Industrieproduktion : Wie kleine Fische gegen große Player bestehen

"Kleine Fische wie Pöttinger werden sich zu einem Schwarm vereinigen müssen, um gegen die großen Fische unserer Branche bestehen zu können." Lisa Wöss, Innovationsmanagerin des Landtechnikunternehmens aus Grieskirchen, formuliert eine der Kernaussagen der LCM-Studie "Human-Time-Machine – Zukunftsradar 2030". In Kooperation mit dem Institut für strategisches Management (ism) der Johannes Kepler Universität Linz hat LCM dafür zahlreiche Experteninterviews, eine internationale Delphi-Studie mit 170 Teilnehmern sowie mehrere Foresight-Workshops mit den Unternehmen Atos, Fronius, LineMetrics, Pöttinger und Rosenbauer durchgeführt.

"Vielleicht werden Landwirte im Jahr 2030 im Büro sitzen und ihre Erntemaschinen auf Basis jener Daten dirigieren, die sie aus einer Cloud beziehen, die von mehreren Landtechnikunternehmen mit Daten gefüttert wird", zeichnet Lisa Wöss ein für ihr Unternehmen durchaus realistisches Szenario. Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Landtechnik-Branche müsse man die Wettbewerbssituation kleiner Unternehmen durch die Bildung von Unternehmenskonsortien stärken, argumentiert Wöss. Immerhin sei Weltmarktführer John Deere mit 59.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 36 Milliarden Dollar im Vergleich zu Pöttinger mit 1.600 Mitarbeitern und 317 Millionen Euro Umsatz ein Goliath. "Den Mut, eigene Daten über eine gemeinsame Plattform potenziellen Mitbewerbern offenzulegen, um ganze Prozessketten digitalisieren zu können, muss man im Interesse der gemeinsamen Sache einfach aufbringen", sagt Wöss. "Dann wird man mit Schwarmintelligenz – also smart Farming – auch gegen große Player bestehen können."

Wie weit gediehen die Digitalisierung der Landwirtschaft schon ist, skizziert der 14-jährige Unternehmer und Experte für disruptive Innovationen Lorenzo Tural. "Schon jetzt gibt es Spargelfelder mit speziellen Spargel-Sonden, die auf Basis von unterirdischen Messwerten und Wetterprognosen voraussagen, wann der Spargel geerntet werden sollte. Darauf werden dann Werbe- und Verkaufsaktionen abgestimmt." Als bereits unumkehrbar sieht Tural etwa den Trend zum selbstfahrenden Auto. "Irgendwann werden herkömmliche Autos aus den Innenstädten verbannt werden, weil sie zu gefährlich sind. Irgendwann werden Autofahrer im heutigen Sinne dann überhaupt nur noch auf Nostalgieveranstaltungen ans Steuer dürfen." Technologie habe es an sich, dass sie unumkehrbar sei und Verweigerer zu Außenseitern mache.

Maschinen, die auf Emotionen reagieren

Dass sich die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine intensivieren werde, steht für Bernhard Freiseisen, Strategische Planung bei der Fronius International, fest: "Intelligente Maschinen reagieren schon jetzt auf Gestik. Bald werden sie auch auf die Emotionen ihres menschlichen Gegenübers reagieren können und etwa das Arbeitstempo anpassen." Die sich abzeichnende Wende von einer produkt- hin zu einer anwenderorientierten Industrie werde auch neue Berufsfelder entstehen lassen. "Angesichts der ständig wachsenden digitalen Informationen über Kunden und Produkte wird die kreative Dateninterpretation zu einer Schlüsselqualifikation werden", prognostiziert Freiseisen. "Damit werden auch geisteswissenschaftliche Disziplinen an Bedeutung in der Technik gewinnen."

Heftige Diskussionen

In manchen Branchen wird kein Stein auf dem anderen bleiben, stellte LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz fest. Insbesondere der 3D-Druck, der die kostengünstige Produktion von Einzelstücken ermögliche, werde manche Branchen bis zur Unkenntlichkeit verändern. "In China können Sie schon jetzt ganze Häuserwände ausdrucken lassen, die dann vor Ort zu einem kompletten Haus zusammengeschraubt werden", nennt Schatz eine für die Baubranche möglicherweise disruptive Entwicklung. Ähnlich bahnbrechend ist auch das Konzept von Local Motors, einem Unternehmen, das schon jetzt Autos aus dem 3D-Drucker anbietet. Die Suche nach der Zukunft der Industrie habe in den Workshops mit Atos, Fronius, LineMetrics, Pöttinger und Rosenbauer mitunter zu heftigen Diskussionen geführt. "Auf der anderen Seite war es nicht einmal nötig, eine Verschwiegenheitsklausel zu unterschreiben, weil es zwischen allen Teilnehmern sehr schnell eine große Vertrauensbasis gegeben hat", betont Schatz.

Während die an der ersten Runde des Zukunftsradars beteiligten Unternehmen gerade dabei sind, die Ergebnisse in konkrete Pilotprojekte zu übersetzen, ist dessen Fortsetzung bereits beschlossene Sache. "Diese Exkursion in die Zukunft der industriellen Produktion hat ein enormes Echo ausgelöst. Deshalb werden wir die Workshops auch dieses Jahr wieder anbieten", erklärt Thomas Buchegger, Initiator der "Human-Time-Machine – Zukunftsradar 2030" und LCM-Mitarbeiter.