Start-up : Pharma-Start-up: Wagnis und Wiegenlieder

Qualizyme Heinzle Sigl
© Mario Mulle

Eine Karriere mit Kindern zu machen ist für Frauen immer noch ein Spagat. Schwangerschaft und Karenz bremsen oftmals den beruflichen Aufstieg gehörig ein. Aber es kann auch anders kommen. Das haben die Steirerinnen Andrea Heinzle und Eva Sigl bewiesen. Die beiden Forscherinnen, Sigl ist promovierte Mikrobiologin und Heinzle promovierte technische Chemikerin, wollten beides vereinen: Erfolg und Familie. Und das ist ihnen eindrucksvoll gelungen. Auch wenn der Weg dorthin nicht gerade einfach war.

Die Chemie stimmte

Die beiden brachte 2006, also vor knapp dreizehn Jahren, ein EU-Projekt an der Technischen Universität Graz zusammen. „Die Chemie zwischen uns hat gleich gepasst“, sagt Eva Sigl. Bei diesem Projekt, an dem 19 Partner (Krankenhäuser, Ärzte und Pharmafirmen) beteiligt waren, ging es um die Forschung bei „chronischen Wunden“. Sigl und Heinzle sind relativ rasch auf den Umstand gestoßen, dass bisherige mikrobiologische Analysen drei bis fünf Tage dauern: Zuerst erfolgt ein Abstrich im Labor, wo Bakterien kultiviert und wachsen müssen. Darüber muss dann ein Befund erstellt werden, der dann an den behandelnden Arzt geschickt wird.

In der Zwischenzeit herrscht aber Ungewissheit. Ungewissheit, die lebensbedrohlich werden kann. Daher haben die beiden Wissenschaftlerinnen einen Schnelltest entwickelt, der das Ergebnis einer Wundinfektion in nur wenigen Minuten ausspuckt. Und diesen Schnelltest konnten die beiden aus dem EU-Projekt, als universitärer Spin-off sozusagen, mitnehmen und verwerten. Nach weiteren Tests und Forschungsjahren gründeten sie 2014 gemeinsam mit Michael Burnet ihr Unternehmen Qualizyme und sind nun am „Zentrum für Wissens- und Technologietransfer in der Medizin“ (kurz: ZWT) in Graz angesiedelt. Die drei Gründer teilen sich die Geschäftsführung: Michael Burnet, promovierter Biochemiker, ist für die Geschäftsführung in Deutschland zuständig. Den Rest verantworten Eva Sigl und Andrea Heinzle.

>> Lesen Sie dazu auch den Kommentar zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie: "Oh, da hört ja jemand mit!", der im Rahmen der Recherche zu den 100 wichtigsten Frauen Österreichs entstand. <<

Organisationstalente

Die beiden Entrepreneurinnen haben insgesamt sieben Kinder. 2011 ist bei beiden zuletzt Nachwuchs gekommen. Bei Firmengründung schaukelten sie also nicht nur Kleinkinder, sondern auch all den unternehmerischen Aufwand. Eva Sigl, vierfache Mutter: „Unsere Kinder stehen für uns an erster Stelle. Das Unternehmen, dem wir mit großer Leidenschaft nachgehen, gibt uns die Freiheit, Kinder und Beruf gut vereinbaren zu können.“ Doch wie bekommt man Familie und Karriere so gut unter einen Hut? Sigl: „Man muss gut organisiert sein, ein gutes Netzwerk haben sowie eine Familie, die einen unterstützt, dann geht alles“, ergänzt sie. Sie haben sich also über den Umweg der Selbstständigkeit einen Freiraum eingeräumt, das so zu schaffen. Im Rahmen einer Anstellung wäre das in der Form kaum möglich, meinen die Powerfrauen.

Auch wenn sie dazu anfangs eine andere Erfahrung sammelten. Als sie noch an der TU Graz waren, hatten sie das Glück eines empathischen Chefs. „Er hat uns sehr unterstützt. Die Arbeit musste dennoch gemacht werden, aber es war egal wann. Daher konnten wir uns die Aufteilung zwischen Beruf und Familie gut einteilen“, sagt Sigl. Was also nicht zwischen 8 bis 17 Uhr erledigt werden konnte, wurde am Abend oder am Wochenende nachgeholt. Die beiden sind auch nicht in Karenz gegangen, sondern gleich nach dem Mutterschutz wieder im Labor gestanden. Damit haben sie auch nie den Anschluss verloren. Aber 2013 verließ dieser Chef das Institut. Und die eingeräumte Flexibilität lief Gefahr dahinzufließen. Damit stand der Entschluss, von einer Anstellung ins Unternehmertum zu wechseln, fest. Auch wenn damit die Doppelbelastung gestiegen ist.

Kooperation mit großem Pharmaunternehmen

„Wir haben uns eine Zeit lang dafür geniert, dass uns die Kinder das Wichtigste sind. Aber das hielt uns nicht davon ab, dennoch Karriere zu machen“, sagt Sigl. Und die geht jetzt gerade so richtig los. Nach einer Menge an Auszeichnungen (Ideenwettbewerb des Sciencepark Graz, Fast Forward Award, Publikumsaward des Houska Preises, Unternehmerinnen des Jahres 2018 der WKO) hat Qualizyme nun auch einen Partner gefunden. Den Schnelltest produziert Qualizyme nämlich nicht selbst. Das und den künftigen Vertrieb erledigt ein großes Pharmaunternehmen (noch unter Verschluss). Ab Ende dieses Jahres wird der revolutionäre Wundtest dann auf den Markt kommen. „Wir hätten gar nicht die Ressourcen und Möglichkeiten, diesen Test selbst herzustellen. Und wir sind sehr froh über die freundliche Kooperation, denn man begegnete uns auf Augenhöhe“, sagt Eva Sigl.

Im Übrigen sagt der Test nichts darüber aus, welche Bakterien vorhanden sind. Aber er verrät, dass eine Infektion im Entstehen ist. Und er läuft so ab: Mit einem sterilen Tupfer wird ein Abstrich an der Wunde gemacht. Das Ergebnis des Abstrichs wird dann „in vitro“, also außerhalb des Körpers, ermittelt. Er funktioniert also wie ein Schwangerschaftstest. Wichtig ist der Test vor allem für Personen, die zu Hause von einem Pflegepersonal oder vom Hausarzt betreut werden. Im Spital ist die Wundkontrolle kein Problem. Aber Pflegepersonal oder Ärzte, die nicht auf die Wundversorgung spezialisiert sind, können „freihändig“ nicht erkennen, ob eine Wunde infiziert ist oder nicht. Und die Zahl der Personen mit offenen chronischen Wunden (vor allem bei diabetischen Beinen) wächst von Jahr zu Jahr.

Reinraum seit 2017

Im selben Atemzug sinkt die Zahl der niedergelassenen Fachärzte – vor allem im ländlichen Bereich. „Weil in Österreich die Wundversorgung auch schlecht bezahlt ist, bieten immer weniger Ärzte diesen Service an“, sagt Eva Sigl. Aus diesem Grund wird, wenn der Verdacht einer Infektion besteht, sehr schnell ein Antibiotikum verabreicht. Obwohl vielleicht keines benötigt wird. Denn es können Bakterien vorhanden sein, und zwar in großer Zahl und Dichte, die dem Patienten aber nichts ausmachen – weil das Immunsystem gut funktioniert. Bei vielen älteren Personen kann diese Unsicherheit aber zu einer großen Gefahr werden. Daher ist das Abwarten nicht die Lösung, sonst droht eine Sepsis (Blutvergiftung). Daraus entsteht gleich das nächste Problem. Wenn zu häufig Antibiotika verschrieben werden, dann wächst eine Resistenz heran und die Bakterien können nach erneuter Infektion ungehindert wüten.

Das Forscher-Duo ist Ende 2017 noch dazu selbst in die Produktion eingestiegen. „Wir haben einen Produktionsraum, einen sogenannten Reinraum, gebaut. Dort stellen wir biochemische Substanzen her, die die Grundlage des Tests bilden. Diese sind von uns entwickelt worden und daher nicht am Markt erhältlich. Die Mengen sind verhältnismäßig gering, deshalb ist die Produktion am bisherigen Standort auch möglich. Und die Substanzen können auch woanders eingesetzt werden – nicht nur beim Schnelltest.“

Erweiterungspläne

Andrea Heinzle und Eva Sigl hätten nach abgeschlossener Entwicklung einfach aufhören und darauf warten können, was ihnen an Lizenzeinnahmen zufließt. Doch die Chefinnen von fünf weiteren hochquali zierten Mitarbeitern wollten mehr und haben sich nach Möglichkeiten umgesehen, in denen ihre Technologie noch eingesetzt werden könnte. Der menschliche Körper bietet dafür viele Möglichkeiten. Für dieses Forschungssegment sind auch Fördergelder vorhanden. Und die wiederum ermöglichen es, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiterhin in der Forschung aktiv sein können und eben nicht nur in der Produktion und Qualitätssicherung. Was noch von Qualizyme kommen wird, lässt sich dem Start-up-Duo vorerst nicht entlocken. Nur so viel: „Wir haben ein laufendes Projekt, für das wir schon ein angemeldetes Patent haben. Es dient einer anderen Anwendung im Körper. Und es wird ebenfalls ein Schnelltest sein“, sagt Eva Sigl.