Standorte : Polen, Ungarn, Rumänien: "Umbau" des Rechtssystems wird für Firmen zum Risiko

Fragwürdige Justizreformen, Druck auf Universitäten und Medien: Die Entwicklungen in Polen, Ungarn und auch Rumänien bereiten etlichen EU-Partnern Sorgen. Gegen Polen und Ungarn laufen schon Strafverfahren, die zum Entzug von Stimmrechten führen könnten - die schärfste Waffe gegen Regelverstöße von Mitgliedstaaten.

Doch neben ethischen und rechtsstaatlichen Problemen wirft die Entwicklung auch handfeste wirtschaftliche Fragen auf. Langfristig könnte die finanzielle Kluft zwischen reicheren Staaten im Westen der EU und ärmeren im Osten dadurch noch größer werden.

Allerdings wird dieser Pessimismus nicht von allen geteilt. Hier die Einschätzungen der Aussenwirtschaft Austria: Gute Chancen für heimische Betriebe im Donauraum >>

Ausländische Investoren schauen sehr genau hin

Aus Sicht von EU-Vizekommissionschef Jyrki Katainen ist die Sache klar: Ausländische Investoren könnten mangels Planungssicherheit verschreckt werden. Er höre oft von Firmen, die die Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgten, erklärte der für Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständige Kommissar unlängst in Brüssel: "Wenn man - sagen wir - 100 Millionen Euro in eine Produktionsstätte investiert, will man wissen, ob man Recht bekommen kann, wenn etwas passiert." Die Entwicklungen in Polen, aber auch in Ungarn und Rumänien seien "Gift" für das Investitionsklima.

Zweifelhafte Justizreformen haben schon Folgen für das Wachstum

Die nationalkonservative Regierung in Warschau etwa höhlte aus Brüsseler Sicht systematisch den Rechtsstaat aus. Dazu gehörten Reformen des Verfassungsgerichts und der allgemeinen Gerichte. Sie argumentiert, sie wolle die Justiz von korrupten Richtern befreien.

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Das Europaparlament hatte jüngst auch gegen Ungarn - ähnlich wie die EU-Kommission im Fall Polens - ein Verfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen europäische Werte eingeleitet, unter anderem weil die Regierung des nationalkonservativen Premiers Viktor Orban die Tätigkeit von Vereinen und ausländischen Universitäten einschränkt.

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Auch in Rumänien nimmt der Druck aus Sicht der Brüsseler Behörde zu. Medien werden zudem eingeschränkt. Staatspräsident Klaus Iohannis, der der bürgerlichen Opposition nahesteht, hatte den politisch Verantwortlichen jüngst vorgeworfen, mit der Schwächung der Justiz den vorbestraften Chef der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, vor Strafverfolgung schützen zu wollen. Dragnea ist wegen Wahlmanipulationen vorbestraft und darf nicht Ministerpräsident werden. Er kontrolliert jedoch praktisch die Regierung.

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Erste wirtschaftliche Folgen all dessen zeichnen sich bereits ab. Doch es könnte noch schlimmer kommen. Hier Details zu der Situation in den drei Ländern.

POLEN: Auslandsinvestitionen gehen um 56 Prozent zurück

In Polen treiben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 28 Jahren (5,8 Prozent) und dynamisch steigende Gehälter die Wirtschaft nach Angaben der Warschauer Nationalbank noch an. Das Wachstum liegt bei rund 4,8 Prozent. Bei Investoren aus dem Ausland ist Polen vor allem wegen seiner EU-Mitgliedschaft und der qualifizierten Arbeitskräfte beliebt, wie eine Analyse der Deutsch-Polnischen Handelskammer ergab.

Die Rede ist jedoch schon von Investoren, die die unvorhersehbare Wirtschaftspolitik und die politische Instabilität Polens als Minuspunkte kritisieren. Welche Folgen dies für Polens Wirtschaft haben könnte, zeigen Zahlen des Statistikamtes. Demnach gingen die direkten Auslandsinvestitionen im Land 2017 im Vergleich zu 2016 um mehr als die Hälfte (56 Prozent) auf umgerechnet noch acht Milliarden Euro zurück.

Bisher blieb die Regierungspartei PiS Umfragen zufolge trotz des EU-Konfrontationskurses stärkste Partei im Land. Die kritisierten Eingriffe in die Justiz seien für viele Polen sehr abstrakt, meinen Politologen. Doch wenn die Bürger das Gefühl bekämen, die Regierung wolle an ihr Geld, könnte dies dem Image der PiS schaden. In Polen stehen 2019 Parlamentswahlen an.

UNGARN: Regierung greift ins Wirtschaftsleben ein

Ähnliche Entwicklungen gibt es in Ungarn. Rechtsstaatlichkeit ist im Land des mit eiserner Hand regierenden Nationalisten Viktor Orban ein weit dehnbarer Begriff. Regierung, Parlament und Behörden greifen auf vielfältige Weise ins Wirtschaftsleben ein: mit Gesetzen, die auf einen bestimmten Zweck zugeschnitten sind; mit öffentlichen Aufträgen, die - meist EU-gefördert - nur an bestimmte Geschäftskreise vergeben werden; mit der Einschüchterung von Akteuren, die den Ambitionen dieser Geschäftskreise im Weg stehen.

Erklärtes Ziel des seit 2010 amtierenden Ministerpräsidenten ist es, eine "nationale Wirtschaftselite" zu formen. Über die Hälfte der Banken ist nach Verkäufen ausländischer Eigentümer nun in ungarischer Hand. Ein Teil der Energiebranche wurde wieder verstaatlicht.

Neue Oligarchen und Sondersteuern für Ausländer

Regierungsbeamten gibt das Spielraum bei der Gestaltung von Preisen und Kreditbedingungen. Um Orban herum entstand ein Netz von Oligarchen, die in kürzester Zeit steinreich wurden, aber von ihrem Gönner abhängig sind. Der auffallendste von ihnen ist Lörinc Meszaros, ein ehemaliger Gasinstallateur und Schulfreund des Regierungschefs aus dessen Kindheitsort Felcsut bei Budapest. Sein Vermögen wird auf eine Milliarde Euro geschätzt - 2010 hatte soll er über Ersparnisse von 100.000 Euro verfügt haben.

Sondersteuern und Vorschriften machten hingegen ausländischen Investoren in den Bereichen Banken und Finanzen, Handel und Dienstleistungen das Leben schwer. Einige verließen das Land oder reduzierten ihre Aktivitäten.

Anwerbung von Mercedes-Benz und Audi war erfolgreich

Im Gegensatz dazu umwirbt Orban durchaus erfolgreich Investoren aus dem Kfz- und Maschinenbau wie die deutschen Autobauer Audi und Mercedes mit ihren großen Produktionsstandorten in Ungarn. Sie bekommen Steuererleichterungen, Teile der Infrastruktur stellt ihnen die öffentliche Hand. Aber auch jene Investoren, die in den vergangenen Jahren gelitten haben, haben sich mit den Verhältnissen weitgehend arrangiert. Gute Geschäfte machen auch sie noch allemal - und sei es als Sub-Unternehmer eines ungarischen Oligarchen, der ihre Expertise nutzt und sie am Profit teilhaben lässt.

RUMÄNIEN: Korruption und Gesetzesänderungen über Nacht

Zwiespältig ist das Bild auch in Rumänien. Verbände der Investoren, darunter die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer, rufen seit einiger Zeit immer wieder zum Kampf gegen Korruption auf. Sie beklagen drohende Rechtsunsicherheit - nicht nur im Zusammenhang mit der Justiz, sondern auch, weil Rumäniens Regierung gern ruckartig und unvorhersehbar Steuer- und Arbeitsgesetze ändert. Konstant klagen sie auch über den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wegen der Massenauswanderung gut ausgebildeter Rumänen.

Dennoch ist das Volumen der Direktinvestitionen aus dem Ausland in den ersten sieben Monaten 2018 nach Angaben der Nationalbank um 18,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Andererseits ist in den vergangenen Jahren kein Großinvestor mehr in Rumänien eingestiegen. Über kurz oder läng dürften sich die Wachstumsaussichten eintrüben, heißt es aus der EU-Kommission.

Noch sitzen die Regierungen in Warschau, Budapest und Bukarest vergleichsweise fest im Sattel. Doch falls die Wähler die Folgen der Politik stärker im Geldbeutel spüren, könnte sich der Wind drehen.

(dpa/apa/red)