Energiewirtschaft : In Deutschland werden immer mehr Kraftwerke vom Strom genommen

Von Jahresbeginn bis Ende Juli gingen laut Bundesnetzagentur 25 neue Stilllegungsanzeigen für Kraftwerksblöcke ein, insgesamt sind es 69. In Deutschland müssen Kraftwerksbetreiber der Behörde laut Gesetz mindestens zwölf Monate im Voraus mitteilen, wenn sie eine Anlage vorläufig oder für immer abschalten wollen. Auch die Übertragungsnetzbetreiber müssen informiert werden. Die endgültige Stilllegung kann untersagt werden, wenn der zuständige Netzbetreiber und die Bundesnetzagentur der Meinung sind, dass das fragliche Kraftwerk oder der Kraftwerksblock systemrelevant für die Stabilität der Stromversorgung ist.

Die deutsche Regierung betonte allerdings, dass die Kapazitäten bei der Energieversorgung völlig ausreichend seien. Vielmehr gebe es in Deutschland und europaweit sogar Überkapazitäten, sagte eine Sprecherin des deutschen Wirtschaftsministeriums. Die Versorgungssicherheit sei auch im kommenden Winter gewährleistet - "selbst in den kritischsten Situationen", fügte sie hinzu. Laut Bundesnetzagentur stehen deutschlandweit Kraftwerke mit einer Netto-Nennleistung von gut 197 Gigawatt (GW) bereit - davon gut 90 GW aus erneuerbaren Energien. Endgültig stillgelegte Anlagen sind dabei bereits abgezogen. Der tägliche Verbrauch liegt bei bundesweit 60 bis maximal gut 80 GW.

Tiefster Stand seit zwölf Jahren

Die Betreiber wollen vor allem Gas- und Steinkohle-Kraftwerke einmotten oder endgültig vom Netz nehmen. Der Börsenstrompreis ist innerhalb von zwei Jahren von etwa 50 auf rund 30 Euro pro Megawattstunde (MWh) gefallen. Ende vergangener Woche notierte der Preis für eine im kommenden Jahr zu liefernde Megawattstunde Strom bei 30,40 Euro. Dies war der tiefste Stand seit Oktober 2003.

Die Energiebranche sorgt sich angesichts der stark geschrumpften Erlöse im Erzeugungsgeschäft vor allem um die nötigen Neubauten in den kommenden Jahren. Deutschlandweit sei jedes zweite Neubauprojekt gestoppt, sagte ein Sprecher des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). "Der Anteil der Kraftwerke, die rund um die Uhr Strom erzeugen können, wird in den nächsten Jahren weiter stark sinken", sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller. Hinzu kämen Verzögerungen beim dringend notwendigen Netzausbau. "In der Summe empfinden wir die Situation als besorgniserregend."

"Insgesamt haben wir weiter eine ausreichende Erzeugungskapazität", sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur. "Wo regional die Erzeugung nicht ausreichen könnte, werden wir den Stilllegungen weiter widersprechen." Dies ist meist südlich des Mains der Fall. Endgültigen Stilllegungen können die Netzbetreiber widersprechen, wenn sie die Versorgungssicherheit in Gefahr sehen. Wenn die Bundesnetzagentur dies bestätigt, müssen die Kraftwerke zum Erhalt der Netzstabilität weiterlaufen. Bisher ist das bei elf der 57 angemeldeten Kraftwerke der Fall.

Laut Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für das "Handelsblatt" belaufen sich die Kosten der Energiewende für die Stromkunden auf 28 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Haushalt mit einem Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden (kWh) zahle somit 270 Euro im Jahr für die Umsetzung der Energiewende, schreibt das "Handelsblatt" . Die Berechnungen beinhalten demnach neben den Kosten für die Förderung der erneuerbaren Energien auch die durch die Energiewende verursachten Kosten des Netzausbaus. Auch die jüngsten Beschlüsse zur zusätzlichen Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und zum Aufbau einer Kapazitätsreserve seien berücksichtigt. (apa/dpa/afp/Reuters)