Stahlindustrie : Thyssenkrupp-Steel-Chef: "Wir haben einen Stahlengpass in Europa"

Thyssenkrupp Headquarter
© APA/dpa/Rolf Vennenbernd

"Wir haben einen Stahlengpass in Europa", sagt Bernhard Osburg, Sprecher des Vorstands der thyssenkrupp Steel Europe AG. Die europäische Stahlindustrie habe zwar ihre Kapazitäten voll hochgefahren. Das reiche aber nicht, um die Nachfrage zu decken.

Auch Thyssenkrupp sei sehr gut ausgelastet. Kurzarbeit sei kein Thema mehr. Viele stahlverarbeitende Branchen klagen seit Monaten über einen Mangel an Vorprodukten.

Den Stahlüberschuss, der die Lage auf dem Weltmarkt viele Jahre bestimmt habe, gebe es nicht mehr, sagte Osburg. China, wo die Coronakrise schon im vergangenen Jahr überwunden worden sei, habe einen "extrem hohen Stahlhunger". Deshalb habe die chinesische Regierung die in der Vergangenheit gewährten Steuererleichterungen für Stahlexporte gestrichen. Stahl aus China fehle daher auf dem Weltmarkt. Was noch vorhanden sei, "sucht sich vor allem den Weg in die USA". Denn dort sei das Preisniveau deutlich höher als in Europa.

In Europa fielen rund 20 Prozent der Importe derzeit weg, es gebe deshalb rund 4 Millionen Tonnen weniger Stahl auf dem Markt. Diese Lücke sei keine Folge der Schutzmaßnahmen für die europäische Stahlindustrie. "Ihnen verkauft einfach keiner etwas", sagte Osburg. Das Preisniveau habe kräftig angezogen, aber auch die Rohstoffe seien für die Hüttenwerke deutlich teurer geworden. So müssten für Erze derzeit Rekordpreise gezahlt werden.

Vorerst keine Entspannung erwartet

Der Thyssenkrupp-Manager rechnet vorerst nicht mit einer Entspannung. Da die großen Corona-Wiederaufbauprogramme in Europa und den USA erst anliefen, werde die Nachfrage nach Stahl hoch bleiben. Das konjunkturelle Umfeld werde zumindest mittelfristig gut bleiben. Das spreche dafür, "dass die Stahlkonjunktur wahrscheinlich nicht sehr schnell wieder in große Probleme kommt".

In der Schwerindustrie rechnet Osburg mit einem weiteren Konzentrationsprozess. "Das Thema Konsolidierung wird sicherlich ein Thema bleiben", sagte der Stahlchef. Die Konzerne blieben weiter unter Druck, auf Kosten zu achten, Strukturen zu überprüfen und sich Industrienetzwerke anzuschauen. "Und deswegen, glaube ich, hat alles immer eine Chance", fügte der Manager auf die Frage nach einem Bündnis mit dem deutschen Branchenzweiten Salzgitter hinzu. "Ob das deswegen schnell passiert, kann ich nicht sagen."

Es sei immer die Position von Thyssenkrupp gewesen, dass man das Gesamtspielfeld im Blick haben müsse, erklärte Osburg auf die Frage nach einer Chance für eine solche deutsche Stahl AG. "Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, es gibt einige, die dagegen sprechen. Schau wir mal, was die Zukunft bringt."

Salzgitter hatte Thyssenkrupp in dieser Frage immer wieder die kalte Schulter gezeigt. Insbesondere Vorstandschef Heinz Jörg Fuhrmann sah wenig Sinn in einer Fusion. Fuhrmann tritt in wenigen Tagen bei Thyssenkrupp ab. Nachfolger ist der frühere Windenergiechef von Vattenfall, Gunnar Groebler.

Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz will in den nächsten Monaten ausloten, wohin die Reise des Stahlgeschäfts geht. Zu den Optionen gehören auch eine Abspaltung und ein Börsengang. "Wir haben entschieden, dass wir uns mit der Thematik ernsthaft auseinandersetzen. Da gehören eine Menge Dinge zu, sagte Osburg. "Das hängt auch vom Marktumfeld ab, wenn man irgendwo an die Börse geht." (apa/dpa)