Start-ups : Logistik-Start-ups: Ohne Hipster-Bart und Sabbatical im Valley

Logistik
© Adrian Almasan

Am „Zukunftskongress Logistik“, der vor wenigen Wochen in Dortmund abgehalten wurde, ist die Botschaft längst angekommen: „Man muss kein Sabbatical im Silicon Valley machen und sich einen Hipster-Bart wachsen lassen. Wir fahren mit einem Bus durchs Ruhrgebiet und schauen uns ein paar gute Beispiele für Logistik 4.0 an“, erklärte dort Michael Henker, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik, seiner erstaunten Hörerschaft. Statt sich in theoretischen Abhandlungen zu ergehen, sollte man lieber dorthin schauen, wo bereits an zukunftsfähigen Modellen gearbeitet wird: nämlich in der Start-up- und Gründerszene. Junge Menschen, die unbelastet und mit freiem Kopf an Problemfelder herangehen, bräuchte die etwas in die Jahre gekommene Branche wie einen Bissen Brot. Ideen wären gefragt, wenn bestehende Geschäftsmodelle auch morgen noch existieren sollen.

Das Marktpotenzial für Logistik ist enorm. Rund eine Billion Euro, so schätzen Analysten, liegt in Europa quasi auf der Straße. Mit Telefon, Fax und mehr oder weniger ambitioniertem Kundenverkehr werden bald schon keine relevanten Einnahmen mehr zu lukrieren sein.

Zu wenig Investitionsbereitschaft in Europa

Die Logistikbranche steht vor weitreichenden Veränderungen durch die Digitalisierung. Trotzdem geht ein Großteil der zentraleuropäischen Länder wie Deutschland und Österreich die Aufgabenstellung der digitalen Transformation nur zögerlich an, schreibt die Managementberatung Oliver Wyman in ihrer alljährlichen globalen Markt-Analyse. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten die etablierten Logistikdienstleister deshalb weit stärker, als das bisher der Fall ist, die Zusammenarbeit mit innovativen Start-ups ihrer Branche suchen.

In den USA hat man schon längst darauf reagiert. Allein 2017 wurden rund 3,5 Milliarden US-Dollar in Logistik-Start-ups gesteckt. Flossen diese Gelder in den vergangenen Jahren noch nahezu zur Gänze in Start-ups aus dem Umfeld der Personenmobilität, Uber, Flixbus etc., stehe nunmehr der Logistiksektor auf dem Plan der Investoren, so die Berater: Im Schnitt wird alle fünf Tage ein neues Logistik-Start-up gegründet. Das Problem dabei: Die Finanzierung erfolgt bis dato primär in den USA und Asien. Lediglich fünf Prozent der weltweit getätigten Investitionen in Logistik-Start-ups finden in Europa statt.

„Innovative Start-ups sind dabei, das klassische Speditionsgeschäft komplett zu digitalisieren. Sie fragmentieren die bisherigen Supply Chains und revolutionieren durch die Kombination einer bisher nicht gekannten Menge an Daten die Effizienz und Transparenz des Transportgeschäfts“, sagt Joris D‘Incà, Partner und Logistikexperte bei Oliver Wyman. Wenn die etablierten Anbieter nicht rechtzeitig auf die digitalen Geschäftsmodelle reagieren, könnten die agilen Start-ups schon bald zu einer realistischen Gefahr werden.

Mehr Bewegung in der DACH-Region

Die gute Nachricht lautet: In der alljährlich präsentierten, internationalen Studie von Oliver Wyman findet heuer erstmals die DACH-Region eine lobenswerte Erwähnung. Demnach erhöhte sich die Zahl der für die Logistik-Branche interessanten Start-ups im Vorjahr von knapp 40 auf nunmehr über 60 Jungunternehmer – für die gesamte Region, versteht sich. Österreich punkte dabei, so die Studienautoren, vor allem im Bereich Lagerlösungen, Online-Marktplätze und Hightech-Logistik, während man sich etwa in der Schweiz eher auf Software für Routenoptimierung und Hightech-Transportlösungen in Zusammenhang mit autonomem Fahren und Drohnen beschäftige. In Deutschland sei, größenbedingt, von allem, was die Branche aktuell bewegt, etwas dabei. Als ebenfalls erfreulich beurteilt man bei Wyman die Situation, dass nicht nur Risikokapitalgeber, sondern immer öfter auch international agierende Logistikkonzerne wie DHL und DR Schenker offensiv in Start-ups investieren, deren Fokus auf digitalen Lösungen liegt.

Aus Sicht der Managementberater ist es allerdings mit einer reinen Kapitalbeteiligung an Start-ups nicht getan. „Eine wesentliche Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Investition in Start-ups ist die Bereitschaft, das eigene Kerngeschäft radikal zu hinterfragen und in weiterer Folge zu digitalisieren. Start-ups sind gewissermaßen die Katalysatoren dafür“, sagt D’Incà. Für den gesamten Prozess der digitalen Transformation müsse eine Roadmap mit klaren Vorgaben und Zeitabläufen angelegt werden. Die Partner in den Start-ups könnten dabei als Ideenlieferanten für Lösungen und Talent-Pools mitwirken und Tempo machen auf dem Weg zur digitalen Logistik. Das INDUSTRIEMAGAZIN hat sich ein paar dieser Hoffnungsträger angesehen.

Logsta - Die KMU-Kümmerer

Logsta verspricht einfache Logistiklösungen für den Mittelstand.

Seit April 2017 unterstützt Logsta KMU und Start-ups in Österreich mit Kontrakt-Logistik-Leistungen. „Wir haben Logsta gegründet, weil uns aufgrund unserer früheren Tätigkeit bei namhaften Logistik-Unternehmen klar wurde, dass diese keine Plattform für klein- und mittelständische Unternehmen bieten. Für große Logistiker sind diese Unternehmen einfach nicht relevant, haben zu wenig Budget oder eine zu unsichere Auftragslage“, sagt Georg Weiß. Gemeinsam mit Christoph Glatzl hat Weiß beschlossen, diese Marktlücke zu füllen. Mittlerweile unterstützt Logsta über 100 Kunden in ganz Österreich bei der Abwicklung ihres Tagesgeschäfts. Die Leistungen umfassen: Lagerung im Bio-zertifizierten Lager, Kommissionierung, Versand, Packaging, Transport, Lager in den USA, individuelle IT-Tools zum Tracken der Bestellungen und des aktuellen Lagerbestands, kostenlose IT- Schnittstellen zum Online-Shop sowie Marketplace-Anbindung bei Amazon/ Ebay/Rakuten etc. www.logsta.at

Die „On-the-fly“-Frachtvermesser

Cargometer bietet die erste 3D-Vermessung von Ladegütern am fahrenden Stapler.

Lange Zeit wurden Ladungen gar nicht gemessen, sondern nur geschätzt. Das ging zwar schneller, Unternehmen verloren dadurch jedoch auch Geld – sei es durch eine falsche Tarifeinordnung oder weil die Lkw nicht immer adäquat ausgelastet waren. Das 2014 gegründete Wiener Start-up Cargometer hat eine Lösung entwickelt, mit der das Stückgut beim Passieren des Ladetores direkt auf dem fahrenden Gabelstapler mit einer 3D-Technologie vermessen werden kann. „Durch die Effekte der Frachtvermessung lassen sich nicht nur die Kosten, sondern auch die Emissionen reduzieren“, sagt Michael Baumgartner, Gründer und Geschäftsführer von Cargometer. Neuestes Projekt ist eine umfassende Kooperation mit Gebrüder Weiss. Nach einer erfolgreichen Pilotphase am Standort Maria Lanzendorf (Niederösterreich) will Gebrüder Weiss diese Technologie auf weitere europäische Standorte ausweiten. www.cargometer.com

Die Echtzeit-Tracker

MoonVision verspricht Objekterkennung mit Künstlicher Intelligenz.

Das Wiener Start-up MoonVision hat eine AI-basierte Technologie entwickelt, die Computern das Sehen beibringt. Mithilfe von Objekterkennung ist es möglich, Prozesse in der Industrie, der Gastronomie und im Handel zu automatisieren und damit zu vereinfachen. Seinen ersten großen Auftritt hatte das 2017 gegründete Start-up im Vorjahr am Münchner Oktoberfest. Dort wurden via „Dish Tracker“ Speisen in Echtzeit erfasst, gezählt und direkt an das Kassensystem weitergeleitet. Mittlerweile unterstützt MoonVision einen großen Hersteller von Gleitlagern dabei, seine Qualitätskontrolle zu automatisieren. Dafür wurde ein Modell darauf trainiert, brauchbare von unbrauchbaren Gleitlagern zu unterscheiden. Ein weiteres großes Projekt von MoonVision ist die Erkennung von Leergutbehältern für den Automobilhersteller Audi. https://moonvision.io

Der virtuelle 3D-Druck-Marktplatz

Mything will 3D-Druck und Laserschnitt in die Breite bringen – und Logistikkosten minimieren.

Nicht Produkte aus Massenfertigung über den Erdball schicken, sondern nur noch deren 3D-Daten, die dann lokal on demand mittels 3D-Druck erzeugt werden. So lautet die Vision des Grazer Start-ups mything.com. „Der klassische Produktions- und Distributionsprozess vom Entwurf eines Produktdesigners bis zum Eintreffen eines Produktes beim Kunden umfasst mit Transport und Lagerung sehr viele Schritte und geht über Wochen bzw. Monate. Wir schaffen es, diesen Ablauf auf wenige Schritte und Tage, in Zukunft sogar Stunden zu reduzieren“, sagt Florian Mott, CEO und Co-Founder von Mything. Mything ist ein Marktplatz für internationales, personalisierbares Design, das lokal, bei Herstellern in der Umgebung, 3D-gedruckt oder lasergeschnitten wird. Dass der 3D-Druck bereits in den kommenden Jahren den Massenmarkt erobern wird, steht für Mott außer Frage: „Laut einer Studie von Oxford Economics werden bis 2040 die Hälfte aller Konsumgüter lokal produziert werden.“ Derzeit ist Mything noch im B2C-Bereich (Schmuck, Wohnaccessoires etc.) aktiv, mittelfristig will man auf B2B erweitern. Ein Thema: der virtuelle Handel von Ersatzteilen via 3D-Druck. www.mything.com

Die E-Mobilitäts-Problemlöser

has.to.be verspricht die erste Gesamtlösung für den Betrieb von E-Ladestationen.

„Wir verstehen uns als Gesamtlösungsanbieter im Bereich der Elektromobilität“, sagt Alexander Kirchgasser, CEO und Gründer von has.to.be. Das 2013 in Salzburg gegründete Start-up begleitet seine Kunden von der Konzeptionierung bis hin zum vollständigen Betrieb komplexer Ladeinfrastrukturen. So etwa werden neben der softwareseitigen Überwachung der Ladestationen am Unternehmensstandort auch die Organisation der Zugangsberechtigung für Mitarbeiter inklusive dem vollständigen Abrechnungsprozess – plus Rückvergütung der Stromkosten für E-Dienstwagen von Mitarbeitern – erledigt. Mit seinem Produkt be.Energised sind die Salzburger mittlerweile in 26 Ländern vertreten. has.to.be beschäftigt 40 Mitarbeiter an drei Standorten, zu den Kunden zählt unter anderem As nag. Die Schnellladestationen, die künftig auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen flächendeckend zum Einsatz kommen sollen, sind ebenfalls mit der Softwarelösung von be.Energised ausgestattet. https://has-to-be.com

Der Selfstorage mit Mehrwert

Store.me bietet smarte Lagerstätten und durchgängig digitalisierte Abläufe für KMU.

„Storebox ist Europas modernstes Selfstorage. Wir haben alle Prozesse digitalisiert, von der Buchung über Verwaltung bis hin zum Kundenservice“, sagt Store.me-Geschäftsführer Ferdinand Dietrich. Aktuell ist das 2016 gegründete Start-up in Österreich und Deutschland aktiv. Betrieben werden 32 Standorte in Wien, St. Pölten, Linz, Salzburg, München und Berlin. Ein Lagerabteil ist mit wenigen Klicks online buchbar, bietet 24/7-Zutritt, ist videoüberwacht und versichert. Zusätzlich messen smarte Sensoren Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Mittelfristig will man das System perfektionieren. So könnten die Storeboxen mit einer individuellen Postadresse ausgestattet werden, an die man sich diverse Online-Käufe schicken lassen kann. Den Zeitpunkt der Abholung bestimmt der Storebox-Mieter selbst, das lästige Abklappern mehrerer Paketboxstationen würde wegfallen. www.store.me

Die Versand-Optimierer

byrd ist ein Full llmentpartner für die komplette E-Commerce-Logistik von KMU.

Mit dem Ziel, den 250 Jahre alten Prozess des Paketversands durch moderne Technologie zu transformieren, ist das Wiener Start-up byrd im Vorjahr angetreten. Mittlerweile agiert man als Logistikpartner für Unternehmen, die mit byrd einen Kurier anfordern, Verpackungswünsche spezifizieren, Shopsysteme anbinden und Sendungen bis zur Ankunft beim Kunden nachverfolgen können. Zudem können Waren eingelagert oder Großaufträge flexibel und transparent abgewickelt werden. „byrd hilft Händlern dabei, Geld, Zeit und Nerven zu sparen. Die können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und noch erfolgreicher verkaufen“, sagt Petra Dobrocka, Chief Marketing Officer von byrd. Zu den Kunden zählen Händler aus dem Lebensmittel-, Mode-, Interior-, Kunst- und Technologiebereich. www.getbyrd.com