Interview : Künstliche Intelligenz: Bleiben wir schlauer als Roboter, Herr Konrad?

Herr Konrad, Sie sind Neurowissenschaftler und zugleich mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport. Sie können sich Zahlen und Fakten in einem schwindelerregenden Tempo merken – im Computerzeitalter eigentlich eine ziemlich nutzlose Fertigkeit.

Wenn Sie das Merken von Zahlen an sich meinen, dann gebe ich Ihnen Recht. Das ist Sport und hat keinen praktischen Nutzen. Grundsätzlich halte ich aber die Fähigkeit, Dinge im Gedächtnis zu behalten auch in der heutigen Zeit für sehr hilfreich. Ein simples Beispiel: Wenn Sie im Vertrieb tätig sind und die Namen Ihrer Kunden samt ein paar persönlichen Details stets im Kopf haben, werden sie sympathischer wirken als jemand der erst einmal nachschlagen muss. Merkfähigkeit ist also auch in der Zeit der Digitalisierung ein wichtiges Asset. Ich merke aber, dass sie beängstigend abnimmt, vor allem seit es Smartphones gibt.

Innerhalb von wenigen Jahren kann sich die biologische Ausstattung des Menschen doch nicht so dramatisch verschlechtert haben.

Klar, wenn Sie evolutionäre Veränderungen meinen, dann sind die wenigen Jahre, seit den es Smartphones gibt, gar nichts. Aber neben evolutionären Entwicklungen gibt es auch das, was Neurowissenschaftler als die Plastizität des Gehirns bezeichnen, also die Tatsache, dass sich das Gehirn jedes einzelnen Menschen abhängig von den Erfahrungen, die er macht, verändert. Vereinfacht ausgedrückt: Verbindungen zwischen Nervenzellen, die nicht benutzt werden, verkümmern und dann nehmen die dazu gehörigen Fähigkeiten ab. Insofern ist es nur logisch, dass meine Merkfähigkeit abnimmt, wenn ich mich darauf verlasse, alles jederzeit nachschlagen zu können.

Solange ich nachschlagen kann, ist das ja kein Problem.

Doch. Denn die Art, wie ein Computer Informationen abspeichert und wie es der Mensch tut, sind grundlegend verschieden. Der Computer speichert die Information isoliert an einer Stelle ab, fertig. Damit diese Information mit anderen Informationen des Computers verbunden werden kann, muss dem Computer vorher ein entsprechender Befehl gegeben werden. Im Gegensatz dazu ist das menschliche Gedächtnis kein Ort, sondern eine Funktion. Deshalb verbinden Menschen neue Informationen automatisch mit jenen, die in ihrem Gehirn schon abgespeichert sind. Und je mehr Informationen in Ihrem Gedächtnis abgespeichert sind, desto mehr Verknüpfungen können Sie schaffen. Ein Hirn, in dem viele Informationen abgespeichert sind, denkt daher effektiver. Und es erkennt mehr Muster.

Es gibt allerdings Versuche, Computern im Rahmen von Künstlicher Intelligenz das Erkennen von Mustern beizubringen.

Ja, da sind im Moment die Grenzen aber immer noch recht eng. Sie können einen Computer heute so programmieren, dass er das Bild einer Katze vom Bild eines Hundes unterscheiden kann. Das wird er dann auch zuverlässig tun. Doch sobald sie ihm einen Luchs oder eine Hyäne zeigen, wird er damit überfordert sein. Dann müssen sie ihm extra beibringen, auch einen Luchs und eine Hyäne zu erkennen. Das heißt, der Computer kann zwar Muster erkennen, aber er tut sich derzeit sehr schwer mit dem Übertrag, der Anwendung seines Wissens auf andere als die bereits vordefinierten Situationen.

Wenn der Mensch einerseits das trainiert, was Computer ohnehin besser können, nämlich Daten zu speichern, und der Computer das lernt, was die große Fertigkeit des Menschen ist, nämlich Daten zu vernetzen: Wann werden sich menschliche und künstliche Intelligenz angleichen?

Sicher nicht so schnell, wie das manchmal prophezeit wird. Ich werde es sicher nicht erleben, dass KI das menschliche Gehirn ersetzt. Bei der exponentiell steigenden Rechenkapazität halte ich es aber durchaus für möglich, dass es irgendwann gelingt, das menschliche Gehirn vollständig nachzubilden.

Und dann haben wir einen KI-Klon, der alles kann, was der Mensch kann, der sogar die Fähigkeit zur Kreativität hat?

Ja, ein solches System könnte dann im gleichen Maß kreativ sein wie der Mensch, denn Kreativität ist eine Funktion des Gehirns. Bilden wir das Gehirn in einer Maschine vollständig nach, wird diese Maschine auch kreativ sein. Ob sie dann tatsächlich dem Menschen gleichzusetzen ist, ist aus meiner Sicht dennoch nicht klar. Denn immer noch bleibt die Frage des Bewusstseins. Wir wissen nicht, ob eine solche Maschine sich auch ihrer selbst bewusst wäre. Und wir können das auch nicht wissen.

Weil das Bewusstsein keinem bestimmten Ort im Gehirn zugeordnet werden kann?

Genau. Wir können zwar sehen, welche Hirnareale aktiv sind, wenn jemand autoreflexiv spricht oder denkt, aber daraus lässt sich keinesfalls ein konkreter Ort im Gehirn ableiten, den wir als den Sitz des Bewusstseins ansehen können. Wir wissen auch nicht, ob Bewusstsein eine Funktion des Gehirns ist oder nicht. Mittelfristig hätte ich aber ohnehin weniger Angst vor Cyborgs mit eigenem Bewusstsein, die sich zu einer Attacke auf die Menschheit zusammentun als vor der Verwendung von Künstlicher Intelligenz durch eine Gruppe Menschen gegen eine andere. Mit autonomen Waffensystemen gibt es diese Möglichkeit bereits, diese Gefahr ist real und dagegen sollten wir auftreten statt gegen Dinge, die vielleicht nie kommen werden.

https://youtu.be/gxcGhdVvTDc Video: Boris Konrad beim Science Slam in Hannover 2017