaren - etwa über Energiepreise, die Beschaffung von Rohstoffen oder die Unterbrechung von Lieferketten.

In die Prognosen für das laufende Jahr muss das einfließen - mit Verweis auf den Krieg ganz auf einen Ausblick verzichten dürfen die Unternehmen laut IDW aber nicht. Auch eine Korrektur der Prognosen, die nur pauschal mit dem Krieg begründet wird, ohne die Risiken konkret zu benennen, sollen die Prüfer nicht gelten lassen. Der Autozulieferer Schaeffler erklärte seine zwei Tage vor dem russischen Angriff abgegebene Prognose nun zur Makulatur. "Aus heutiger Sicht sind weder der weitere Verlauf noch die wirtschaftlichen Auswirkungen verlässlich abzuschätzen", hieß es in der Mitteilung.