Weiterbildung : Customized Learning: Nicht von der Stange

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Die Bewerber waren nicht wirklich zu fassen. Bei schwierigen Fragen wichen sie einmal aus, ein anderes Mal überraschten sie mit auffallend informierten Antworten. Und zwischendurch stellten sie selbst Fragen, die den Recruiter beinahe in Verlegenheit gebracht hätten. Sehr ungewöhnlich das Ganze. Und obendrein ein Fake, wie sich herausstellen sollte – wenn auch ein gewollter.

Statt wie oft üblich Trainings zu professioneller Gesprächsführung mit Trockenübungen zu bestreiten, hatte sich die Kursleitung diesmal dazu entschieden, Profischauspieler zu engagieren, die in die Rolle der Bewerber schlüpften. „In so einem Setting funktioniert Rollenspiel natürlich viel besser, als wenn man das mit einem Kollegen oder mit dem Seminarleiter übt“, erklärt Armand Kaáli-Nagy, Geschäftsführer des ÖPWZ, das das Training im Auftrag eines großen österreichischen Unternehmens organisierte. Ein solches Herangehen war auch der ausdrückliche Wunsch des Kunden.

Customized Learning nennt sich der neue Trend, dem inzwischen viel Seminaranbieter folgen. Statt Angebote von der Stange bekommt dabei jedes Unternehmen ein eigenes, extra auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Seminar. Waren solche individualisierten Schulungen noch vor wenigen Jahren eine Ausnahme, so sind sie heute nahezu Standard. Bei manchen Seminaranbieter-Institutionen machen sie inzwischen weit mehr als die Hälfte des Gesamtangebots aus.

Mehr Effizienz

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ganz oben würden aber Zeit und Effizienz stehen, sagt Birgit Lautner, Head of Corporate HR bei der Wietersdorfer Group. 651 Millionen Euro Umsatz machte die Wietersdorfer Holding 2018, allein die Zement- und Betonsparte Alpacem beschäftigt rund 640 Mitarbeiter in sechs Ländern.

„Für große standort- und länderübergreifende Unternehmen, wie wir eines sind, bieten unternehmensspezifische Seminare auch eine sehr gute Möglichkeit zur internen Vernetzung“, meint Lautner. „In unserem High-Potential-Programm, das wir gemeinsam mit Hernstein aufgesetzt haben, gibt es daher als ein Element zum Beispiel auch ein Kamingespräch mit dem Vorstand bzw. dem Aufsichtsrat.“ Die Gespräche werden sowohl von den Kursteilnehmern als auch von den Vorständen und Aufsichtsräten immer als sehr lehrreich erlebt.

Als die Möglichkeit Silos aufzubrechen nennt solche Formate Gerhard Leitner, der Geschäftsführer der LIMAK, des oberösterreichischen Seminaranbieters, der sich ganz stark auf Customized Learning spezialisiert hat und zu dessen Kunden dementsprechend viele Größen der österreichischen Industrie zählen, darunter auch der oberösterreichische Autozulieferer Miba.

Internationales Angebot

Die firmeninterne Leadership-Academy der Miba arbeitet mit der LIMAK unter anderem bei jenen Modulen zusammen, die im Ausland – in China und in den USA – stattfinden. Hier seien es die vielfältigen Kontakte der LIMAK gewesen, wie Bernhard Reisner, Vice President Human Capital bei Miba, erzählt, die es seinem Unternehmen ermöglichten, ein Programm aufzusetzen, bei dem die Teilnehmer tief in die Business-Dynamik vor Ort eintauchen könnten. „Dafür reicht es nicht, nach Kalifornien zu fliegen und sich Apple oder Google im Rahmen einer Führung anzuschauen.“

Daher arbeitet Miba im Ausland stets mit universitären Partnern zusammen, die für diese Aufenthalte gewissermaßen die Home Base bilden, und mit Unternehmen, die bereit sind, für die Teilnehmer Workshops, Gesprächsrunden und Diskussionen anzubieten: „Als mittelgroßes Unternehmen hätten wir das allein ohne die LIMAK nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand aufstellen können.“

Bisweilen hat die Miba auch ganz unmittelbare Erträge aus den Aufenthalten und dem Customized Learning vor Ort. Dann nämlich, wenn in den Workshops im Silicon Valley Business Cases entwickelt werden, die so gut sind, dass sie in der Folge auch tatsächlich in der Realität umgesetzt werden können.

„Der internationale Zugang wird immer stärker nachgefragt, deshalb gehen wir inzwischen nicht nur nach Kalifornien oder China, sondern haben auch Angebote im Programm, wo Berlin oder Göteborg dabei sind“, erklärt Susanne Summereder, die das IN.SPIRE Programm der LIMAK leitet. Mit IN.SPIRE verfügt die LIMAK über eine Sparte, die maßgeschneiderte Qualifizierungsmöglichkeiten für Führungskräfte anbietet.

Ein besonders exklusiver MBA

Die können sogar bis zu einem MBA gehen, der spezifisch auf ein einzelnes Unternehmen zugeschnitten ist. Einen solchen hat die LIMAK gemeinsam mit KTM entwickelt. Vom KTM-internen Führungskräfte- Entwicklungsprogramm können die Teilnehmer bei entsprechender Eignung daher direkt zu einem MBA auf der LIMAK weitergehen. Er baut auf einem General Management MBA auf, wurde aber für die firmeneigenen Anforderungen von KTM customized.

Der Hintergrund, warum KTM sich für diese Lösung entschieden hat, anstatt auf bereits bestehende Angebote zu setzen, war der Wunsch des Unternehmens, ein Weiterbildungsformat zu schaffen, das nicht nur erfahrene Führungskräfte anspricht, wie der klassische MBA, sondern auch jüngeren Kollegen offensteht. Deshalb wird das erste Semester der MBA- Ausbildung parallel für zwei Gruppen angeboten und ist damit auch für junge Potenzialträger im Unternehmen offen, von denen die besten dann eben in den MBA wechseln können.

Es sind aber nicht ausschließlich strategische Überlegungen, die für KTM-Vorstand Viktor Sigl den Vorteil von Customized-Angeboten in der Mitarbeiterentwicklung ausmachen: „Jedes Unternehmen hat ja eine andere Unternehmenskultur, und es ist sehr wichtig, dass sich Seminaranbieter darauf einstellen.“

Das findet auch Daniela Sereinig, HR-Chefin bei der Digital-Agentur Dentsu. Sie hat inzwischen viele firmenspezifische Angebote bei Österreichs größtem Seminaranbieter, dem WIFI, für ihre Mitarbeiter gebucht: „Zu den meisten Themen gibt es mehrere Trainer, und so können wir uns daher immer jemanden aussuchen, der wirklich zu uns passt. Es ist meist gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der unserem Mindset entspricht.“

Maßgeschneidert wird überall

Bei offenen Seminaren gibt es die Möglichkeit, einen bestimmten Trainer oder eine bestimmte Trainerin zu buchen, naturgemäß nicht. Hier passiert eher das Gegenteil: Die Gruppe muss sich auch ein Stück an den Trainer anpassen. Für Michaela Kreitmayer, Leiterin des Hernstein Instituts, ist es daher nicht verwunderlich, dass die Nachfrage nach maßgeschneiderten Angeboten steigt. Zugleich betont sie aber, dass die Grenze zwischen offenen und maßgeschneiderten Seminaren möglicherweise nicht ganz so streng ist, wie das die beiden Begriffe auf den ersten Blick vermuten lassen: „Auch im offenen Geschäftsbereich wird maßgeschneidert, da prozessorientiert gearbeitet wird. Im Inhouse-Bereich findet aber natürlich eine noch größere Maßschneiderung statt.“

Armand Kaáli-Nagy vom ÖPWZ geht in der Relativierung des Unterschieds zwischen offen und customized noch ein Stück weiter. Als den absoluten Goldstandard in der Mitarbeiterentwicklung würde er Customized Learning nicht bezeichnen, sagt er. Denn es gebe sehr wohl Bereiche, wo offene Trainings mehr Sinn machen könnten, etwa dann, wenn es um Social Skills gehe: „Wenn die Aufgabe darin besteht, die eigene Sozialkompetenz zu stärken, dann ist es wahrscheinlich sinnvoller, das in einem Seminar zu üben, in dem Menschen sitzen, die man nicht kennt.“ Viele Unternehmen, erklärt Kaáli-Nagy, würden offene Seminare aber auch bei fachbezogenen Themen wählen, weil die Mitarbeiter dann automatisch auch einen Austausch mit Personen aus anderen Unternehmen bekommen.

Und schließlich: Manchmal entscheiden nicht Inhalte, sondern schlicht und einfach die Verfügbarkeit, ob ein Seminar von der Stange oder doch ein firmeninternes gebucht wird: „Wenn der Bedarf dringend ist, wollen Unternehmen nicht warten, bis ein offenes Seminar zu einem bestimmten Thema angeboten wird, sondern buchen lieber ein auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidertes, das sie gleich bekommen“, weiß Sandra Prandtner, die beim WIFI die Leitung der firmeninternen Trainings über hat. Rund 1.300 Firmen zählt ihre Abteilung als Kunden, rund siebzig Prozent davon sind Stammkunden.

Entlastung für die Personaler

Der rege Zulauf zu maßgeschneiderten Angeboten liegt aber auch daran, dass HR-Abteilungen heute deutlich umfangreichere Aufgaben bewältigen müssen als noch vor wenigen Jahren. Galten früher vor allem klassische Management-Themen als Weiterbildungsmaterie, so hat sich die Bandbreite inzwischen nahezu ins Endlose erweitert. Die Digitalisierung zum Beispiel hat die Nachfrage nach Seminaren erhöht, bei denen Mitarbeiter darauf vorbereitet werden, in abteilungsübergreifenden Teams zusammenzuarbeiten. Die sich massiv verkürzende Halbwertszeit von Wissen macht außerdem immer häufiger sehr spezifische Trainings notwendig – auch das spricht für Customized Learning.

Customized Learning kann aber noch mehr bedeuten, nämlich dass Unternehmen gleich das gesamte Daily Business der Weiterbildung an einen Seminaranbieter auslagern, damit die Personalabteilung mehr Spielraum für die Beschäftigung mit Strategiefragen gewinnt. Der Seminaranbieter stellt dann einen Weiterbildungsplan und ein dazugehöriges Seminarangebot für das Unternehmen zusammen und übernimmt auch die Abwicklung.

Die ARS Akademie bietet ein solches Angebot unter dem Namen „Managed Training Service“ für die Novomatic AG. Den Gewinn für den Konzern sieht Nicole Scheiblecker, Leiterin Bildungsmanagement und Kundenberatung bei ARS, neben einer Entlastung der unternehmenseigenen HR-Abteilung auch in dem sehr differenzierten Reporting, das die ARS quartalsweise liefert: „Daraus können die HR-Verantwortlichen erkennen: Was wird nachgefragt, was weniger? Wie ist die Altersverteilung der Teilnehmer? Wie viele weibliche und wie viele männliche Teilnehmer gibt es in den einzelnen Seminaren? Das schafft für das Unternehmen einen Mehrwert, weil es einen Gesamtüberblick über die Weiterbildung seiner Mitarbeiter bekommt.“ Gerade bei großen Unternehmen kann dieser sonst ziemlich schnell verloren gehen.