Analyse : Hals über Kopf: Semperit und seine Manager

Wenn das Salzamt noch Beschwerden über enttäuschte Erwartungen entgegennimmt, dann zählt Frank Gumbinger seit Wochen zu dessen Antragstellern. Der 49-jährige Südhesse ist seit 1. Dezember Finanzvorstand der Semperit-Gruppe. Bei seinem Antritt war er Teil eines vierköpfigen Vorstandsteams, in dem der Vorsitzende Thomas Fahnemann der unangefochtene Boss war. Das Unternehmen versprach internationales Unternehmertum auf solidem finanziellen und strategischen Fundament. Vier Monate später findet sich Gumbinger mit seinem Kollegen Michele Melchiorre allein in der Vorstandsetage des 7.000-Mitarbeiter-Konzerns und muss als interimistischer Vorstandssprecher beunruhigende Ergebniswarnungen formulieren. In den ersten Monaten des laufenden Jahres hatte die Hälfte seiner Führungskollegen das Weite gesucht. Dazu kamen schlechte Ergebniszahlen: Der erste Quartalsbericht 2017 trug sogar den Titel „sehr schwaches operatives Ergebnis“ und wiederrief die bislang gemachten Prognosen für 2017. Ohne sein Zutun erlebt Gumbinger bei Semperit das ereignisreichste Quartal der Unternehmensgeschichte. Da wird jedes Managerhonorar zum Schmerzensgeld.

Steuermann über Bord

Am stärksten getroffen zeigt sich die Semperit-Gruppe vom Abgang des Vorstandschefs Thomas Fahnemann. Der Mann, der eigentlich als Meister der Kommunikation gilt, kehrte aus der Aufsichtsratssitzung am 15. März in sein Büro zurück, packte die persönlichsten Dinge und verließ das Semperit- Headquarter in der Modecenterstraße, ohne es je wieder zu betreten. Vorstandskollegen blieben ebenso ratlos zurück wie enge Mitarbeiter. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden Veit Sorger blieb nichts anderes, als zu konzedieren, dass er „dem Aufsichtsrat vorschlagen werde, diesen Rücktritt zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.“

Wilde Gerüchte

Aufsichtsrat und Vorstand von Semperit halten über die Ereignisse auf der Aufsichtsratssitzung dicht. Mit Martin Füllenbach konnte man zwar einen neuen CEO präsentieren. Doch der bisherige Chef des Kölner Unternehmens Oerlikon Leybold Vakuum (gehört jetzt zu Atlas Copco) tritt seinen neuen Job erst mit 1. Juni an - zweieinhalb Monate nach dem Abgang Fahnemanns.

Wichtigster Tagesordnungspunkt bei der Zusammenkunft war daher das Closing für den Sri-Trang-Deal, mit dem ein jahrelanger und teurer Rechtsstreit ad acta gelegt werden konnte. Der im Jänner verkündete Kompromiss mit den Ex-Partnern bei Sempermed Thailand wurde von den Aufsichtsräten auch abgenickt. Dem Vernehmen nach lag der Knackpunkt bei der notwendigen Neuaufstellung der aktuell defizitären Gummihandschuhsparte. Fahnemann und die Kontrolleure der B&C Holding hätten sich in eine heftige Auseinandersetzung eingelassen. Fahnemanns Vorschläge seien zu radikal gewesen, munkelt man in der Betriebskantine des Semperit-Standortes Wimpassing. Offiziell bestätigt wurde von diesen Kantinengerüchten aber keines.

Der Veteran geht

Vier Wochen nach dem Rücktritt Fahnemanns hat auch Richard Ehrenfellner das Semperit-Management „einvernehmlich verlassen.“ Der Technik-Vorstand hätte noch Vertrag bis 1. Mai 2018 gehabt. Er gehörte der Semperit-Führung bereits seit Oktober 2001 an und war zuletzt der einzige Manager, der mehr als neun Monate im Unternehmen verbracht hatte. Sein Abgang war unter den gegenwärtigen Umständen mehr als überraschend. Auch hier hüllt sich der Aufsichtsrat in Schweigen und verweist auf die gelösten Sri-Trang-Probleme. In einer Aussendung hieß es, dass die Mitarbeit von Ehrenfellner nicht mehr notwendig sei. Zwar stand seit Längerem fest, dass Ehrenfellner die Technikagenden sukzessive an den im Sommer gekommenen IT-Chef Melchiorre übergeben wird. Wieso der Aufsichtsrat gerade in turbulenten Zeiten auf seinen erfahrensten Manager verzichtet, fragen sich nicht nur die Analysten. Die Landesbank Baden-Württemberg setzte ihre Empfehlung für Semperit dann auch von „kaufen“ auf „halten“.

Neuordnung von Sempermed

Die Trennung vom einstigen Kooperationspartner Sri Trang wird im Unternehmen als Erfolg gewertet. Die Rechtsunsicherheiten wurden beendet und Ausgleichzahlungen von 157 Mio. Euro an Semperit vereinbart. „Das Geld ist auf dem Konto“, sieht Frank Gumbinger die finanziellen Vereinbarungen als erfüllt. Die Trennungsvereinbarung macht allerdings eine völlige Neuordnung der Sempermed-Sparte notwendig. Die Produktion von Latexhandschuhen und weiteren medizinischen Vorprodukten sorgte bislang immerhin für 40 Prozent des Gruppenumsatzes. Aktuell ist Sempermed aber eher für Negativzahlen im Konzern bekannt. Die Abgabe der Produktion in Thailand sorgt im bisherigen Konzerngefüge für eine Unwucht. Die Erzeugung in Thailand kann frühestens Ende 2018 durch die neue Fabrik in Malaysia ersetzt werden. Außerdem haben sich die Rohstoffpreise für Naturlatex von Oktober 2016 bis Jänner 2017 um 80 Prozent verteuert – alles Umstände, die „nicht so schnell an den Markt weitergegeben werden können“, wie Frank Gumbinger bedauert. Es ist der einst schwer kritisierte Industriebereich mit der Produktion von Förderbändern oder Industrieschläuchen, der für die notwendigen Erträge im Semperit-Konzern sorgt. Auf den neuen CEO Martin Füllenbach wartet viel strategische Arbeit. Selten wurde ein Semperit-Chef so vermisst wie jetzt.

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