IM-Expertenpool: Industrie 4.0 : Mensch und Roboter Hand in Hand – Fünf Erfolgsfaktoren für die Praxis

Der Einsatz von schutzzaunlosen, intuitiv zu programmierenden und kostengünstigen Leichtbaurobotern zur Unterstützung und Entlastung von Mitarbeitern, beispielsweise bei monotonen oder belastenden Tätigkeiten, – die Mensch-Roboter-Kollaboration – ist eine der Kernideen von Industrie 4.0. Alle etablierten und einige neu am Markt vertretene Roboterhersteller bieten mittlerweile speziell für diesen Zweck ausgelegte Robotermodelle an. Die Einsatzfelder sind praktisch unbegrenzt: Neben dem Verschrauben von Bauteilen in der Fabrik oder dem Verpacken von Produkten im Lager könnten die Helferlein genauso in der Kantine bei der Essensausgabe oder im Labor beim Handling von Materialproben unterstützen.

Immer mehr Vertreter der Spezies "Leichtbauroboter" findet man im produktiven Unternehmenseinsatz. Wenn auch Sie sich deren vielfältige Potenziale erschließen wollen: Die Berücksichtigung der folgenden Erfolgsfaktoren kann die erste Einführung der Technologie im Unternehmen deutlich vereinfachen.

Keep it simple

Wenn im Unternehmen die Entscheidung, sich mit kollaborativen Robotern auseinanderzusetzen, getroffen wurde, sind Ideen für mögliche Einsatzfälle meist schnell gefunden. Oft geht die Tendenz dahin, das Projekt mit dem größtmöglichen Prestige, gemessen in technischem Anspruch, zuerst zu verfolgen – auch um die Grenzen der Technologie auszuloten. Werden dann Schwierigkeiten in der Umsetzung erkannt, wird die kollaborative Robotik manchmal insgesamt und vorschnell für unbrauchbar oder gar "tot" erklärt.

Je weniger Erfahrung die Organisation mit (Leichtbau-)Robotik und Innovationsprojekten hat, umso wichtiger ist es vielmehr, sich nicht vom Start weg zu überfordern, sondern jenen Anwendungsfall für eine erste Umsetzung auszuwählen, der die geringstmögliche Komplexität und damit die höchstmöglichen Erfolgsaussichten bietet. Um die generelle Machbarkeit sicherzustellen reichen oft auch einfache Mock-ups und improvisierte Aufbauten, welche Schritt für Schritt iterativ bis zum Zielzustand weiterentwickelt werden. So lassen sich Investitionsrisiken reduzieren. Und in Folgeprojekten kann dann auf die gesammelten Erfahrungen und das gebildete Know-how sukzessive aufgebaut werden, bis auch das schwierigste Projekt problemlos gemeistert wird.

Start small – think big!

Auch der Versuch, nur einen vermeintlich einfachen Arbeitsschritt zu automatisieren, kann zu einer mittelschweren Herausforderung werden – beispielsweise wenn der Roboter mobil sein oder "sehen" können muss, um die für ihn vorgesehene Arbeitsaufgabe erfüllen zu können. Eine grobe, erfahrungsmäßige Faustformel besagt, dass zur ersten Abschätzung der Gesamtkosten zusätzlich zum eigentlichen Roboter dessen zweieinhalbfacher Anschaffungswert, für beispielsweise Peripherie, Sensorik und Entwicklung, kalkuliert werden kann. Teilweise können diese Zusatzkosten auch noch höher ausfallen, sodass sich die Investition nicht mehr rechnet. Aus diesem Grund bietet es sich an, Use Cases zu priorisieren, die in gleicher oder sehr ähnlicher Form gleich mehrfach im Unternehmen – egal ob lokal oder an anderen Standorten – vorhanden sind. So kann eine Applikation mit nur geringem Zusatzaufwand unter Umständen gleich mehrmals umgesetzt werden, und die anfänglichen Entwicklungskosten und sprichwörtlichen "Lehrgelder" für Pilotversuche lassen sich dementsprechend später auch auf mehrere Applikationen verteilen und stützen deren Rentabilität – klassische Skaleneffekte! So findet die Technologie auch schnell flächendeckende Verbreitung und kann ihr Potenzial voll ausspielen.

Richtige Partner finden und einbinden

Auch wenn Sie die beiden erstgenannten Erfolgsfaktoren bereits berücksichtigt haben und sich die kollaborative Robotik eigentlich selbständig erschließen möchten: Die Krux liegt häufig im Detail und im Pilotprojekt fehlen Know-how und die Erfahrung manchmal eben doch, um bereits den gesamten Entwicklungs- und Integrationsprozess eigenständig abdecken zu können. Um das besagte Lehrgeld im Zaum zu halten und schnellstmöglich zum Erfolg zu kommen, lohnt es sich daher, Partner und Spezialisten zu einzelnen Fragestellungen an Bord zu holen. So kann bereits bei der Pilotanwendung eine optimale Lösung hinsichtlich Produktivitätssteigerung und Skalierbarkeit erreicht werden. Werden Themen wie Sicherheit und Ergonomie durch einen kompetenten Partner bereits in der Konzeptionierung mitberücksichtigt, werden sie auch nicht kurz vor Implementierung noch zu Produktivitätsbremse oder gar kompletten Show-Stoppern. Profitieren Sie vom Know-how und den Erfahrungen Ihrer Partner und machen Sie Ihre MRK-Applikation damit zum Vorzeigeprojekt.

Safety (and Security) First!

Bei der Gestaltung kollaborativer Arbeitsplätze müssen im Bereich der Sicherheitstechnik neue Wege bestritten werden. Durch die direkte Zusammenarbeit und den geteilten Arbeitsplatz werden Kollisionen nicht mehr ausgeschlossen und müssen bei der Gestaltung und Beurteilung des Arbeitsplatzes daher aktiv adressiert werden. Die ISO/ TS 15066 gibt hier erste einzuhaltende Grenzwerte für die wirkenden biomechanischen Kräfte an; konkrete Hilfestellungen zur sicheren Gestaltung sind aktuell jedoch noch kaum vorhanden.

Die zunehmende Vernetzung in Produktionsanlagen öffnet neue Angriffsflächen im Bereich der Cyber Security. Speziell bei der kollaborativen Robotik kann eine Gefährdung der IT-Security schnell zu einer Bedrohung der funktionalen Sicherheit werden. Wird beispielsweise die Konfiguration eines Roboters von außen unautorisiert manipuliert, kann es dazu führen, dass das Sicherheitskonzept des Arbeitssystems ausgehebelt wird. Eine umfassende Risikobeurteilung hinsichtlich Safety und Security ist somit notwendig, um die physische Sicherheit des Arbeiters, die Verfügbarkeit der Produktionsressourcen und die Integrität und Vertraulichkeit sensibler Produktionsdaten auch dauerhaft zu schützen.

Kollege Roboter – Freund oder Feind?

Roboter und Mensch sollen sich nun einen Arbeitsplatz teilen – ganz ohne trennende Schutzvorrichtungen. Berührungen und leichte Kollisionen zwischen Mensch und Maschine werden hier bewusst in Kauf genommen und seitens Norm, wie erwähnt, auch ausdrücklich akzeptiert. Auch wenn man sich seitens Gesetzgebung auf der sicheren Seite weiß, bedeutet das nicht, dass die eigenen Mitarbeiter dem neuen Kollegen am Arbeitsplatz positiv gegenüber stehen. Trotz objektiv sicherer Arbeitsplatzgestaltung kann die enge Zusammenarbeit mit einem Roboter Angst vor Verletzungen bei den Mitarbeitern auslösen. Abseits der physischen Bedrohung durch die Maschine, lösen oft auch die Taktvorgabe und "Bevormundung" durch den Roboter Skepsis aus. Ultimativ steht teilweise auch die diffuse Angst um den eigenen Arbeitsplatz, wenn der Einsatz von Robotern – und sei es nur zur Unterstützung der Mitarbeiter – diskutiert wird. Schlussendlich kann die Technologie jedoch nur sinnstiftend eingesetzt werden, wenn die Mitarbeiter auch ihren Mehrwert erkennen und erfahren.

Eine rechtzeitige Einbindung der Mitarbeiter, idealerweise bereits beim Designprozess, ist hier erfolgsentscheidend. Spätestens bei der Implementierung und Einschulung muss auf die Ängste und Bedürfnisse der Mitarbeiter eingegangen und die Vorteile und Verbesserungen für jeden Einzelnen dargestellt werden, um den langfristigen Erfolg der Applikation sicherzustellen.

Fabian Ranz arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Produktions- und Logistikmanagement bei Fraunhofer Austria Research GmbH, Alexandra Markis ist Innovation Project Manager bei TÜV Austria Holding.