Digitalisierung : Die Digitalisierung der Metallbranche

Metall digital Himmelfreundpointner
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Es ist ein Projekt der Superlative. Auf 4.200 Quadratmeter Fläche wird das Zentrum für Digitalisierung, das der Maschinenbauer Fill in Gurten errichtet, anwachsen. Nicht mehr lange und das Zehn­-Millionen-­Euro­-Investment der Innviertler darf beginnen sich zu rechnen: „Wir fahren in ein paar Monaten schrittweise die Fertigung hoch“, erzählt CTO Alois Wiesinger. Drei Hallen stehen dann für zusätzliche Produktions-­ und F&E-­Kapazitäten bereit. An neuen Technologien wird in der Future Zone geschraubt und 150 neue Jobs entstehen. Das passt in den Kontext. Allein an drei EU-Projekten mit Fokus auf IoT war Fill zuletzt beteiligt. Und mit Daten wissen die Innviertler einiges anzufangen. Beim neuen Bearbeitungszentrum (SYNCROMILL h21-63/500) – speziell für die Bearbeitung von Rahmenstrukturbauteilen wie Längsträger, Querträger und Verbindungsträger aus Profilen oder Druckguss entwickelt – setzt man in einer Pilotphase auf eine besondere Steuerungstechnologie: Mit ihrem digitalen Zwilling liefert die Siemens­-Steuerung Sinumerik One das Schlüsselelement für die virtuelle Simulation von Prozessen. Fill ist einer der handverlesenen Entwicklungspartner des Projekts – immerhin die größte Big-­Data-­Initiative Europas. Künftig sei geplant, alle synchromill­-Modelle mit einheitlichen Softwaremodulen anzubieten. „Beginnend bei der Arbeitsvorbereitung über die internen Abteilungen für NC-Programmerstellung und ­-optimierung könnten eine Reihe weiterer Anwendergruppen vom digitalen Zwilling profitieren“, so Markus Gadringer, Produktmanager KC Metallzerspanungstechnik. Es gelte nun, die Geschäftsmodelle für die digitalen Produkte im Detail auszuarbeiten, so die Botschaft aus Gurten.

Lohnfertiger im Datenstrom

Die Innviertler Gemeinde und die südoststeirische Ortschaft Glojach trennt räumlich mehr als ideologisch. Wie die Innviertler hat auch der CNC-Auftragsfertigungsbetrieb Resch seine Hausaufgaben bei der Nutzung digitaler Fertigungsdaten gemacht. Auch wenn Geschäftsführer Ge­rald Resch, der neue Technologien wie Metall­-3D-­Druck wie selbstverständlich evaluiert, den Ball flach hält: Digitalisierung sei stets ein Hilfsprodukt, sagt er. Seine Mitarbeiter seien das Asset, Technologien dürften aber gerne ihre Arbeit einfacher gestalten, so der Fertigungsprofi. Und auch gern die des Chefs. Dank einer CAM-­Software, einer rechnergestützten Steuerung und Überwachung von Produktionsabläufen, sehe er von seinem Bürorechner aus, zu wie viel Prozent Kundenaufträge bereits abgearbeitet seien. Keine unwesentliche Information, die von der Software preisgegeben wird – schließlich starte man in der Werkstätte „fast jede zweite Stunde ein neues Fertigungslos“, erklärt Resch.

Und Resch nutzt auch die Vorzüge eines Ressourcenplanungstools, das ihm von der Grazer ERP­-Schmiede Future Factory auf seine Anforderungen zugeschnitten wurde. Langt ein Angebot ein, wird automatisiert der Auftrag angelegt, ehe die betreffenden Maschinen in der Fertigung adressiert werden. Schon früher war Resch der Wert von Daten bewusst – Einstellparameter wurden anfangs noch manuell dokumentiert und werden heute softwaregestützt noch intensiver genutzt. Dass Resch bei der Digitalisierung zurückschraubt, davon ist nicht auszugehen. Dafür sorgt schon der Nachwuchs: Seine beiden Söhne haben Ausbildungswege in der Computertechnik und der Elektronik gewählt – Wissen, das der Senior anzapfen will.

Intelligente Belegung der Werkzeugmagazine

„Für CNC­-Lohnfertiger stellen sich Digitalisierungsaufgaben vorrangig in der Arbeitsvorbereitung, der Produktion und der Zerspanung mit Werkzeugmaschinen“, heißt es beim Industrieelektronikhersteller Siemens. Es werde „dort praktisch ständig auf Sicht gearbeitet“. Tools, um aus den verfügbaren Daten mehr zu machen, gibt es im Siemens­-Portfolio einige. Der Klassiker: Um einen Überblick über Leistung und Auslastung der Maschinen zu erhalten, können Werker aus der NC­-Steuerung OEE-­Kennzahlen auslesen. Auch die Zuordnung der Kennzahlen zu Aufträgen ist über ein Tool der Sinumerik ­Integrate­ Suite (Analyze MyPerformance) möglich. „Das gibt Bedienern die Möglichkeit, während der Schicht online exakte Angaben zum Status eines Auftrags zu erhalten“, erklären die Deutschen. So lasse sich blitzschnell auf Maschinenstörungen reagieren und die Verlagerung von Teilen mit hoher Priorität an andere Maschinen umsetzen. Auch bei Systematiken zur Belegung von Werkzeugmagazinen sind Daten gut wie Gold. Ein Siemens-­Tool (Manage MyTools) erlaubt den automatisierten Abgleich des Werkzeugbedarfs für einen vorliegenden Fertigungsauftrag mit dem Werkzeugbestand etwa einer ganzen Fabrik.

Spannfutter mit Köpfchen

Im Bereich IoT­-fähiger Lösungen ebenfalls in einer bereits komfortablen Position ist Richard Gierlinger. Die umsetzungsstarke F&E­-Abteilung des nördlich von Stuttgart beheimateten Spannlösungsherstellers Hainbuch macht es dem Österreich­-Chef des Unternehmens recht leicht, mit digitalen Lösungen für das Spannen von Werkstücken wie Wellenteilen ab drei Millimetern aufwärts zu reüssieren. So brachten die Deutschen bereits im Jahr 2007 ein intelligentes Spannfutter (TO­ Plus IQ) auf den Markt. Damals sei die Zeit freilich „noch nicht zur Gänze reif dafür“ gewesen, erinnert sich Gierlinger. Heute werden die digitalen Features von den Kunden, die keine Stangenware wünschen, sondern stets individuell auf ihre Anwendungen zugeschnittene Lösungen, gerne angenommen. Etwa die Funktion der Temperaturmessung über das Spannfutter. „Der Trend zur Trockenbearbeitung, der höhere Temperatureinträge ins Werkstück gegenüber dem klassischen Kühlen und Schmieren mit sich bringt, ist dafür sicher mitentscheidend“, sagt Gierlinger. Auch die Spannkraft, die auf das Werkstück einwirke, lasse sich neben klassischen Parametern wie dem Durchmesser zu Dokumentationszwecken oder für Analysen mit einigen wenigen Schritten „auf den Computer übertragen“, heißt es bei Hainbuch. Und – für kleine CNC­ Lohnfertiger nicht minder spannend–: Statt mittels Drucksensor und Sperrluft sei nun elektronisch zu überprüfen, ob ein Werkstück wie vorgesehen am Anschlag liege. „Ein viel eleganterer Prozess“, erklärt Hainbuch­-Geschäftsführer Gierlinger begeistert.

Online-Messungen im Kommen

Stärker in die Daten wühlt sich auch der Wälzlagerhersteller Schaeffler. Sensorisierte Lager sind bei den Deutschen gut eingeführt, man legt bei Systemen zur Zustandsüberwachung nach. Und zwar, wie der Hersteller versichert, im unteren – also mittelstandsfreundlichen – Preissegment. Die neue Lösung (Optime) automatisiert die Zustandsüberwachung indirekt prozesskritischer Aggregate in Produktionsanlagen und soll diese wirtschaftlicher machen. Und das – im Extremfall – gleich über ein ganzes Produktionswerk. Über ein eigenständiges Mesh­-Netzwerk kommunizieren die kabellosen, batteriebetriebenen Schwingungssensoren Vibrations-­ und Temperatur­-Rohdaten sowie KPIs aller Aggregate einer Produktionsanlage an den Schaeffler-­IoT­-Hub. Dort analysieren Algorithmen die Daten automatisiert. „Die Ergebnisse werden in der zugehörigen App verständlich und für alle Nutzergruppen in unter­ schiedlichen Ansichten dargestellt“, heißt es bei Schaeffler. Gegenüber Offline­-Messungen verspricht der Hersteller Einsparpotenziale von rund 50 Prozent. Für die Ablauforganisation eines Unternehmens hat die hohe Datenqualität Folgen: „Großzügigere Vorwarnzeiten und Handlungsempfehlungen machen es Instandhaltern leicht, Wartungsmaßnahmen, Personaleinsatz und Ersatzteilbeschaffung zu planen“, so die Deutschen.

Digitales Formblatt sorgt für Planbarkeit

Mit rund 200 Anlagen inklusive der Prüf-­, Wasch-­ und Montagearbeitsplätze – davon 160 CNC­-Maschinen – auf 17.000 Quadratmetern Produktionsfläche: Führt Heinz Himmelfreundpointner Kunden durch die Hallen des gleichnamigen CNC­-Auftragsfertigungsbetriebs in Wels, bekommen sie einen recht genauen Eindruck davon, was es heißt, mit extremer Fertigungstiefe am Markt positioniert zu sein. Die tägliche Fertigungskapazität im Dreischichtbetrieb liegt bei mehr als 4.500 Stunden – diese im täglichen Betrieb noch effektiver ins Spiel zu bringen, war jetzt Teil eines Projekts der Welser, die bei der Produktion von komplexen Bauteilen für vielfältige Branchen (darunter Automobil, Zweirad, Logistik, Agrar, Heizung, Bahn und Luftfahrt) im Raum Oberösterreich wohl so etwas wie eine Hausmacht sind. Maßgeblich vorangetrieben hat das Projekt Patrick Lackner, der Digitalisierungsexperte im Haus. Nachdem der Chef, Himmelfreundpointner, und Wolfgang Brandstätter, der kaufmännische Leiter, zuletzt für neue Anlagentechnik oder Maßnahmen der Arbeitsorganisation wie KVP und 5S Budgets freigegeben hatten, kam vor etwa einem Jahr ein neues Vorhaben dazu: Ein eigenentwickeltes, digitales Formblatt auf Basis eines Datenbanksystems, das schon bei der Angebotslegung allen Abteilungen „von der Arbeitsvorbereitung bis zur Warenauslieferung eine Kalkulation über die Machbarkeit und bestmögliche Abwicklung eines Auftrags erstellt“, erklärt Lackner. Heute ist das Tool, das sich auch Daten aus dem ERP-­System der Welser zunutze macht, gut eingeführt. „Über Tausend Anfragen wurden damit schon effizienter abgewickelt“, heißt es bei Himmelfreundpointner. Die Arbeitsvorbereitung etwa gewinne nun Zeit, die Laufzeiten der Bearbeitungszentren zu simulieren und nicht nur grob zu überschlagen – das gebe Sicherheit. „Unsere Kunden erhalten somit noch treffsichere Angebote, da etwaige Risiken vorweg abgewogen, kalkuliert und kommuniziert werden“, erklärt Wolfgang Brandstätter.

Bei alledem nicht überraschend: dass die Welser bereits das nächste Projekt in den Startlöchern haben. Qualitätsdaten, die unmittelbar an den Fertigungsanlagen mithilfe von Präzisionsmessgeräten von den Bauteilen entnommen werden, sollen für Soll­-Ist­-Vergleiche schon bald visuell ansprechend aufbereitet für Mitarbeiter auf einem Bildschirmterminal aufscheinen und die Produktqualität weiter erhöhen. „In rund zwei Jahren soll es so weit sein“, meint Patrick Lackner.

Neue Geschäftschancen

Längst verändern sich auch die Geschäftsmodelle bei der Maschinen-­ und Metallware. So interpretiert der Innviertler Maschinenbauer Fill die digitalen Möglichkeiten auf ziemlich originelle Weise: In der Cloud bietet man Kunden über ein verteiltes SQL­-Datenbankverwaltungssystem neue Services. So etwa können die Innviertler für ihre Standardbearbeitungsmaschinen (synchromill) einen Datenkatalog bereitstellen, aus dem Automobilkunden Services wählen. Zugleich aber hat Fill unter der Marke Cybernetics weitere Softwareprodukte vorgestellt. Fill Cybernetics verbindet sich zu allen Maschinen einer Fabrik und erweitert diese um intelligente Algorithmen. Dadurch werden Profitabilität und Qualität des gesamten Produktionsablaufs gesteigert. Zugleich werden Produktions­ und Prozessdaten erfasst und aufgezeichnet. Das bringt den Vorteil einer lückenlosen Bauteilrückverfolgung. „Plattformunabhängige Dashboards sorgen für Übersicht und ermöglichen detaillierte Analysen von Produkten und Maschinen“, heißt es in Gurten. Cybernetics Produce ist seit 2018 verfügbar und bereits vielfach im Einsatz. Cybernetics Analyze hätte den Launch für die synchromill auf der AMB in Stuttgart, die aber nun abgesagt ist.