ZKW : Gangnam Style

Der Wieselburger Licht- und Elektroniksystem-Spezialist ZKW ist verkauft. Der südkoreanische Elektronikkonzern LG übernimmt das derzeit wahrscheinlich innovativste Unternehmen Österreichs zu einem Preis von 1,1 Milliarden Euro. 70 Prozent der Anteile übernimmt die Spartentochter LG Electronics, die restlichen 30 Prozent die Konzernholding LG Corporation. Die ZKW-Geschäftsführung hat die Belegschaft nach eigenen Angaben unmittelbar nach Abschluss der Gespräche informiert. „In Wieselburg waren rund 1.800 Mitarbeiter anwesend und es gab großen Applaus“, wird ZKW- Pressesprecher Roland Wöss von der APA zitiert.

Gewissheit

Es war wohl auch Erleichterung, die aus dem Beifall sprach. Die ZKW-Belegschaft in Wieselburg und Wr. Neustadt wurde über Jahre mit Verkaufsgerüchten und Vorstan-Dementis eingedeckt, ohne dass ihnen reiner Wein eingeschenkt worden wäre. Übrig blieben angesichts der Kommunikationspolitik nur Gerüchte. Endlich herrscht in Wieselburg Gewissheit.

Die Archive sind voll mit den Aussendungen und Stellungnahmen, in denen die ZKW-Geschäftsführung Verhandlungen in Abrede stellte. Als das INDUSTRIEMAGAZIN im November berichtete, dass die Gespräche zwischen LG und ZKW in einer finalen Phase seien und der Kaufpreis „nochmals spürbar“ über eine Milliarde Euro gewandert sei, gab es wütende Entgegnungen. Bei der Weihnachtsfeier betonte Armin Schaller, ZKW-Holding-Vorstand und einer der Verhandlungsführer, in seiner Rede vor mehr als 1.000 Mitarbeitern, dass es keine Verkaufsgespräche gäbe. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass dies zu diesem Zeitpunkt auch stimmte. Denn die Gespräche waren im Dezember und Jänner zu einem Stillstand gekommen, als LG ob des stolzen Preises kalte Füße bekam. Als das INDUSTRIEMAGAZIN schließlich im Februar vom Abbruch der Verhandlungen schrieb, regnete es erneut heftige Dementis. Noch heute findet sich auf der ZKW-Homepage eine Entgegnung, in der die Berichte als „schlichtweg erfunden“ bezeichnet werden.

Wiederaufnahme der Verhandlungen

Die neuerliche Berichterstattung im Februar fiel, so heißt es aus Kreisen im Unternehmen, just in eine Phase, in der die Koreaner wieder Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten. Das strategische Interesse an einem automotiven Leitbetrieb in Europa obsiegte über die betriebswirtschaftlichen Bedenken, in denen 1,1 Milliarden Euro in den Augen automotiver Mitbewerber als Kaufpreis sehr teuer scheinen. Die Aufteilung des Kaufpreises zwischen Tochterunternehmen LG Electronics und der Holdingmutter LG Corporation machte den Preis letztendlich für den Gesamtkonzern leichter tragbar. Dem Vernehmen nach wehrten sich die die Koreaner auch gegen die Beschäftigungsgarantie für das Management, während die Standort- und Jobgarantie für die Belegschaft weitgehend akzeptiert wurde.

Sicher ist: Öffentliche Zweifel am Unternehmenswert konnte das ZKW-Management zu dem Zeitpunkt gar nicht gebrauchen. Ein kleines Indiz dafür, dass heimische Nachrichten über den Pazifik strahlten, zeigte sich auf der Zugriffsstatistik von INDUSTRIEMAGAZIN. In der Nacht nach Erscheinen des Artikels stiegen die Zugriffe zwischen 2 und 6 Uhr in der Früh auf fast eintausend pro Stunde – ein Vielfaches der sonst um diese Tageszeit üblichen Frequenz. In der überwiegenden Mehrheit kamen die IP-Adressen aus Südkorea.

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Comeback-Versuche

Die Verhandlungsschwierigkeiten zwischen LG und ZKW kamen auch anderen Interessenten zu Ohren. So stieg die B&C-Industrieholding erneut in den Ring. Der österreichische Mehrheitseigentümer von AMAG, Lenzing und Semperit hatte sich im Sommer 2017 von den Verkaufsverhandlungen ob der hohen Preisvorstellungen zurückgezogen. Als das Gerücht der ausgesetzten Verhandlungen die Runde machte, witterte B&C Morgenluft: Sie deponierten bei Rothschild Global Advisory, dem M&A-Berater von ZKW, ein verbessertes Angebot mit flexibleren Bedingungen. Der Deal: B&C übernimmt zwischen 30-50,1 Prozent der ZKW-Holding, wobei der Verkäufer entscheidet, wie viel er abgeben möchte. Der Preis der Anteile hätte sich an der mit LG verhandelten ZKW-Bewertung orientiert. Anders formuliert: Die Österreicher hätten für ihre Anteile das Gleiche wie die Koreaner geboten, aber dafür maximal nur die Hälfte plus eine Aktie des Unternehmens abgenommen. Der Rest der Mommert-Anteile hätte dann so rasch als möglich über einen Börsengang platziert werden sollen, der freilich mindestens ein Jahr Vorbereitungszeit gebraucht hätte.

Voller Erfolg

Die Wieselburger Verhandlungsführer traten dem österreichischen Angebot nicht näher. Sie blieben bei ihrer Verhandlungsstrategie: Verkauf von 100 Prozent zu ausverhandelten 1,1 Milliarden Euro sowie weitreichende Garantien für Standorte, Mitarbeiter und Management. Und sie waren damit erfolgreich. Dabei war auch das B&C-Offert von Nutzen. Es baute in den Schlussverhandlungen noch reichlich Druck auf die Koreaner auf: Die Wieselburger verfügten wieder über einen Plan B. Für die Koreaner hingegen gab es kein Zurück mehr: Sie hatten bereits zu viel Zeit investiert. Für die Umsetzung ihrer Expansionsstrategie war der Aufbau eines neuen Leitunternehmens für den automotiven Bereich keine Option.

Neue Entwicklungsphase

Aus strategischer Sicht war der Verkauf von ZKW keine Überraschung. Nicht umsonst umwölkten seit zwei Jahren ständige Verkaufsgerüchte das Wieselburger Unternehmen. Es war für alle interessierten Beobachter unübersehbar, dass der heute 77-jährige Ulrich Mommert altersbedingt ein Interesse hatte, sein Lebenswerk zu sichern. Dass er dabei auch noch auf seine Rechnung kommen wollte, ist legitim. Zum anderen findet sich ZKW in einer strategischen Position, in der die Zukunft hohe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen fordern wird. Das Zeitalter des Autonomen Fahrens steht vor der Tür. Licht- und Beleuchtungssysteme werden zu Augen und Sensoren des Fahrzeugs. Aus einem bereits hochentwickelten Autoscheinwerfer werden in Zukunft sensible Kamerasysteme, die Aufnahmen in Softwarebefehle übersetzen und dem Autopiloten mitteilen, was sich rund ums Auto abspielt. Dafür sind Entwicklungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz notwendig, die alles sprengen, was einem Beleuchtungssystem-Hersteller bisher abverlangt wurde. Unter diesen Voraussetzungen scheint die Einbettung des Wieselburger Unternehmens in einen global agierenden Konzern mit hoher IT-Kompetenz schlüssig.

Newcomer im Autogeschäft

LG ist im weltweiten Geschäft der Autozulieferer vergleichsweise ein „Greenhorn“, wie ein Analyst über den bisherigen Telefon-, Haushalts- und Unterhaltungselektronik- Spezialisten aus Südkorea spöttelt. 2011 hatten die Südkoreaner den Aufbau einer weltweiten Automobil-Zuliefersparte beschlossen, die deutlich margenträchtiger als das angestammte Feld der Consumer-Produkte ist. Dabei wollen die Koreaner die Chancen der digitalen Mobilität nutzen: Neben dem Autonomen Fahren gelten E-Cars als vielversprechendes Geschäftsfeld. Derzeit zieht das Schwesterunternehmen LG Chem im polnischen Breslau Europas größte Fabrik für Lithium-Ionen-Elektroautoakkus hoch, das im Endausbau Batterien für 300.000 Autos pro Jahr fertigen soll. Das Manager Magazin schreibt von einem Investitionsvolumen von 1,4 Mrd. Euro. LG meint es ernst.

Ausbau geht weiter

Das Management in Wieselburg genießt das Ende der zweijährigen Verhandlungsphase mit ihren Verschwiegenheitsklauseln. ZKW wird innerhalb des LG-Konzerns als Kompetenzzentrum für Lichtsysteme agieren. Geschäftsführer Oliver Schubert spricht von „einem Unternehmensverbund mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten“.

Während LG vor allem koreanischen und japanischen Autoherstellern zuliefert, sind die Niederösterreicher gut im Geschäft mit den Europäern. Aktuell ist das Unternehmen auf der Suche nach neuen Standorten. Nach dem erfolgten Ausbau an den österreichischen Standorten Wieselburg und Wiener Neustadt werden die Produktionsstätten in der Slowakei, in Mexiko und China erweitert. Ein neues Werk in Europa sei in Planung, erzählte Schubert gegenüber der APA. Die Standortauswahl sei im Laufen: In China suche man ebenfalls Platz für ein neues Werk. Operativ sind die Pläne für die kommenden Monate mit dem neuen Eigentümer abgestimmt. Wie bei jeder Übernahme bleibt unter den Beschäftigten die Frage, wie weit sich die tägliche Arbeit ändern wird. Koreanische Referenzprojekte in Österreich fehlen.