Interview : Wolfram Senger-Weiss: "Wir bewegen uns in Richtung Glokalisierung"

Gebrüder Weiss-Vorstandschef Wolfram Senger-Weiss
© Gebrüder Weiss

Herr Senger-Weiss, Sie sind Geschäftsführer des ältesten österreichischen Transportunternehmens - die Wurzeln ihres Familienbetriebes reichen 500 Jahre zurück. Wenn Sie in die Familienchronik schauen, wie ordnen Sie das, was in den letzten 5 Wochen passiert, ein?

Ich glaube wir alle waren überrascht, wie schnell so dramatische Eingriffe in unsere Freiheitsrechte in Friedenszeiten gehen können. Es ist interessant zu sehen, dass auch an Freiheit gewöhnte Menschen solche massiven Eingriffe akzeptieren - für eine gewisse Zeit. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es gab andere und schlimmere Katastrophen in unserer Unternehmensgeschichte. Neu und einzigartig ist aber, dass hier die Vorsichtsmaßnahme der Auslöser der Krise war und nicht die Katastrophe selbst.

Können Sie mögliche Einbußen für Ihr Unternehmen schon beziffern?

Es sind alle Unternehmensteile betroffen - und es gibt deutliche Einbrüche. Wichtig aber ist: Wir sind und wir waren zu jeder Zeit in allen Unternehmensteilen operativ tätig - das können nicht alle Mitbewerber von sich behaupten. Und wir konnten jederzeit an alle Orte der Welt - auch jene, die von Quarantäne betroffen waren - liefern. Wirtschaftlich gesehen ist das erste Quartal für uns in den meisten Bereichen noch gut gelaufen. Wir sind solide finanziert und ich glaube, dass wir stark aus der Krise wieder herauskommen können.

Wenn Sie sich ihre Organisation ansehen, gibt es Teile, wo schon wieder so etwas wie Normalität eingekehrt ist?

Unsere chinesischen Tochterunternehmen sind schon viel weiter und in weiten Teilen schon aus der Krise wieder herausgekommen - aber noch weit entfernt von einer Normalsituation. Wenn ich auf Europa schaue, sind die grenzüberschreitenden Verkehre mehr belastet als die nationalen. Je regionaler der Verkehr ist, desto besser funktioniert im Moment die Supply Chain.

Am Beginn der Krise, Mitte März sagte ihr Geschäftsleitungskollege für den Luft- und Seeverkehr, Lothar Thoma im Interview mit diesem Magazin, der Preis bilde sich "oft stündlich neu". Wie ist die Situation heute?

Im Bereich der Luftfracht sehen wir ein interessantes Phänomen: Da der Großteil der Ware in Passagiermaschinen geflogen wird, und diese Flüge derzeit nicht im Linienbetrieb sind, erleben wir einen Boom der Frachtfliegerei - etwas, was von manchen schon totgesagt wurde. Diese Frachtflieger können die Kapazitäten aber natürlich nicht annähernd ersetzen.

Was bedeutet das für die Preise?

Das fehlende Angebot aus der Passage führt dazu, dass sich der Preis derzeit für viele Märkte beim zwei bis dreifachen in speziellen Märkten gefestigt hat. Für China ist der Preistreiber vor allem die Nachfrage nach Schutzkleidung und liegt eher beim fünffachen. Das Problem ist, dass die Nachfrage nach Produkten neben der Schutzkleidung die höheren Preise nicht rechtfertigt.

Wie entwickelt sich der Seeverkehr?

Die gute Nachricht ist: Alle Hauptlinien sind soweit in Betrieb. Aber durch den reduzierten Bedarf wurde Kapazität für Millionen Container aus dem System genommen. Mit dem Ergebnis, dass die momentanen Preise sehr volatil sind - je nach verfügbarem Platz und Linien. Und, dass es durchwegs viel stärkeren Aufwand mit sich bringt, Container zu verschiffen, weil die Standardprozesse und Fahrpläne nicht mehr gelten und Laufzeiten nicht eingehalten werden.

Gibt es ein Transportmittel, dass man als Gewinner der Krise bezeichnen könnte? Den Bahnverkehr zum Beispiel...?

Bahnverkehr aus China erlebt derzeit einen kleinen Boom, nachdem die Luftfracht nicht ausreichend Kapazitäten hat und teilweise noch Rückstände aus dem Lock-down bestehen. Hier gibt es Auftragsstände die über dem Vorjahr liegen. Imagemässiger Gewinner der Krise ist aber eigentlich die ganze Branche, weil endlich breit verstanden wird, wie wichtig die Lieferketten sind für das Zusammenleben und das Funktionieren unserer Volkswirtschaften.

Es gibt Menschen, die davon träumen, dass dies dem "Staatsfeind LKW" schaden könnte...

Der LKW-Transport - vielleicht mit anderem, ökologischerem Antrieb - ist und wird immer der Backbone der Versorgung sein. Alle Phantasien hier viel auf die Bahn zu verlagern sind schwierig darstellbar. Aber ich möchte da gar keine ideologische Diskussion führen: Die Logistik ist ein Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Die Anforderungen aus der Supply Chain kommen aus der Industrie und dem Handel - wir sind die, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die besten Lösungen finden.

Rechnen Sie damit, dass es in der Branche zu einer Marktbereinigung kommen wird?

Natürlich. Eine Marktbereinigung werden wir sehen, wo wir hohe Investitionen in Infrastruktur und Kapazitäten haben, also etwa in der Luftfracht oder in der Seefracht. Da erwarten wir aber eher Fusionen und Zusammenlegungen. Im kleinteiligeren Bereich etwa im Landverkehr oder bei den Frächtern glaube ich nicht dass es große Bereinigungen geben wird.

Sollte der Staat also die Austrian Airlines um jeden Preis retten?

Das ist eine politische Diskussion, an der ich mich nicht beteiligen möchte. Wichtig ist für uns, dass Wien ein Hub mit direkten Verbindungen nach Amerika und nach Asien bleibt. Dafür hat die AUA sehr erfolgreich gestanden.

In der Branche hört man von Subunternehmern, die von starkem Druck berichten, Preisnachlässe zu akzeptieren. Wie sehen sie das?

Die Logistik ist es wie kaum eine andere Branche gewohnt, mit teilweise sehr großen Schwankungen zu leben. Im Frachtbereich werden die Preise sehr rasch angehoben, wenn die Nachfrage steigt, und sie sinken auch wieder, wenn die Nachfrage fällt. Auch der Treibstoffpreis ist derzeit eine Komponente, die nicht vernachlässigt werden darf. Aber ich glaube man muss gerade in so einer Zeit partnerschaftlich mit Leben und leben lassen agieren. Auch aus Eigennutz: Werden die vielen LKW-Fahrer die jetzt nicht gebraucht werden, wieder bereit sein in diese Form des Arbeitens zurückzukommen?

Sie haben als CEO des zweitgrößten Logistikkonzerns des Landes eine ziemlich genaue Datenlage, wie sich globale Warenströme zukünftig verändern könnten. Gibt es Indizien dafür, dass Unternehmen ihre Abhängigkeit vom Single-Sourcing aus einzelnen geografischen Zuliefergegenden verringern?

Wenn ich mir den Welthandel ansehe, haben wir den Peak der Globalisierung wahrscheinlich schon vor einigen Jahren gesehen. Die Vorhersagen für 2020 gingen im Vergleich zum Vorjahr von einem um 2-3 Prozent reduzierten Welthandel aus. Für heuer wird ein Rückgang des Welthandels von bis zu 30 Prozent gesehen...

Das sind die Fakten. Wie ist ihre Einschätzung?

Ich glaube, wir bewegen uns in Richtung Glokalisierung – lokal mit einer starken globalen Tangente - eine Tendenz, die durch die Krise vielleicht noch verstärkt wird aber keinesfalls schlagartig kommen wird. Schon alleine, weil wir nicht auf den globalen Warenaustausch verzichten können. Denn die asiatischen Länder wie China sind nicht nur Produzenten sondern auch Märkte. Wenn die Kosten der Produktion nur wenige Promille oder Prozente geringer sind als eine Produktion in Europa, dann wird eine Entscheidung schnell zugunsten des Europäischen Standorts fallen können. Wenn man im Bereich der zweistelligen Prozente ist, wird man sich das sehr genau überlegen.

Also eine Entwarnung für China und die verlängerten europäischen Werkbänke in Asien?

Ich glaube nicht, dass akut sehr viele Entscheidungen in dieser Richtung getroffen werden. Würden wir in Europa für Europa produzieren und in Asien für Asien wäre das auch schlecht für die mittlerweile global exportstarke Wirtschaft in Österreich.

Sie haben als Logistikkonzern mit neuen Niederlassungen in Georgien, Armenien, Kasachstan und Usbekistan stark auf die chinesische Initiative der Neuen Seidenstraße gesetzt. Befürchten Sie, dass neue geopolitische Verwerfungen das Projekt einbremsen?

Ich glaube nicht, dass das Projekt der Neuen Seidenstraße leiden wird. Man muss schon sehen: China erweist uns durch die Infrastrukturentwicklung in den Märkten entlang des Landweges von China nach Zentraleuropa einen riesigen Dienst - weil es uns Märkte am Weg dorthin eröffnet. Bei der Breitspurverbindung sprechen wir eher über Transit, das ist richtig, aber der Wohlstandsgewinn auch der Transitländer eröffnet Europa interessante Chancen.

Stichwort Europa. Wie sehen sie die Europäische Union derzeit aufgestellt?

Ich brenne für Europa, ich war und ich bin ein glühender Europäer. Aber ich frage mich, wie viele andere auch: Wo bleibt die EU in dieser Krise? Jedes Land fokussiert sich da auf seine nationalen Interessen, während unsere Grundfreiheiten verloren gehen. Gerade Bürger und Unternehmer in kleinen Ländern wissen, wie stark unser Wohlstand davon abhängt, dass es Austausch und Bewegungsfreiheit gibt. Ich verstehe, dass derzeit die Fähigkeit der Gesundheitssysteme der jeweiligen Staaten die Geschwindigkeit vorgibt. Aber: Die politischen Entscheider müssen aufpassen, dass bei den Menschen die Vorteile von Europa nicht vergessen werden.

Welche Lehren haben Sie als Unternehmer aus der Krise bisher gezogen?

Die wohl spannendste Erkenntnis war die Bestätigung, dass digitale Prozesse ohne den wissenden Menschen nicht funktionieren. Wir investieren in die Digitalisierung unserer Prozesse um mehr Transparenz und Automatisierung in unsere Leistungen zu bringen. Jetzt, da wir alle im Homeoffice sitzen, hat uns diese Transparenz sicher geholfen. Zugleich konnten nur durch den Einsatz, die Kreativität und das Knowhow unserer Mitarbeiter die Prozesse so rasch angepasst werden, dass sie weiter effizient funktionieren.

Geben Sie uns abschließend noch eine Einschätzung mit auf den Weg. Wann werden sich die Warenströme wieder normalisiert haben - und wann wird die Nachfrage wieder zurückkommen?

Die Frage wird sein, wie schnell wir - und wie schnell unsere Handelspartner in Europa und global aus dieser Krise kommen. Ich persönlich glaube, wir werden durchaus 1-2 Jahre brauchen um wieder auf ein Niveau zu kommen, wo wir vor der Krise waren.

Eine Hoffnung auf sich normalisierenden Konsum und Investitionen haben Sie kurzfristig nicht?

Es wird viel davon abhängen, wieviel Vertrauen die Menschen und die Unternehmen in die Zukunft haben. Denn nur dann wird konsumiert und investiert. Ich befürchte, dass der Konsum zumindest bis Herbst nicht zurückkommt. Viel davon hängt damit zusammen, ob sozial interagiert, getroffen, ausgegangen, hergezeigt werden kann - und hier wird eine Normalisierung möglicherweise nicht so schnell eintreten. Um die Investitionen anzukurbeln werden die Regierungen schon sehr bald gefordert sein sich zu überlegen, welches Konjunkturprogramm wir brauchen.

https://www.youtube.com/watch?v=inaOq5y2i0w]