Logistik : Stellungskrieg

Der Schub kam von unerwarteter Seite. Ausgerechnet ein grüner Minister sorgte vor wenigen Wochen dafür, dass die still vor sich hin plätschernde Kontroverse um die Gigaliner wieder ihren Weg in die Tagespresse fand. Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg und seit Jahren im Lager der Gegner der Lang-Lkw, machte den Weg frei: Der deutsche Feldversuch, der bis Ende 2016 klären soll, was die Gigaliner bringen – oder eben nicht –, führt nun auch über hochrangige Straßen Baden-Württembergs.

Noch im März hatte das Pendel in die Gegenrichtung geschwungen. Das Europäische Parlament beschloss, dass die Zulassung der Langen weiterhin Sache der Mitgliedsländer bleibt. Soll heißen: Die 25-Meter-Lkw dürfen nur dann eine Grenze überfahren, wenn das jeweilige Land das auch will. Das Abstimmungsergebnis im Verkehrsausschuss war eindeutig: SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried berichtete danach, es habe 41:0 gelautet, ein höchst seltener Kantersieg also.

Zwischenbericht mit klaren Worten

Die kurze Geschichte der Gigaliner-Diskussion ist reich an solchen Wendungen. Die massivste ereignete sich im vergangenen Herbst, als die Deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen, die den Feldversuch in Deutschland wissenschaftlich begleitet, den Zwischenbericht zur Halbzeit vorlegte. Der Bericht zerpflückte die Argumente der Gegner in nahezu allen Punkten: Die größeren und schwereren Lkw erhöhen nicht die Unfallgefahr, erweisen sich als wirtschaftlich sinnvoll, zeigen keine technischen Probleme, lassen sich problemlos überholen und führen zu keinen zusätzlichen Staus. Die auftauchenden Probleme, wie etwa zu kleine Park- und Pannenbuchten, sind laut dem betont neutral gehaltenen Zwischenbericht allesamt beherrsch- und behebbar.

Kniefall vor der Industrie

Am Verlauf der Diskussion änderte der Bericht nichts. Fast nichts – denn Verkehrsminister Hermann benannte die Ergebnisse explizit als Auslöser seines Sinneswandels. Der im Übrigen kein grundsätzlicher ist: Hermann betont seine anhaltende Skepsis gegenüber den Lang-Lkw und kündigt gleichzeitig an, eine weitere Studie in Auftrag zu geben. Weder die Auswirkungen auf die Umwelt noch mögliche Verlagerungseffekte von der Schiene auf die Straße würden beim Feldversuch ausreichend berücksichtigt, so seine Kritik. Das soll nun nachgeholt werden.

Das Echo auf seine halbe Kehrtwende ist dennoch verheerend. Vor allem, da er die Studie als Kooperation mit Daimler ankündigte. Der Stuttgarter Automobilriese drängt seit Jahren auf die Zulassung der Gigaliner. Hermanns Entscheidung wird daher etwa von Seiten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland als "Kniefall vor den Interessen der Industrie und Logistikbranche" apostrophiert.

Dem Thema stehen also zwei hochinteressante Ergebnispräsentationen bevor. Sollten sowohl der Endbericht der BASt als auch die (noch nicht vergebene) Studie zu Umweltfolgen und Verlagerungseffekten positiv für die Gigaliner ausfallen, wird die Debatte wohl ihren bisherigen Höhepunkt erreichen.

Hintergrund: Der Feldversuch

Seit Anfang 2012 sind sie in Deutschland unterwegs: 25,25 Meter lange und bis maximal 40 Tonnen schwere Lang­Lkw (44 im Kombiverkehr). Im Rahmen des bis Ende 2016 laufenden Versuchsbetriebs soll geklärt werden, welche Auswirkungen der Einsatz der Gigaliner auf Umwelt, Transporteffizienz, Verkehrssicherheit und Infrastruktur hat. Das Streckennetz ist dynamisch: Jedes deutsche Bundesland kann am Feldversuch teilnehmen – oder eben nicht. Rund 11.000 Kilometer sind es insgesamt, überwiegend Autobahnen. Mit der wissenschaftlichen Begleitung des Feldversuchs ist die Deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beauftragt. Im vergangenen Herbst legte die BASt den Zwischenbericht zur Halbzeit vor, der ein überwiegend positives Bild vom Einsatz der Lang­-Lkw zeichnet.

Vor ein paar Jahren durfte ich Christoph Chorherr als Redner bei einem Treffen niederösterreichischer Transporteure erleben. Die Stimmung und die Kommentare vor seinem Auftritt waren ziemlich eindeutig. Der Grünen-Politiker sprach über Lkw-Mauten. Kompetent im Thema, konziliant bei der Frage, wo man sich eventuell einigen könnte, und glasklar bei der Definition seiner Schmerzgrenzen. Chorherr vermittelte vor allem eines: dass er zuhörte und gute Argumente gelten ließ. Die Kommentare im Auditorium waren danach verblüffend positiv.

Es ist kein Zufall, dass gerade die Grünen in Deutschland in der Gigaliner-Diskussion immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Politiker wie Ralf Fücks, der meinte, er empfinde den Widerstand gegen die Gigaliner vor allem als emotional motiviert. Politiker wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, der es wagt, sogar mit der bösen Automobilindustrie zu sprechen. Und frech darauf beharrt, immer noch grüne Grundsätze zu vertreten.

Auch wenn die Industrie in Sachen Nachhaltigkeit eine enorme und glaubwürdige Entwicklung hinter sich hat – dass es kontrollierende, fragende, lästige Gegengewichte gibt, beruhigt mich doch sehr. Allerdings nur, wenn sie liefern, was sie selbst von der Industrie einfordern: nämlich die Fähigkeit und die Bereitschaft, Argumente zu würdigen und über Ideologie zu stellen. Auch nach den Ergebnissen des Zwischenberichts der BASt bleibe Österreich „die Speerspitze im Widerstand gegen diese Riesentrucks“, verspricht der Grüne Verkehrssprecher. Mag sein, dass das auch Christoph Chorherr so sieht. Bei ihm hätte ich allerdings zumindest das Gefühl, dass er zugehört hat.