Retrospektive : Der verwaltete Anstand

INDUSTRIEMAGAZIN Cover März 03 2013
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Die Überraschung war groß, als im Dezember die Einladung zu Christian Konrads traditionellem Sauschädelessen durch die Republik flatterte. Seit zwanzig Jahren versammelt der ehemalige Raiffeisen-General am ersten Werktag nach den Heiligen Drei Königen die Wirtschafts- und Politikelite des Landes zum geselligen Beisammensein. Zum ersten Mal fand sich heuer ein Satz auf dem Kärtchen, der von zwei Strafrechtlern ausgetüftelt wurde: "Von jedem Teilnehmer wird ein den Kosten des Empfangs entsprechender Betrag von 30 Euro eingehoben", hieß es da. Um jeglichen Anschein der Klüngelei auszuschließen, ließ der begnadete Netzwerker heuer erstmals den Klingelbeutel reichen. Gleich beim Eingang in den Festsaal der Raiffeisenzentrale wurde jedem Geladenen der Obolus abgeknöpft. Über mehreren Flaschen Grünem Veltliner war der Tenor an diesem Abend klar: Als ob man mit solch einem Unkostenbeitrag Absprachen und Mauscheleien den Garaus machen könnte. Freilich: Was die Anwesenden zu später Stunde so flapsig bemängelten, sagen sie öffentlich lieber nicht – schließlich möchte niemand in den Verdacht geraten, der Korruption, dem Filz, der organisierten Unanständigkeit das Wort zu reden.

Ein Aufbegehren

Das Thema ist heikel. Die Kritik kommt daher oft hinter vorgehaltener Hand – oder im engen Kreis. Doch aller Zurückhaltung zum Trotz: Die Front jener, die gegen den Compliance-Druck in Unternehmen aufbegehren, wird immer breiter. Nicht nur Industrielle, auch Wirtschaftswissenschafter, ja sogar Vertreter der Compliance-Zunft selbst warnen: Wer jede Essenseinladung, jeden Kugelschreiber, jede verschenkte Theaterkarte als ersten Schritt in die Bestechlichkeit sieht, verkehrt Compliance in ihr Gegenteil: in eine Fassade, die bloß vorgibt, unsaubere Praktiken zu unterbinden. Doch die Kritik geht noch viel weiter. Die angelsächsische Idee, Risiko im Unternehmen durch standardisierte Prozeduren und Verbote zu minimieren, ist längst pervertiert. Der allgemeine Mainstream zwingt Unternehmen eine aufgeblähte Compliance-Administration auf, die teuer und ineffizient ist. Eine ständig neue potenzielle Risken identifizierende Compliance-Maschinerie drängt der Industrie eine stetig wachsende Checklisten- und Berichterstattungs-Bürokratie auf, die Kreativität und zwischenmenschliche Komponenten im Geschäftsleben behindert. Die administrierte Anständigkeit ist nichts als Scheinmoral, die wahre Schweinereien im Geschäftsleben nicht verhindert, sondern lediglich verdeckt.

Enron, Worldcom und die Verbotskultur

"Beim Thema Compliance habe ich oft das Gefühl, dass nur an den kleinen, unwichtigen Schrauben gedreht wird, ohne den tatsächlichen Ursachen auf den Grund zu gehen", sagt Georg Knill, Eigentümer und CEO des Maschinenbauers Knill Technologies. Und er scheut nicht, ein überaus hartes Beispiel nachzulegen: "Was ist eines der nach wie vor florierendsten Geschäfte der Welt? Der Drogenhandel. Völlig illegal. Und trotzdem schaffen es Drogenhändler, unglaubliche Summen rund um den Globus zu verschieben. Obwohl es im Finanzbereich unzählige Governance-Maßnahmen, Compliance-Regeln und natürlich auch Gesetze gibt, die genau das verhindern sollen."

Es ist ein US-amerikanischer Trend, der infolge der großen Bilanzskandale von Enron und Worldcom in den späten 1990er Jahren seinen Anfang nahm – und der sich weltweit verstärkt. "Bei US-Unternehmen findet sich noch eine viel stärkere Compliance-Orientierung als bei europäischen Unternehmen", sagt Michael Aßländer, Universitätsprofessor und Gründungsvorstand im Österreichischen Netzwerk Wirtschaftsethik. Mittels freiwilliger Verhaltensregeln (Corporate Governance) und der Kontrolle der Einhaltung derselben (Compliance) werde versucht, das Risiko von unternehmerischem Fehlverhalten zu minimieren. "Man setzt statt auf die Urteilskraft des Einzelnen auf standardisierte Prozeduren oder Verbote", sagt Aßländer.

Eine amerikanische Debatte

Von oben verordnete, alles durchdringende Sittsamkeit – eine überaus amerikanische Vorgehensweise, wie ein Blick auf den US-amerikanischen Umgang mit Alkohol-, Zigarettenkonsum oder etwa auch Nacktheit zeigt. Amerikanisch ist die Compliance-Debatte aber auch, weil sie als Mittel zur Schadensbegrenzung für große, transnationale Konzerne angelegt ist. "Besonders großen, bürokratisch organisierten Unternehmen fällt es natürlich leichter, sich an Checklisten zu orientieren, als auf eine grundsätzliche ethische Sensibilisierung ihrer Mitarbeiter hinzuwirken", sagt Aßländer und gibt zu, dass so mancher Punkt auf den umfangreichen Compliance-Checklisten das Geschäftsleben unnötig erschwert.

Wie viele andere österreichische Manager auch hat Wolfgang Niessner, Vorstandschef des Logistikriesen Gebrüder Weiss, das bereits einige Male am eigenen Leib erfahren. "Was wir schon vor längerer Zeit zurückgefahren haben", erzählt er, "sind Veranstaltungen mit kulturellem Rahmenprogramm. Da hatten wir früher zum Beispiel Kartenkontingente, die wir an in- und ausländische Geschäftspartner vergeben haben." Plötzlich, von einem Jahr aufs andere, so Niessner, gab es Signale, dass das unerwünscht ist, weil die Partner nicht in den Verdacht kommen möchten, sich "anfüttern" zu lassen. "Da haben wir damit aufgehört: Schließlich soll so eine Einladung etwas sein, das dem Kunden Freude macht, und nicht etwas, wovor er sich fürchten muss und das ihm bürokratischen Aufwand beschert."

Business ohne Seele?

Doch es geht noch absurder. Andreas Fill, Chef und Eigentümer des gleichnamigen oberösterreichischen Maschinenbauunternehmens, verschickt seit Jahren Lebkuchenherzen mit entsprechenden Grüßen an seine Geschäftsfreunde. Kostenpunkt: ein einstelliger Eurobetrag pro Lebkuchenherz. Einigen Compliance-Officern in den beschenkten Unternehmen ist das neuerdings dennoch zu viel. "Wir hatten schon Fälle, dass wir von den entsprechenden Firmen angerufen wurden und uns gesagt wurde, wir mögen das in Zukunft unterlassen, weil das dann als Bestechung gesehen werden könnte", erzählt er. Die Bilanz, die der Oberösterreicher aus diesen Anrufen zieht, ist nüchtern: "Man wird eben vorsichtiger. Leider ist es so, dass die großen Korruptionsfälle aber dadurch wohl nicht unterbunden werden."

Dass die zwischenmenschliche Komponente im Geschäftsleben durch Compliance zu Tode reglementiert werden könnte, ist eine Befürchtung, die Fill mit vielen Kollegen teilt. "Man darf ja nicht vergessen, dass Geschäfte immer noch zwischen Menschen gemacht werden", sagt Georg Knill. "Da gehört die persönliche Beziehung auch dazu. Und es ist für diese Beziehung sicher nicht förderlich, wenn ich sagen muss: Wir können uns schon treffen, aber nur für eine halbe Stunde, und wir dürfen nichts anderes trinken als Mineralwasser."

Die Folgen solcher Zurückhaltung wären tatsächlich verheerend, stimmt Norbert Zimmermann zu. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Berndorf AG warnt: "Wer zwischenmenschliche Beziehungen reglementiert und einschränkt, unterbindet am Ende Kreativität. Denn die meisten guten Ideen entstehen, wenn zwei Menschen gern und ungezwungen gemeinsam über ein Problem nachdenken." Und sei es über ein Sauschädelessen.

Der Schluss, den Zimmermann zieht, ist daher ziemlich eindeutig: "Einem mittelständischen Unternehmen würde ich dringend abraten, einen Compliance-Beauftragten zu installieren. Der sagt Ihnen nämlich ständig, was Sie alles nicht dürfen, und produziert permanent Regeln, an die Sie sich halten müssen. Also solange der Gesetzgeber mich nicht dazu zwingt, würde ich das nie machen."

Doch gerade das könnte passieren. "Ich sehe schon die Gefahr, dass es im Zuge des allgemeinen Normierungswahns dazu kommt, dass der Gesetzgeber hunderte von mittelständischen Betrieben dazu zwingt, Compliance-Manager zu installieren und Compliance-Berichte abzuliefern. Ich halte das für eine absurde und unnötige Idee", sagt Veit Schmid-Schmidsfelden, Vorstand des niederösterreichischen Metallbauers und Automobilzulieferers Fertinger.

"Eine Kulturfrage"

Vor allem die in Relation zum Nutzen aufgewendete Zeit ist es, die Schmid-Schmidsfelden ärgert. Weiter reichende Vorbehalte haben hingegen jene Unternehmer, welche auf Märkten tätig sind, die anders funktionieren als Europa und die USA. Ihr Einwand lautet: Mit Regeln, die in der ersten Welt gemacht wurden, lassen sich in der zweiten Welt und erst recht in Schwellenländern keine Geschäfte machen.

Das gibt auch Michael Aßländer zu bedenken: "Ob etwas als Bestechung gilt oder nicht, ist sehr stark kulturabhängig. Im arabischen Raum können Sie vermutlich gar keine Geschäfte machen, ohne mit einem Gastgeschenk aufzuwarten. Das ist natürlich keine Bestechung im eigentlichen Sinne, weil ein Scheich, der – etwas übertrieben formuliert – bereits fünfzehn Porsches in der Garage stehen hat, sich kaum vom sechzehnten Porsche korrumpieren lassen wird."

Die Erfahrung, dass andere Länder eben auch andere Compliance-Sitten bedeuten, haben fast alle international tätigen Manager gemacht. Deshalb meint etwa AT&S-CEO Andreas Gerstenmayer, im Großen und Ganzen eher ein Befürworter strenger Compliance-Regelungen: "Überzogen sind Compliance-Maßnahmen immer dann, wenn die Regeln derart ausgestaltet sind, dass ein freier Wettbewerb vor allem international gar nicht mehr ermöglicht wird oder wenn Manager per se kriminalisiert werden."

Der Steirer Knill wiederum stellt in Bezug auf die Brauchbarkeit von europäisch und amerikanisch geprägten Vorstellungen schlicht und ergreifend fest: "Wenn Sie diese Maßstäbe bei Geschäften im arabischen Raum oder in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ansetzen, sind Sie hoffnungslos verloren, weil keiner versteht, was Sie eigentlich für ein Problem haben."

Compliance ist ein Geschäftsmodell

Bei aller Compliance-Skepsis in der österreichischen Wirtschaft: Fakt ist, dass die Branche boomt. In Österreich gibt es nach Angaben der WKO mittlerweile 53 Unternehmen, die "Compliance" als ihr Hauptgeschäftsfeld angeben – von Unternehmensberatern bis hin zu Seminar- und Schulungsanbietern. Zahlen über Compliance-Ausgaben in der heimischen Industrie existieren nicht – eine deutsche Studie, erstellt von der Fachzeitschrift "Manager Magazin", gibt jedoch Hinweise: Wurden 2007 in den 100 im DAX gelisteten Unternehmen insgesamt 1753 Compliance-Beauftragte gezählt, so waren es im Vorjahr bereits 2978 Personen, die sich laut Eigendefinition haupt- oder nebenberuflich im Betrieb mit Governance und Compliance beschäftigten – eine Steigerung von 70 Prozent in fünf Jahren.

Fast 30 Personen pro DAX-Unternehmen, die sich mit der Administration der Anständigkeit beschäftigen? Experten halten diese Zahl sogar für zu niedrig gegriffen. Immerhin vermelden DAX-Riesen wie Siemens fast 600 Compliance-Officer (also rund 1,5 Sittenwächter pro 1.000 Mitarbeiter), die Deutsche Bank 515 (5,1 Ordnungshüter pro 1.000 Mitarbeiter) und sogar Unternehmen mit eher harmlosem Geschäftsmodell wie der Gasehersteller Linde beschäftigen 60 Governance-Kontrolleure (1,2 pro 1.000 Mitarbeiter).

Die Zahlen dürften – mit Abstrichen aufgrund der Firmengröße – auch auf Österreich umzulegen sein. Das meint jedenfalls Tim Wybitul vom Bundesverband Deutscher Compliance Officer. Bei den Gesamtausgaben tappt allerdings auch Wybitul im Dunkeln: "Die meisten Unternehmen veröffentlichen keine Zahlen darüber, wie viel sie für Compliance ausgeben. Und wenn sie es tun, so kommt es sehr oft vor, dass die Zahlen nicht stimmen. Entweder sind sie nach oben frisiert, weil man zeigen will, wie viel man tut, oder sie sind nach unten frisiert, weil man nicht in den Ruf kommen will, irgendein Problem zu haben."

Schwachstelle: Berater

Nutznießer des Booms dürften Berater und Ausbildner sein. "Wenn immer mehr Unternehmen Compliance-Abteilungen haben, muss es auch jemand geben, der die dazugehörigen Compliance-Officer und Compliance-Manager ausbildet. Jene, die solche Ausbildungen anbieten, sind die wahren Nutznießer des Trends", sagt Jochen Pildner-Steinburg, Eigentümer und Geschäftsführer des Grazer Maschinenbauers GAW und steirischer IV-Präsident.

Diese Berater sind auch die größte Schwachstelle in dieser sich selbst perpetuierenden, immer wieder neue Geschäfts- und Risikofelder identifizierenden Anstands-Administrations-Maschinerie: Die gängige Praxis, die Compliance-Bemühungen ähnlich den Rechnungsabschlüssen alljährlich von Beratern prüfen zu lassen, öffne einem moralischen Dilemma Tür und Tor, wie Elisabeth Göbel, Professorin an der Universität Trier und Autorin eines Standardwerks über Unternehmensethik, anmerkt. "Wenn Berater dafür bezahlt werden, Unternehmen zu bescheinigen, dass sie moralisch handeln, dann ist das ähnlich jenen Agenturen, die Banken gegen Bezahlung bescheinigt haben, wie gut die Finanzprodukte sind, die die Bank vertreibt."

Anstatt Fragen von unternehmerischer Ethik an Berater oder Compliance-Abteilungen im Hause auszulagern, wäre es deutlich sinnvoller, wenn die wirtschaftlichen Eliten bereits in ihrer Ausbildung mit Grundlagen der Ethik vertraut gemacht werden würden, meinen viele Wirtschaftswissenschafter. Das sei derzeit allerdings kaum der Fall, bemängelt der österreichische Wirtschaftsethiker Michael Litschka und betont, dass es kaum gelingen kann, Fehlverhalten im Geschäftsleben nur durch Regeln zu unterbinden. "Das ist notwendig, aber nicht hinreichend", sagt er.

Das betont auch Bernd Noll, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Pforzheim und Autor mehrerer Bücher zum Thema Wirtschaftsethik. Noll sieht das Haupthindernis vor allem darin, dass man ohnehin nicht für jeden theoretisch möglichen Fall eine Verhaltensempfehlung abgeben kann, wie es listenverliebte Compliance-Abteilungen gern hätten: "Realität im unternehmerischen Alltag ist zu komplex, um Regeln so zu formulieren, dass es, für den, der will, nicht doch Schlupflöcher zu finden gebe. Und die Frage ist, ob es sinnvoll ist, zu sagen: Dann machen wir eben weitere Regeln. Irgendwann einmal wird das nämlich absurd."

Radikales Umdenken?

Wichtig würde Noll stattdessen eine Entwicklung von Compliance zu Integrität finden. Anstatt den Mitarbeitern immer mehr Vorschriften zu machen, müssten sie ermuntert werden, sich bewusst zu werden, wie viel Verantwortung sie in ihrer Funktion haben, und auch dazu, diese Verantwortung wahrzunehmen: "Im Moment passiert aber das Gegenteil. Wenn selbst bei kleinen Sparkasse-Angestellten ein beträchtlicher Teil des Lohns die umsatzabhängige Variable ist, wird der Angestellte vor allem versuchen, Produkte zu verkaufen, anstatt zu überlegen, ob die Produkte für seinen Kunden passend oder nicht passend sind."

Auch Ulrich Thielemann, Direktor des Berliner Think-Tanks "MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik" sieht in der zahlengetriebenen Jagd nach Boni den Hauptgrund für unethisches Business-Verhalten. Die beste Compliance-Maßnahme wäre seiner Meinung nach daher ganz simpel: "Sich vom Bonussystem zu verabschieden, jedenfalls die Anteile, die Management und Mitarbeitern in Form variabler Vergütungen ausbezahlt werden, stark einzuschränken."

Dem mit Compliance-Überlegungen oft verbundenen Ansatz, gewünschtes Verhalten zu belohnen, kann Thielemann hingegen nur wenig abgewinnen: "Boni bieten Anreize zu moralisch fragwürdigem Verhalten. Jetzt könnte man natürlich sagen: Wir brauchen stattdessen Anreize zu moralisch positivem Verhalten. Aber dann würden die Leute wieder nur aus Egoismus statt aus innerem Antrieb handeln. Insofern kann man schon sagen, dass der jetzige Versuch, verantwortungsvolles Verhalten im Rahmen von Compliance zu belohnen, in Wirklichkeit das letzte Aufbäumen des Bonuswahnsinns ist."

Compliance ist an sich nichts Neues. Schon im Mittelalter erließen Zünfte Regeln, wie ihr Beruf in der jeweiligen Stadt auszuüben sei, und achteten darauf, dass diese auch eingehalten wurden. Deren Niederschriften freilich umfassten keineswegs ganze Bände. Was man zu Zeiten des Erzherzogs Johann selig in den Knappschaften als selbstverständlich verinnerlichtes „Ghertsi“ ansah, wird heutzutage zu schrankfüllenden Ordnerreihen aufgebläht. Verfasser und Kontrolleure sind damit lebenslang ausgelastet. In der Praxis beeinträchtigen sie ob ihrer schieren Unübersichtlichkeit die Abläufe oft mehr als sie sicherer zu gestalten.

Dennoch nehmen die Meldungen betreffend unerhörte Verstöße gegen selbstverständliche moralische Grundregeln zu. Ein Blick in die heutige Tageszeitung verrät uns dies: Vorbei an beamteten Gurkenkrümmungsjägern wurden aberhunderte Tonnen Fleisch wiehernder Einhufer dem Konsumenten als Beef kredenzt. Ganz sicher wird das eine neue Kontroll-, Dokumentations- und Beratungsmaschinerie in Gang setzen, welche die schon aufragenden Compliance-Gebirge um einige Zehntausender bereichert.

Das Ausmaß von Entrüstung und Kontrolle entwickelt sich umgekehrt proportional zum Unrechtsbewusstsein in der Gesellschaft, getreu der Frankl’schen Erkenntnis „Je mehr man von der Lust redet, desto mehr vergeht sie einem auch schon“ und der Tacitus’schen Einsicht „Je mehr Gesetze ein Staat braucht, desto verdorbener ist er“.

2.650.000 Ergebnisse spuckt Google auf die Frage „Compliance-Beratung“ aus: Ein Milliardengeschäft. Bei vielen dieser Google-Hits handelt es sich um sündteure Reparaturprogramme. Ein Vorschlag von meiner Seite: Vielleicht sollten Eltern und Volksschullehrer beizeiten auf die straffe Anerziehung von Law and Order achten und nicht, aus Angst vor Konflikten mit der renitenten Nachkommenschaft, resignierend auf Laisser-faire setzen. Wir könnten uns sodann manch gepantschtes Gericht, empörenden Unterschleif, pleitegegangene kommerzielle Experimente an Universitäten („Café Rosa“), Untersuchungsausschüsse sonder Zahl, aber vor allem Milliarden an Euros für Compliance-Kontrolleure ersparen.

Klaus Woltron ist Unternehmer, Berater und Autor.

Dass dies dennoch oftmals der Fall ist, zeigen die unzähligen Bilanzskandale im Mutterland der Governance- und Compliance-Regeln, den USA. Daher kann es sinnvoll sein, für diesen Fall im Rahmen einer D&O-Versicherung vorzusorgen. Zu beachten ist dabei, dass nicht nur die Vorstände, sondern auch der Compliance-Verantwortliche als versicherte Person gilt. „In älteren D&O-Versicherungsverträgen ist das nicht immer der Fall, kann aber in der Regel nachverhandelt werden“, sagt Georg Aichinger, Geschäftsführer von Koban Soldora, einer auf D&O-Beratung spezialisierten Tochter der Koban Südvers Gruppe.

Abgedeckt von einer D&O-Versicherung werden üblicherweise Sorgfaltsverstöße, die Schadenersatzforderungen im Innen- oder Außenverhältnis nach sich ziehen, solange die Verstöße nicht vorsätzlich oder wissentlich begangen wurden. Möglich sind Unternehmenspolizzen, die pro 1.000.000 Euro jährliche Versicherungssumme rund 1.500 Euro kosten, bei risikobehafteten Unternehmen auch mehr. „Bei Unternehmenspolizzen teilen sich sämtliche Gesellschaftsorgane die jährlich zur Verfügung stehende Versicherungssumme“, so Aichinger. Um auch dann versichert zu sein, wenn die Summe aufgebraucht ist, können auch persönliche D&O-Versicherungen abgeschlossen werden. Eine jährliche Grunddeckung von 100.000 Euro lässt sich bereits ab 500 Euro besorgen. Für jede ausgeübte Funktion muss eine eigene Versicherung abgeschlossen werden.