Luftfahrtindustrie : Luftraumsperren: Für Boeing tickt die Uhr - Airbus könnte profitieren

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© APA/dpa/Christian Charisius

Nach dem zweiten Absturz einer Boeing 737 MAX 8 innerhalb weniger Monate könnte Konkurrent Airbus von der Krise beim US-Flugzeugbauer profitieren. "Dauern die Flugverbote länger an als ein bis zwei Wochen, wäre das für Boeing schon bedenklich", sagt Klaus-Heiner Röhl, Luftfahrt-Experte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Schon jetzt liegt Boeing auf Kurz- und Mittelstrecken hinter Airbus.

Inzwischen sind alle Maschinen der Baureihe am Boden

Vor wenigen Tagen war eine Maschine des Typs "737 Max 8" der Ethiopian Airlines kurz nach dem Start in Addis Abeba abgestürzt, 157 Menschen kamen ums Leben. Erst im vergangenen Oktober war eine Lion-Air-Maschine des gleichen Typs vor der Insel Java verunglückt, damals gab es 189 Tote. Es ist höchst ungewöhnlich, dass binnen kurzer Zeit zwei Flugzeuge eines neuen Modells abstürzen.

Zum Fall:

Der Absturz einer Boeing und das System MCAS: Was derzeit bekannt ist

Zahlreiche Länder sperrten ihren Luftraum für Maschinen des betroffenen Typs. Mittlerweile sind den Daten der Internetseite FlightRadar24 zufolge weltweit alle Maschinen des Unglücksmodells am Boden. Zuletzt hatte auch die US-Flugaufsicht FAA ein Flugverbot für 737 Max-Maschinen erlassen, nachdem Europa und viele Länder rund um den Globus diesen Schritt gegangen waren. Das letzte Flugzeug dieses Typs landete am Mittwochabend sicher im kanadischen Halifax. Auch Russland erließ mittlerweile ein Flugverbot für diesen Maschinentyp.

Es trifft einen Verkaufsschlager von Boeing

Boeing ist weiter von der Sicherheit des Modells "737 Max 8" überzeugt. Der Mittelstreckenflieger ist die neueste Modell-Generation von Boeings Verkaufschlager 737 und ist bei Airlines sehr beliebt. Mehr als 5.000 Bestellungen hat Boeing eingesammelt, aber knapp vierhundert sind erst ausgeliefert.

Doch die Probleme des Hoffnungsträgers, der innerhalb weniger Monate sooft bestellt wurde wie kein anderes Boeing-Modell vorher, könnten den Flugzeugbauer vor allem langfristig belasten. Weiters dazu: Boeing 737 MAX: Großer Verkaufserfolg in Schwierigkeiten >>

Auslieferungen praktisch gestoppt

Kurzfristig sind die Auslieferungen nun praktisch gestoppt. "Welche Fluglinie will schon ein Flugzeug geliefert bekommen, das sie nicht nutzen kann", sagte ein Flugzeugfinanzierer, der nicht genannt werden wollte. Die Produktion in dem Werk bei Seattle geht aber weiter, weil ein Anhalten zu viele Verwerfungen in der Zulieferkette verursachen würde, erwarten Experten.

Boeing produziert 52 Flugzeuge im Monat, der Löwenanteil davon wohl das betroffene Modell. Eine genaue Zahl wollte Boeing nicht nennen. Die fertig produzierten Flugzeuge müssen nun erstmal bei Boeing gelagert werden. Analysten schätzen, dass das Flugverbot den US-Konzert jeden Monat 1,8 bis 2,5 Milliarden Dollar an Umsatz kosten könnte, auch wenn der sich vermutlich nur verschiebt.

Luftfahrt: 150.000 Dollar pro Flugzeug und Tag

Weltweit warten Fluglinien, Behörden und nicht zuletzt der US-Flugzeughersteller auf Aufklärung und Informationen, ob und wann die 737 Max-Maschinen wieder fliegen dürfen. Denn jeder Tag, an dem die Flugzeuge nicht eingesetzt werden können, verursacht bei den Airlines Kosten, weil sie Ersatzflugzeuge einsetzen und Piloten und Flugbegleiter umdisponieren müssen. Hinzu kommen Zahlungen an Leasingfirmen, die anfallen, auch wenn die Flugzeuge nicht fliegen, ebenso wie Kosten, um die Maschinen auf den Flugplätzen zu parken. Das alles könnte sich Schätzungen zufolge auf 150.000 Dollar pro Flugzeug und Tag summieren.

Flugverbote könnten Nachfrage beim Konkurrenten Airbus stärken

"Das kostet natürlich Vertrauen", sagt Röhl der AFP. Für Boeing drohen die Abstürze jetzt zum finanziellen Desaster zu werden, denn die 737 MAX 8 ist der Verkaufsschlager des Konzerns. Seit 2017 erhielt Boeing 5.111 Bestellungen für das Modell, 350 Maschinen lieferte der Konzern bisher aus. Viele Airlines warten laut Röhl auf Modelle, die vorerst nutzlos geworden sind. Der Billigflieger Norwegian Air Shuttle, der 18 Maschinen des Unglücksmodells besitzt, kündigte bereits Entschädigungsforderungen an. Der IW-Experte hält es für "nicht unwahrscheinlich, dass Fluggesellschaften zu Airbus wechseln".

A320neo verkauft sich jetzt schon besser als 737 MAX 8

Dabei verkauft sich das direkte Konkurrenzmodell A320 neo des europäischen Luftfahrtkonzerns mit 6.500 Bestellungen und 687 Auslieferungen seit 2016 ohnehin besser als die 737 MAX 8. "Airbus war einfach schneller im Markt und hat daher einen Vorteil", fasst Röhl zusammen. Boeing habe nur noch auf die A320-neo-Familie reagieren können. Dabei hätten viele Experten zunächst Zweifel gehegt, ob sich die alte 737-Serie wegen ihres kurzen Fahrwerks überhaupt würde modernisieren lassen.

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Tatsächlich musste Boeing die verbrauchseffizienteren, aber auch größeren und schwereren Triebwerke der neuen 737 MAX weiter vorne anbringen. Dadurch veränderten sich Aerodynamik und Schwerpunkt der Maschinen. Der Flugzeugbauer führte daraufhin das Flugkontrollsystem MCAS ein, das Strömungsabrisse verhindern sollte - und jetzt womöglich für die Abstürze verantwortlich gewesen sein könnte.

"Beim zweiten Absturz könnte zudem noch ein Pilotenfehler dazugekommen sein, wenn sich die Vermutung über die Absturzursache bewahrheitet", sagt Röhl. Denn nach dem Unfall vom Oktober habe Boeing die Piloten darüber unterrichtet, wie sich das System bei Fehlern außer Kraft setzen lasse. Es müsse jetzt geklärt werden, ob "die Flugzeugführer das nicht versucht haben oder ob es nicht funktioniert hat". In jedem Fall werde Boeing versuchen, die Probleme durch ein Software-Update zu beheben.

Trotzdem keine Gefahr für das weltweite Duopol

Dass sich jetzt ein dritter Anbieter in den Markt drängt und das Flugzeug-Duopol unter Druck setzt, hält Röhl allerdings für unwahrscheinlich. "Bombardier ist bei Airbus eingegliedert und der brasilianische Flugzeugbauer Embraer arbeitet mit Boeing zusammen", erklärt der Experte. Langfristig könnte höchstens die geplante russisch-chinesische Luftfahrtkooperation den beiden Marktführern gefährlich werden. (afp/reuters/apa/red)