Unternehmensnachfolge : Hilti Treuhänder Pius Baschera: „Hat er wirklich Mut bewiesen?“

Pius Baschera ist Sprecher des Hilti Familientrusts. Kaum ein familienfremder Manager lebt die Werte des liechtensteiner Kult-Bohrmaschinenherstellers Hilti wie der gebürtige Schweizer mit italienischem Doppelpass. Als Leiter des Produktcontrollings stieg der heute 68jährige gleich nach dem Studium an der ETH-Zürich 1979 beim Maschinenbauer ein – 2007 erklomm er als Präsident des Verwaltungsrates (eine Mischfunktion aus Vorstand und Aufsichtsrat) den Olymp. Als enger Vertrauter des Gründersohnes Michael Hilti ist er mit dem Generationenwechsel im Sinne der Familie beschäftigt. INDUSTRIEMAGAZIN gab im Mai 2018 eines seiner raren Interviews.

Herr Baschera, das Modell Hilti ist für viele Unternehmer Vorbild, wenn es um die Nachfolgefrage geht. Seit 2006 ohne Familienmitglied an der operativen Spitze, scheint die Firma noch immer von den Grundwerten des Gründers geprägt. Stimmt diese Außensicht?

Ja, das hoffe ich doch. Der Gründer des Unternehmens, Martin Hilti hat in den 80er Jahren einen wichtigen Entscheid gefällt: Die Aktien des Unternehmens in einen Trust zu geben – und damit als Familie auf das Erbe zu verzichten. Der Trust hat drei Ziele: Alles tun, damit das Unternehmen langfristig erfolgreich ist. Alles zu tun, dass es der Familie Hilti gut geht. Und: Alles zu tun, damit auch die Interessen der Familie Hilti in sozialer und kultureller Natur erfüllt sind. Wobei die ersten beiden Punkte auf gleicher Stufe stehen.

Insofern unterscheidet sich das Modell Hilti nicht von unzähligen Familienstiftungen, wie sie auch in Österreich existieren. Wie stellt man bei Hilti sicher, dass sich auch die nachfolgenden Manager- und Eigentümergenerationen diese Werte weitertragen?

Die Treuurkunde hat umfassende Checks und Balances geschaffen. Die Treubegünstigten, also die Familienmitglieder in Direkter Linie des Gründers, Michael, Markus und Martin Hilti sowie erstmals jetzt auch eine Treubegünstigte in Dritter Generation, wählen Protektoren. Diese Protektoren, der Aufsichtsrat des Trusts, hat die Aufgabe sicherzustellen, dass die Treuurkunde eingehalten wird. Wenn gegen den letzten Willen des Gründers verstoßen würde, müssen diese Protektoren eingreifen. Protektoren sind derzeit zwei Familienmitglieder und drei familienfremde Personen. Die Administrativtreuhänder führen das operative Geschäft des Martin Hilti Family Trust.

Sie selbst sind als langjähriger Hilti-Verwaltungsratspräsident heute Sprecher des Teams dieser Administrativtreuhänder. Was ist ihre Aufgabe?

Wir Administrativtreuhänder wählen den Verwaltungsrat, also das Aufsichtsgremium des Unternehmens. Zu unseren Aufgaben gehört auch die Verbindung der Familie mit dem Unternehmen auf lange Sicht sicherzustellen. So bereiten wir derzeit den kommenden Generationenwechsel vor. Dabei beschäftigen wir uns auch mit der Möglichkeit, dass in den nächsten Generationen eventuell kein Mitglied der Familie Hilti im Top Management des operativen Geschäfts sitzen wird. Unsere Aufgabe für die nächsten vier bis fünf Jahre wird sein, entsprechende Prozesse aufzugleisen, um das Modell Hilti für die Zukunft fit zu machen.

Wie läuft dieser Generationenwechsel?

Wir überlegen sorgfältig, wer künftig der Sprecher der Familie sein kann bzw. wer mein Nachfolger als Sprecher der Administrativtreuhänder wird oder wie die Nachfolge für den jetzigen Chairman aussehen kann. Die good news sind: Wir haben in allen Bereichen Ideen.

Das sind ja jetzt noch zwei, drei Jahre…

(lacht) Ja, eher drei, vier. Wir investieren viel Zeit in das Thema Personalentwicklung, Beurteilung von Führungskräften, dem Sicherstellen, dass wir für jede Führungskraft jederzeit einen Nachfolger bereit haben. Wir sehen uns hier im Verwaltungsrat die Top 30 Führungskräfte des Unternehmens zwei Mal im Jahr genau an und diskutieren, wie haben die sich entwickelt. Was sind ihre Stärken und Schwächen? Wo kommen die weiter, wo nicht? Was sind ihre operativen Ergebnisse? Wie leben sie unsere Unternehmenskultur und unsere Werte? Wer sind ihre potentiellen Nachfolger?

Die Qualifikationskriterien für Führungspositionen bei Hilti sind bekannt hart. Wonach suchen Sie, wenn Sie sich um Manager umsehen?

Wir haben sehr klar definiert, welche fachlichen Kriterien für eine Top-Position bei Hilti vorliegen müssen. Aber fast noch wichtiger ist die Persönlichkeit der Kandidaten. Bescheidenheit, soziale Einstellung, Integrität, Teamorientierung, Mut, immer wieder neue Sachen zu probieren und daraus zu lernen. Lebt er unsere unternehmenskulturellen Werte?

https://youtu.be/nOlDaWgpjKg Das Hilti Werk im Vorarlberger Thüringen: Mittlerweile mehr Mitarbeiter als in Liechtenstein

Wie wird man Spitzenführungskraft in ihrem Unternehmen?

Im Fokus stehen eine Topleistung, Passion für Mitarbeiterentwicklung und Vorbild im Leben unserer unternehmenskulturellen Werte.

Das bedeutet, ihre eigentliche Aufgabe ist die Personalentwicklung?

Ja, wir sind überzeugt, gute Personalentwicklung muß ganz oben starten. Wir diskutieren im Verwaltungsrat sehr offen den Input aus der Konzernleitung zu den jeweiligen Führungskräften. Ein Vorgehen, dass wir schon seit vielen Jahren so machen.

Diese Vorgangsweise spiegelt sich auch auf den niedrigeren Ebenen. Werden eigentlich die Mitarbeiter selbst dazu gehört?

Nicht selbst, aber sie werden natürlich darüber informiert. Die Konzernleitungsmitglieder haben die Aufgabe die Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen mit ihren Mitarbeitenden im Vorfeld zu besprechen. Wir wollen, dass sich Mitarbeiter weiter entwickeln können, denn wir sind überzeugt davon, dass nur, wenn unsere Mitarbeiter persönlich wachsen können, auch das Unternehmen weiterwächst. Diese Parallelität im Wachstum ist für uns ganz entscheidend.

Ist denn jede Führungskraft bei Hilti sofort ersetzbar?

Niemand ist unersetzlich und eine gute Nachfolgeplanung gehört zu einem langfristig ausgerichteten Prozess dazu. Für all unsere sechs Vorstandsmitglieder inklusive ihrer direkten Reports – das sind in etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – haben wir einen Nachfolgeplan bereit. Wenn etwa unser CEO morgen ausfallen würde, könnten wir sehr schnell eine gute Nachfolge regeln.

Ein Tool ihrer HR-Strategie sind so genannte Teamcamps, Unternehmenskulturtrainings. Von ihnen bis zum neuen Vertriebsmitarbeiter in Singapur muß da jeder durch. Beschreiben Sie uns, was da passiert?

Diese Trainings finden alle zwei Jahre statt – und jede Führungskraft geht zwei Mal durch diese Team Camps. Einmal mit dessen Führungskollegen und einmal als Vorgesetzter mit seinem Team. Das ist ein zwei- bis dreitägiges Programm, in dem wir uns für die Zukunft des Unternehmens wichtige Themen wie z.B. unternehmerisches Denken oder Kundenorientierung etc. vornehmen. Diese operativen oder strategischen Themen kombinieren wir dann mit unseren unternehmenskulturellen Werten. Das Training startet immer mit einer Bestandsanalyse. Dazu haben wir einen grossen Spiegel aufgebaut, der das Thema „selbst in den Spiegel schauen“ symbolisieren soll. Da überlegen wir zum Beispiel: Vor 2 Jahren sind wir hier gestanden und haben uns für spezifische Aktivitäten committet. Was haben wir davon eingehalten? Was haben wir erreicht? Warum haben wir es nicht erreicht? Wo klemmt es? Diese Anfangsphase des Trainings ist sehr wichtig, da die Mitglieder des Teams, die diese Themen beeinflussen können, gemeinsam darüber sprechen.

Das klingt nach einer sehr persönlichen Angelegenheit…

Das ist es auch. Am Anfang war das eine schwierige Übung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren nicht offen, es geht dabei zum Teil um persönliche Dinge, was oftmals ein ungutes Gefühl erzeugt. Heute, nach all den Jahren dieser Trainings, sind die Diskussionen aber viel offener und direkter.

Was war das Thema ihres letzten Kulturtrainings?

Wir, der Verwaltungsrat, waren zuletzt vergangenen Juni für drei Tage in Vorarlberg und haben uns im Team Camp gefragt, wie wir mit dem steigenden Druck und der Arbeitsbelastung im Unternehmen umgehen sollen. Wir fragten uns, was können wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Hilfestellungen geben, um besser damit umzugehen. Daraus hat sich ein Kulturtraining mit dem Thema “Care & Perform“ entwickelt, dass das Thema „Achtsamkeit“ in den Mittelpunkt stellt. Diese Trainings beginnen immer ganz oben mit dem Verwaltungsrat und dem Vorstand und werden dann für alle 27.000 Mitarbeitenden weltweit ausgerollt.

Wer organisiert dieses aufwändige Prozedere?

Wir beschäftigen weltweit 75 Unternehmenskulturtrainer. Jede Organisation hat einen solchen Trainer, die wir Sherpa nennen, weil sie uns auf dieser Reise begleiten. Das sind Fulltime-Mitarbeiter, darunter sehr viele ehemalige Führungskräfte von Hilti, die sich für vier oder fünf Jahre committen, uns in der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur zu helfen.

Woher kommen diese 75 Sherpas?

Aus allen Bereichen. Das kann ein Abteilungsleiter in einem Werk sein. Ein Verkaufsleiter. Oder ein Entwicklungsleiter. Diese Mitarbeiter werden aus dem operativen Job herausgenommen, werden intensiv ausgebildet und führen ihre Tätigkeit dann für vier, fünf Jahre aus.

Welche Handlungen setzen Sie selbst um zu zeigen, das ist unsere Kultur?

Das geht nur über das Vorleben. Wenn die Kultur, zum Beispiel das Thema Bescheidenheit, nicht von der Familie Hilti über die Protektoren bis hin zum Management gelebt wird, warum sollen es dann die Mitarbeitenden machen? Als ich 1994 Vorstandsvorsitzender wurde, haben wir entschieden, dass wir in unserem Headquarter in Liechtenstein vor jeder Vorstandssitzung 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Frühstück einladen. Alle Bereiche, vom Lager über die Produktion bis zum Marketing. Ausgewählt mit dem Zufallsprinzip über den Computer. Das nennen wir „Gipfeltreffen“ – weil die Croissants in der Schweiz auch ‚Gipfel‘ heißen. Jeder stellt sich in der Runde kurz vor, anschließend wird etwas geplaudert z.B. aus welchem Bereich bist du? Aus welchem bist Du…? Und dann öffnen wir den Kreis für Fragen.

Sind sie denn per Du mit ihren Mitarbeitern?

Nein. Die Du-Kultur ist zwar bei uns in Liechtenstein ausgeprägt. Trotzdem duze ich nicht automatisch. Aber worauf ich eigentlich hinaus wollte: Es bedarf Committment, wenn sich das Management monatlich den Mitarbeitern direkt stellt. Wir hätten diese Stunde oft auch anders brauchen können, haben über all die Jahre die Gipfeltreffen nie abgesagt und immer durchgeführt. Und es bedarf Mut, einer unserer kulturellen Werte, wenn ein Lagerarbeiter einen Vorstand in so einer Frühstücksrunde ehrlich auf seine oder ihre Probleme anspricht. Da kamen Fragen an uns, die waren nicht immer angenehm. Diese Gipfeltreffen haben ganz stark zum Abbau der gefühlten Hierarchie bei uns beigetragen.

Wie kontrollieren Sie die Effizienz ihrer doch recht aufwändigen Maßnahmen?

Wir reden in diesem Zusammenhang nicht über Kosten, sondern immer über Investitionen, von der wir zutiefst überzeugt sind. Für diese Trainings investieren wir zwischen sieben und zehn Millionen Euro jedes Jahr. Mit unseren rund 27.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind das fast 40.000 Trainingstage pro Jahr - ein sehr großes Investment, aber der Payback ist fantastisch.

Und wie ist dieser Payback?

Wir sehen das unter anderem über unsere Fluktuationsrate. Da liegen wir deutlich tiefer als unsere Mitbewerber. Wir messen es aber auch jedes Jahr mit unserer Befragung zur Mitarbeiterzufriedenheit. Diese ist freiwillig und anonym – trotzdem beantworten gut 92 Prozent unserer 27.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die rund 100 Fragen. Wenn man weiß, dass selbst erfolgreiche Unternehmen da kaum über zwei Drittel an Teilnehmerrate kommen, sieht man, dass sich diese Investitionen lohnen.

(Dieser Artikel erschien in der Juni Ausgabe 2018 von INDUSTRIEMAGAZIN).

https://youtu.be/XuyFGaqwY8o Video: 75 Jahre Hilti - vor zwei Jahren hat man in Liechtenstein Jubiläum gefeiert.