Smart Factory : So geht Smart Factory – 10 Antworten aus der Praxis

Auch die höchsten Türme fangen beim Fundament an. Ein solch hoher Turm ist die Digitalisierung. Sie ist ein Megatrend in Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie. Während Smartphone und Tablet aus dem privaten Alltag mit Google, Facebook, Twitter, Youtube & Co. nicht mehr wegzudenken sind, nimmt die Digitalisierung der Fabriken erst seit zwei Jahren richtig Fahrt auf. Sammelbegriff: Industrie 4.0 – die Digitalisierung als vierte industrielle Revolution nach Mechanisierung, Dampfmaschine und Elektrifizierung.

In Österreich wurde 2015 der Verein "Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion" gegründet. Ziel ist es, "in einem breiten Schulterschluss" die zukünftige Produktions- und Arbeitswelt aktiv zu gestalten. Erste digitale Pilotfabriken mit öffentlicher Förderung sind in Planung.

Die Plattform ist eine wichtige Initiative von Politik, Kammern und Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Denn bei Industrie 4.0 es geht um höhere Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit – und damit um die entscheidenden Faktoren für Standort- und Arbeitsplatzsicherheit.

Geschäftsführer und IT-Verantwortliche benötigen jetzt konkrete pragmatische Hilfestellung, um die digitale Transformation ihrer Fabriken in eine Smart Factory zu starten. Industrie 4.0 ist dabei kein Trend nur für große Konzerne, sondern eine geschäftliche Notwendigkeit für jedes produzierende Unternehmen, ob Masse oder Klasse, ob Serien- oder Einzelteilfertigung.

Nichts ist dabei glaubwürdiger als der Rat von Praktikern für Praktiker. Einen solchen Knowhow-Transfer von Kollege zu Kollege organisiert unser Haus in diesem Jahr bereits zum 13. Mal – den Produktivitätskongress FIT. Der nächste FIT-Kongress ist am 28. September bei KUKA in Augsburg geplant.

Auf den FIT-Kongressen geben Top-Manager ganz konkrete Tipps aus der Praxis für alle, die auch in das Industrie-4.0-Zeitalter starten wollen. Im Folgenden werden zehn wesentliche Erkenntnisse der FIT-Kongresse zitiert – als solides Fundament für den hohen Turm Digitalisierung der Fabriken.

1. Was versteht man unter einer Smart Factory?

Wesentliches Kennzeichen einer Smart Factory sind Echtzeit-Spiegelbilder der Produktion am Computer – sogenannte Cyber-Physical-Systems. Ziel ist es, dass Werker wie Manager in die Lage versetzt werden, die Produktion virtuell am Computer (Touchscreen, Tablet, Smartphone) zu analysieren und in der Realität zu optimieren. Fehler und Verschwendungen können sofort erkannt und behoben werden.

Für eine solche Echtzeit-Transparenz wird eine Höchleistungs-IT benötigt, welche größte Datenmengen (Big-Data) in Echtzeit in nutzbare Kennziffern (Smart-Data) verwandelt. Von Big-Data wird gesprochen, weil in der Smart Factory Teile und Maschinen untereinander sowie mit browserfähigen Endgeräten der Bediener kommunizieren. Wie in einem „Facebook für die Fabrik“ findet die Steuerung auf einer einheitlichen IT-Plattform statt. Ergebnis: Planung und Produktion (Top und Shop Floor) sind synchronisiert – bei vielen Standorten weltweit auch über Länder-, Sprach- und Zeitzonengrenzen hinweg.

2. Welche Vorteile bringt die smarte Produktion?

Die Erfolge sind zahlreich und konkret messbar. Smart-Factory-Technologie schafft vor allem eine große Transparenz. Ein Manager fasste es so zusammen: "Wer keine digitale Fabriktechnologie hat, geht blind durch die Produktion. Wenn keine Störungen registriert werden, finden auch keine statt. Dann hat ein Unternehmen gefühlte 97 Prozent störungsfreien Betrieb."

Mit digitaler Steuerung wird Ressourceneffizienz mess- und sichtbar. So erhöht sich die Produktivität, gemessen an der Gesamtanlageneffektivität OEE (Overall Equipment Effectiveness) schon während der Pilotphase um etwa zehn Prozent in wenigen Wochen. Innerhalb eines Jahres nach dem Rollout über die gesamte Produktion liegen zusätzliche zehn bis 20 Prozent Produktivitätssteigerung drin.

Weitere interessante Effizienzsteigerungen, die Unternehmen melden: Fünf Arbeitstage werden plötzlich in vier Tagen geschafft; die Zeit zwischen Auftragseingang und –bearbeitung sinkt von vier Tagen auf vier Stunden; die Stromkosten sinken um zehn Prozent.

3. Wie erreiche ich die Akzeptanz der Belegschaft?

Die Akzeptanz der Belegschaft ist der "Beton" im Fundament der Smart Factory – einfach unerlässlich. Die Hauptaufgabe besteht darin, die Belegschaft dauerhaft davon zu überzeugen, dass es bei der digitalen Transformation um eine Lösung für den Standort geht, nicht gegen ihn. Gute Argumente sind, dass digitale Fabriksteuerung keine Kapazitäten bindet, sondern welche schafft. Künftig können Werker und Fabrikleiter disponieren statt zu improvisieren.

Daher muss Smart Factory Chefsache sein. Schließlich geht es um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Benötigt wird ein moderner Change-Prozess, der die Belegschaft dazu motiviert, in der Produktionslogistik aufzuräumen und manches abzuschaffen, was über Jahrzehnte in den Fabrikhallen gewachsen ist.

4. Wie organisiere ich einen Change-Prozess im Shop Floor?

Grundsätzlich gilt es, nicht alles auf einmal zu wollen und in kleinen Schritten vorzugehen. Ein kluger Phasenplan ist nötig.

Schritt 1: Alle Führungskräfte und Mitarbeiter frühzeitig über den geplanten Transformationsprozess informieren. Motivation und Ziele darlegen, um die Akzeptanz sicherzustellen.

Schritt 2: Ein Transformation-Team benennen, das sich cross-funktional aus möglichst vielen Verantwortungsbereichen zusammensetzt, inklusive Lieferanten. Das Team recherchiert Best-practice-Beispiele und Technologien am Markt und entwirft daraus einen individuellen Zeit- und Maßnahmenplan – Schritt für Schritt mit erreichbaren Zwischenzielen.

Schritt 3: Die Transformation mit einem Pilotprojekt starten und eine neue Regelkommunikation einführen. Tägliche Konferenzen des Transformationsteams bringen jeden auf den neuesten Stand. Ein großer Maschinenbauer setzte erfolgreich auch auf starke visuelle Signale: Jede optimierte Maschine erhielt einen neuen hellen Anstrich, so dass alle sehen konnten, dass die Transformation vorangeht.

Schritt 4: Vor und während des Rollouts über die gesamte Produktion Erfolge breit kommunizieren. Die Mitarbeiter verstehen sehr schnell, dass das Arbeiten mit neuer Technologie leichter, schneller, besser und erfolgreicher wird – so, wie sie es aus ihrem privaten Alltag mit Smartphone und Tablet ohnehin schon kennen.

5. Wie gelingt der Schritt vom Masterplan zur ersten Maschine?

Die Installation mit dem „Piloten“ beginnen. Dazu eignet sich am besten jener Teilbereich, welcher die meisten Probleme bereitet. Für den Anfang reicht es, drei Maschinen an die neue digitale Steuerung anzuschließen. Es entsteht eine "Testfabrik" im Kleinen.

Hauptvorteile des Piloten: Die Hauptproduktion kann weiterlaufen, alle Prozesse können eingeübt werden, der größte "Problembereich" verspricht die besten Ergebnisse. So wird der Pilot zu einer Blaupause für den werksübergreifenden Rollout und einen nachhaltigen Verbesserungsprozess. Erfahrungswert: Der Rollout in weiteren Bereichen und Werken beansprucht nur noch die Hälfte der Zeit, welche der Pilot benötigte.

6. Was muss eine smarte Technologie können?

Zentrale Anforderung ist, dass die Hauptproduktion reibungslos weiterläuft, während die digitale Transformation in einem Teilbereich startet. Eine Smart-Factory-Technologie sollte daher ein modulares Konzept bieten, mit dem flexibel und in Schritten eine neue IT-Architektur aufgebaut werden kann.

Zweitens muss die neue Technologie in der Lage sein, heterogene Maschinenparks, also Maschinen unterschiedlicher Hersteller und Jahrgänge, problemlos an eine Plattform anzubinden. Drittens sollte die Technologie Big-Data-Verarbeitung in Echtzeit sowie alle wichtigen Schnittstellen bieten. Eine solche Schnittstelle ist der internationale Standard MTConnect, eine Open-Source-Lösung aus den USA für die Kommunikation von Maschinen via Internet.

Weitere technologische Anforderungen sind nutzerfreundliche Visualisierungen aller gewünschten Betriebszustände für alle Beteiligten – jeder muss in seinem Verantwortungsbereich an genauen Kennzahlen in Echtzeit sofort sehen können, wo etwas hakt. Wichtig sind zudem historische Maschinendaten: Ohne historische Analysen kann kein Team besser werden.

7. Was kostet der Einsatz der neuen Technologie?

Die Kosten variieren je nach der Anzahl der anzuschließenden Maschinen, der benötigten Schulungen, der ausgewählten Technologie. Für ein dreimonatiges Pilotprojekt mit zum Beispiel drei Maschinen sollten inklusive Beratung und Schulung 20.000 Euro eingeplant werden,.

Erfahrung von Projektmanagern: Die Kosten amortisieren sich durch höhere Produktivität und Effizienzsteigerungen bereits nach spätestens zwölf Monaten.

8. Was ist bei der Erfassung der Betriebsdaten zu beachten?

Mit der digitalen Vernetzung von Maschinen und Teilen rollt plötzlich eine riesige Datenwelle an. Diesen Daten-Tsunami gilt es, im Vorhinein in gewünschte Kennzahlen zu kanalisieren (KPI – Key Performance Indicators).

Die gebräuchlichste Kennzahl ist die Gesamtanlageneffektivität OEE. Sie trifft Aussagen darüber, wie schnell (Leistung), wie lange (Dauer) und wie gut (Qualität) produziert wird.

9. Wie organisiere ich den Rollout über Fabrik-Standorte?

Erfolge von Anfang an regelmäßig und breit kommunizieren. Im Pilotprojekt wird eine Produktivitätssteigerung von etwa zehn Prozent in wenigen Wochen erreicht (gemessen an der OEE). Das ist ein signifikanter Erfolg, der frühzeitig in der gesamten Organisation kommuniziert werden sollte. Weitere Erfahrung: Bei einem späteren Rollout sind zusätzliche 10 bis 20 Prozent Produktivitätssteigerung drin – also noch mehr positive Nachrichten für alle.

10. Wie gelingt die nachhaltige Optimierung?

Erstens durch übersichtliche Visualisierungen und Analysen für jede Rolle zu jeder Zeit: Das Management hat die Gesamtanlageneffektivität im Blick, der Bereichsleiter sieht den aktuellen Status der Produktion, die Kollegen in der Produktion können Fehler in Echtzeit beseitigen, der Planer hat den aktuellen Produktionsfortschritt je Auftrag im Blick, die Qualitätssicherer kann wirkungsvolle Analysen ableiten.

Zweitens gewährleiste eine neue Regelkommunikation mit täglichen Arbeitsplatzbesprechungen, dass alle Beteiligten auf dem neuesten Stand sind. So sieht jeder Beteiligte jeden Morgen anhand von 24- Stunden-Überblicken sofort, ob die Maschinen einwandfrei laufen oder wo es gehakt hat. Störungen können in Ruhe analysiert und Schwachstellen abgestellt werden.

Zusätzlich sollte es einmal pro Woche an verschiedenen Anlagen im Wechsel TPM-Audits (Total Productivity Management) geben. Solche Meetings zur kontinuierlichen Verbesserung gewährleisten, dass der optimierte Zustand dauerhaft gehalten wird. Hilfreich sind auch „TPM-Inseln“, also besonders gekennzeichnete Fabrikbereiche, an denen alle Auswertungen zur Verfügung stehen und wo jederzeit TPM-Themen besprochen werden können.

Der Autor ist Senior Account Manager für Österreich mit Büro in Salzburg bei dem international tätigen Smart-Factory-Spezialisten FORCAM aus Ravensburg.