Digitalisierung : Palfinger-Chef Ortner: „Zwei Seiten Businessplan. Drei Leute, die dafür brennen. Das genügt.“

Palfinger Ortner
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Es ist eine riesige Herausforderung, vor die Herbert Ortner sich und sein Unternehmen gestellt hat: Binnen weniger Jahre will der Chef des Salzburger Kranbauers Palfinger mit disruptiven Geschäftsideen die Logistikbranche umkrempeln. Bislang ist er - in Europa - alleine auf weiter Flur, wenn es um die Anbindung von Ladekränen an potenzielle Sharing- und Mietplattformen geht. Auch an Verladelösungen per Gestiksteuerung oder Datenbrille arbeitet bislang kein Mitbewerber. Das gesamte Vorstandsteam, so räumt Ortner ein, beschäftigt sich derzeit zu gefühlt 80 Prozent mit den Themen der Digitalisierung. INDUSTRIEMAGAZIN hat den Disruptor in einem Wiener Innenstadthotel getroffen.

Herr Ortner, sie haben die Parole ausgegeben, nicht mehr so sehr auf smarte Produktion sondern auf smarte Produkte zu setzen. Warum?

Herbert Ortner Wir beschäftigen uns seit Jahrzehnten mit Lean Manufacturing und Automatisierung. Wir setzen 3D-Drucker ein. Das alles bringt uns aber nicht auf die nächste Ebene. Wir müssen aufhören nur das zu verbessern, was heute gut läuft. Neue, skalierbare Geschäftsmodelle entstehen nicht durch smarte Produktion.

Haben Sie das Gefühl, dass wir zu sehr mit inkrementeller Verbesserung und zu wenig mit dem bahnbrechendem Neuen beschäftigt?

Ortner Zumindest für unsere Branche kann ich diesen Befund bestätigen. Und das ist gefährlich, weil unsere herkömmlichen Geschäftsmodelle abgelöst werden. Es war für uns extrem wertvoll zu erkennen, dass der digitale Wandel Wissen relativ werden lässt. Entscheidungen, die wir heute aus fundierten Gründen treffen, würden wir morgen oder übermorgen wahrscheinlich anders treffen. Wir müssen daher lernen, in Möglichkeiten zu denken und Dinge viel schneller auszuprobieren und umzusetzen.

Was ändert sich dadurch für einen Kranbauer wie Palfinger?

Ortner Wir produzieren heute noch ein Produkt. Morgen eine Idee. Und übermorgen eine Experience. Oder, um konkret zu werden: Wir produzieren heute einen Kran, der von jemandem auf einen LKW verbaut wird, den wir nicht kennen. Ein Dritter finanziert, besitzt und verwendet unseren Kran. In Zukunft wird der Endkunde eine Beladung online buchen – genau dann wenn er sie braucht. Unser Kran wird ein Roboter, die Bedienung mannlos, die Vernetzung bis hin zur automatisierten Abrechnung vollständig sein.

Was bedeutet das für ihre Produktion und ihre Wertschöpfungskette?

Ortner Als ich vor 15 Jahren zu Palfinger kam, war unsere Kernkompetenz der Stahlbau. Später war es die Hydraulik. Heute ist es die Mechatronik. In Zukunft wird es noch mehr die Sensorik, die Connectivity sein. Das wird unser Produktionsportfolio verändern. In der Wertschöpfungskette müssen wir Partnerschaften mit der LKW-Industrie, der Verleihindustrie, Finanzdienstleistern eingehen.

Das klingt nach dramatischen Verwerfungen. Viele ihrer Subhändler dürften dabei wegfallen – schon, weil diese technologisch nicht mithalten können....

Ortner Auf alle Fälle müssen wir näher zum Kunden, schon um ihn besser zu verstehen. Was aber nicht heißt, dass wir auf 100 Prozent direkten Vertrieb umstellen. Unser starkes Händlernetzwerk war immer schon eines unsere wichtigsten Assets. Und das wird es auch weiter geben. Zu der einen oder anderen Vorwärtsintegration kann es aber kommen, wie man schon in den letzten Monaten gesehen hat. Aber das ist ja in allen Industrien so, der LKW-Herstellung, der Baumaschinenindustrie.

Ist es denkbar, dass es eine Palfinger-Lösung sein wird, über die in Zukunft die „Experience Beladung“ gebucht wird?

Ortner Nein. Wir werden nicht das Front End sein, das die Logistikkonzepte anbietet. Das wird die LKW Industrie, die Verleihindustrie, das könnten Finanzdienstleister sein. Aber die Lösung – und da rede ich nicht über den Kran, sondern übers Gesamtpaket LKW-Kran-Equipment, das wird von uns kommen. Wir stellen dann vielleicht die Rechnung an eine Leasingfirma, eine Rentalfirma, oder den LKW-Hersteller.

Um diese neuen, skalierbaren Geschäftsmodelle zu finden, treiben Sie seit einem Jahr mit Hochdruck die Digitalisierung in ihrem Haus voran. Was sind die Schwierigkeiten, vor denen Sie stehen?

Ortner Wir stehen vor der gleichen Herausforderung wie alle anderen Unternehmen: Es ist nicht möglich die Digitalisierung sofort über das ganze Unternehmen zu stülpen. Daher haben wir – so schnell wie möglich – ein zweites Unternehmen im Unternehmen aufgebaut. Mit einer anderen Kultur. Agileren Teams. Partnerschaften mit Forschern, Universitäten und Fachhochschulen.

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde dafür ein Geschäftsbereich mit zehn Mitarbeitern gegründet...

Ortner ...mittlerweile sind das schon 15. Der Geschäftsbereich ist bei unserem COO Martin Zehnder angesiedelt, im Team erarbeiten da Vertriebsprofis, Softwarespezialisten und Mechatroniker Ideen und Kooperationen. Das Team wird übrigens bald viel größer: Wir gründen eine Niederlassung in Wien. Ein Startup, das im Bereich Mechatronik 10 bis 15 Mitarbeiter haben wird. Dafür suchen wir übrigens noch brillante Köpfe!

Wie oft treffen Sie denn in ihrem Tagesgeschäft ihre Start-Upper?

Ortner Derzeit sehr oft. Uns drei Vorständen kommt es derzeit so vor, dass wir 80 Prozent Digitalisierung machen und nur 20 Prozent Kerngeschäft. Das ist auch wichtig, denn das muss Top Down passieren. Nur so kommt da Dampf rein.

Was lernen Sie dabei für ihre eigene Managementaufgabe?

Ortner Fehlerkultur. Wir überlegen derzeit etwa, ein Incentive Modell aufzubauen, das schnelles Fehlermachen belohnt. Ich sage meinen Mitarbeitern: ‚Trefft zehn Entscheidungen und schießt drei Böcke’.

Erlauben Sie selbst sich diese ‚drei Böcke’ ebenfalls?

Ortner Ja. Ich arbeite nach dem Pareto Prinzip. Sobald ein Thema 80 Prozent Marktreife hat, versuche ich es. Die alte Kultur wäre gewesen, etwas bis zu 99 Prozentiger Marktreife zu entwickeln. Das würde in vielen Fällen zumindest ein Jahr Verzögerung bedeuten.

Geben Sie mir ein Beispiel für diese neue Agilität?

Ortner In Indien versucht derzeit zum Beispiel ein Zwei-Mann-Team im Bereich Hubarbeitsbühne eine Online-Verleihfirma zu etablieren. Dieses Vorhaben wäre bislang unerhört gewesen: Weil es nicht unser Geschäftsmodell ist, weil es noch nicht ausgereift ist, weil wir in Konkurrenz zu vielleicht zukünftigen Kunden gehen. Palfinger neu probiert das – auch weil wir am indischen Markt noch ohne bestehende Strukturen und „Altlasten“ vorgehen können.

Wann entscheiden Sie, ob das Projekt ein Erfolg ist?

Ortner Unser Ziel ist es, im ersten Halbjahr 2017 online zu gehen – Ende 2017 wird Erfolg/Misserfolg definiert. Von der Idee bis zur Entscheidung Unterjährig – so soll das funktionieren.

Angesichts solcher Geschwindigkeiten müssen natürlich ausgefeilte Businesspläne an Bedeutung verlieren...

Ortner Allerdings. Businesspläne und Rentabilitätsrechnungen sind dabei nur bedingt gute Berater.

Wenn Rentabilitätsrechnungen an Bedeutung verlieren, was wird dann ihre Entscheidungsgrundlage: Das Bauchgefühl ihres Teams?

Ortner Ja und Nein. Das Bauchgefühl wird wichtiger werden. Trotzdem: Wir haben natürlich begrenzte Ressourcen. Wir haben Risikokapital definiert, für das es keine ROI-Rechnung, keinen Businessplan braucht, wo wir was ausprobieren. Es wird natürlich grundsätzlich weiterhin Rentabilitätsrechnung geben – aber in einem anderen Detaillierungsniveau. Nicht mehr bis zur zehnten Nachkommastelle. Ein Zweiseiter mit Geschäftsidee und drei Leuten, die uns glaubhaft zeigen, sie glauben daran, kriegen das OK.

Wie implementiert man solch eine Kultur in einen bestehenden Industriekonzern?

Ortner Die Zusammenführung kann nur schrittweise passieren. Es kann nur funktionieren, wenn wir alle Mitarbeiter an Board haben. Wir befinden uns intern in einer sehr intensiven Visionsdiskussion. Wir zeigen an Beispielen wo die Reise hingehen kann und versuchen so ein breites Verständnis für diesen Wandel zu erarbeiten. Wir hinterfragen mit unseren Mitarbeiter mögliche Entwicklungen. Denn was genau wann wie kommen wird, ist unter den Vorzeichen der Innovationszyklen nicht planbar.

Abschlussfrage: Herr Ortner, Sie sind Jahrgang 1968. Mit Schwarz-Weiss-Fernehen und Vierteltelefon aufgewachsen. Sie sind nach eigener Einschätzung „zwanzig Jahre zu alt“ um Facebook- und Twitter-Freak zu sein. Muss man das Verstehen um Digitalisierung vollinhaltlich erfassen zu können?

Ortner Muss man nicht. Man muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen. Sehen, dass der junge Kranfahrer daheim beim Computerspiel längst eine Datenbrille nutzt. Der junge Bauunternehmer Drivenow und Uber nutzt statt einen Dienstwagen zu kaufen. Oder sich mit einem jungen Mechatroniker darüber unterhalten, was im Bereich Connectivity und Sensorik bald möglich wird.